Was sind eigentlich Hofbauerkongresse?
Von Silvia Szymanski // 19. März 2018 // Tagged: Hofbauerkongress // Keine Kommentare
Dieser Artikel erschien im Februar 2015 anlässlich des 14. Hofbauerkongresses bei kino-zeit.de. Nach einer Umgestaltung ist er dort verschwunden. Um aber bei Fragen auf ihn verweisen zu können, veröffentliche ich ihn hier einfach noch einmal. Eine wichtige Änderung hat es gegeben: Inzwischen findet der Hofbauerkongress nur noch einmal im Jahr statt, in der jeweils ersten Januarwoche.
Eine Reise zu den geheimsten und verborgensten Stellen des kollektiven Filmkörpers
Zwei- bis dreimal im Jahr strömen Filmfreunde nach Nürnberg, in PKW-Fahrgemeinschaften aus Berlin oder Köln, mit Flugzeugen von Glasgow oder Wien, mit tödlich früh abfahrenden Fernbussen aus Aachen oder Jena. Wie erfahrene Rocknroller verhandeln sie späte Auscheckzeiten mit Rezeptionistinnen, kaufen sich Energydrinks und Backfactoryproviant für vier durchzumachende Nächte, verstopfen sich im Hotel die Ohren mit Paxwachs gegen lärmendes Reinigungspersonal oder bedanken sich bei ihrer strammen Natur, die sie trotz Straßenarbeiten vor dem Hotelfenster bis zum nächsten Kinoabend durchschlafen lässt. Sie tun das wegen eines außergewöhnliches Filmfestivals, das seit knapp vier Jahren eine wachsende Anhängerschaft begeistert: der „Hofbauerkongress“.
Seine Geschichte begann im Frühling 2011. Ein kleiner Kreis von Freunden im Umfeld des Kommkinos und des Filmblogs Eskalierende Träume traf sich in Nürnberg zur gemeinsamen Sichtung extravaganter Filme. In ihrer fantasievoll überschwänglichen Art nannten sie diese anfangs noch privaten Treffen ironisch-hochstaplerisch „Kongresse“ und gaben sich den Namen „Hofbauerkommando“, nach einem ihrer Lieblingsregisseure.
Ernst Hofbauer ist vor allem für seine „Schulmädchenreporte“ bekannt, doch um den Fixstern „Sexfilm“ kreisen bei ihm die verschiedensten Himmelskörper. Wie auf den Kongressen, die bald öffentlich wurden und sich anschickten, ihre eigene, völlig andere deutsche und auch internationale Filmgeschichte zu schreiben.
Die Kongresse richten ihren kundig liebevollen Blick auf Filme, die oft seit Jahrzehnten unbeachtet oder gar verfemt waren. Manche sind so kurios, abseitig und unperfekt wie B-Seiten von Single-Schallplatten. Manche sind sie aber auch einst vielgeliebte Kostbarkeiten, deren Neuentdeckung lange reif war. Da sind die reizvoll tristen, puppenhaften Triebdramen eines Joe Sarno. Die existenzialistischen, nachtdunklen Sextragödien von José Benazeraf. Hintertreppenblues von John Hayes. Unmoralische Studentenmoritaten des völlig vergessenen Regisseurs Akramzadeh. Aufgedrehtes, tabuloses Pornogetümmel des manischen Renato Polselli. Anrührend hilflose und fragile Erzählfragmente von Jürgen Enz oder Peter Hauser. Markiger Machopulp von Günter Hendel. Harmlos-vorsichtige Sextraktate des Wiener Grandseigneurs Frits Fronz. Trudelnde, schweißnasse Trips von Jess Franco. Da sind rührend linkische Filmversuche, naiver Nudismus, haarsträubend strenge pädagogische Aufklärung. Taffe Wrestlerinnen, spitzfingrige High Finance Women, Flash-Teens im Blitzlicht, lüsterne Xenias und Vanessas. Aber auch: Tankred Dorst, Brynych, japanische Meister, Scopitones, lässige Kurzfilme der Münchner und Kölner Schule… Es ist ein Wechselbad der Gefühle, eine Mentalitäts-Experience, eine Zeitreise durch die unterdrückt erregte, schwarzweiße Beklommenheit der frühen Sechziger Jahre, den schwimmtierbunten Pop der Sixties, die fantasievolle, entgrenzende Wildheit der Seventies, die klobige Aufgetakeltheit der Achtziger Jahre.
