Filmtagebuch einer 13-Jährigen #13: 14. Hofbauerkongress, 4. Nacht

Foto: Maria Evans-von Krbek
Was bisher geschah: 1. Nacht, 2. Nacht, 3. Nacht

Nürnberg, 5. Januar 2015

ichschlafemitmeinemmrderIch schlafe mit meinem Mörder (Wolfgang Becker, 1970)
Veronique Vendell hat eine atemberaubend schöne Figur. Wie eine aparte, schlanke, wohlgeformte Vase. Und sie spielt – fein getimet, klug, freudig – einen sexy Menschen mit einem interessanten Brett vorm Kopf. Dass Friedrich Joloff in einer Szene von Ruth-Maria Kubitschek und Harald Leipnitz als hässlich verunglimpft wird, ist zwar ein Frevel, aber geschenkt: Es ist alles makellos in dieser brillanten Screwball-Kriminalkomödie. Das logisch verzwickte Drehbuch mit den durchdachten Verästelungen, die witzigen Dialoge – alles schwingt hoch entwickelt, elegant, cool, originell. Anfangs fürchtet man, ob er das durchhalten kann, die Spannung, das Niveau, die Balance, die vielen Wendungen und Kurven. Aber der Film hat Schwung und Atem für zwei. Ein Meisterwerk, das mich in seinem solitären Strahlen an Siggi Götz‘ „Liebesschüler“ erinnerte. Leider schwer zu beschreiben. Aber später hoffentlich. 9,5/10

Hier der Text von Oliver.

Veronique Vendell, nach der ich dann im Internet schaute, ist verheiratet mit dem Filmproduzenten Wolf C. Hartwig, der die Schulmädchenreporte und andere Glanzfilme des Hofbauerkongresses produziert hat. Der Fotograf Nigel Dickinson hat sie in ihrer Wohnung fotografiert.

Madame und ihre Nichte (Eberhard Schröder, 1969)
Dieser nette Film litt bei mir darunter, dass der nicht unähnliche „Ich schlafe mit meinem Mörder“ vorher mir so besonders gut gefiel. Dafür hat er Oliver Nöding in einem günstigen Moment erwischt. 7,5/10

vlcsnap-2014-07-08-18h51m49s218Jack ’