Beim 14. Hofbauerkongress am Anfang dieses Jahres war für viele Heinrich Georges/Werner Hochbaums dunkel unheilvolles Sozial- und Sittendrama „Schleppzug M 17“ (1933) eine eindrucksvolle Entdeckung. Platz 2 in meiner persönlichen Wertung teilten sich Wolfgang Beckers brillante, erotische Screwball-Kriminalkomödie „Ich schlafe mit meinem Mörder“ (1970) und Antonio Pietrangelis eleganter, tiefsinniger, bestürzend schöner Gesang über eine schwebende Dreiecksbeziehung und die Entdeckung der eigenen Sexualität in goldenen Käfigen: „Come, quando, perché / Wo, wann, mit wem (1969). Unbestritten alle Herzen aber flogen einem naiven, gutherzigen Milchmann zu: „Milkman Frankie“ (Kô Nakahira, 1956), dessen kindlicher Märchenblick auf die erwachsene Gesellschaft und ihre komplizierten (Liebes-)Geschichten ein entzückend liebreiches, leuchtend multidimensionales Panorama zeichnete. Frankie erinnerte mich an gewisse Komödien des italienischen Kinos, die in meiner Kindheit en miniature in Omas Fernsehzauberkasten zu sehen waren und uns Kinder hinrissen. Ich wusste nie, dass Japan das zu gleichen Zeit genauso sah.
Solche Überraschungen und Neueinschätzungen sind den Veranstaltern sehr wichtig; die meisten der Festivalfilme sehen selbst sie deshalb zuvor allenfalls stichprobenweise. Zum Beispiel während des eigenhändigen Restaurierens der oft von Alterskrankheiten befallenen, zärtlichkeitsbedürftigen 35mm-Filmkopien. Zärtlichkeit erwecken aber auch die berüchtigten oft erst frühmorgendlich laufenden 80er-Jahre-Videos („Videoknüppel“). Meistens. Manchmal will man auch verzweifeln.
Man altert rasend schnell in diesen Nächten, wenn man dem bösen Badezimmerspiegel trauen will. Jede Nacht löscht die Erinnerung an die letzte, und wenn man nachher drüber schreiben will, muss man um jedes Fetzchen ringen wie um einen flüchtigen Traum. Und über Filme schreiben viele der Besucher. Vertreter nahezu jedes relevanten deutschen cinephilen Print- oder Onlinemagazins tummeln sich auf den Kongressen.
Es entsteht ein besonderes Geflecht der Sympathie und des Interesses für die Filme und einander. Antennen fahren raus, die Rezeptoren blinken auf, Reizüberflutung und Übernächtigung machen die Stimmung vertrauensvoll und hysterisch. Es wird angeregt geredet, gealbert und gelacht. Man setzt sich mit dem Geist der Filme, ihrer Zeit und ihren Menschen auseinander, und man erzählt von sich. Manchmal macht eine Flasche Schnaps die Runde wie in einem durch die Nächte fahrenden Reisebus. Es wird aber auch viel geschlafen in den Sitzen. All das hat mehr mit den Teilnehmern zu schaffen als der Alltag. Helle Nächte. Es ist wie ein russischer Roman.
Zu der verschworenen Atmosphäre trägt bei, dass das Festival so sehr selbsterdacht, originell, leidenschaftlich, independent und low budget ist. Reich an Geld und Zeit sind weder die Veranstalter noch die Gäste. Beide Seiten nehmen vieles auf sich; keiner will mehr einen Kongress ausfallen lassen. Die organisatorische Hauptarbeit liegt in den Händen der jungen Filmexperten Andreas Beilharz und Christoph Draxtra: Recherche, Beschaffung, Restaurierung, manchmal sogar die Untertitelung der Filme: Kämpfe und Mühen! Die beiden widmen sich zudem noch einem zweiten Baby, dem alljährlich im Sommer stattfinden Festival des italienischen Genrefilms „Terza Visione“. Es fand zunächst auch in Nürnberg statt, ist aber nun, zusammen mit Andreas Beilharz, ins Frankfurter Filmmuseum umgezogen.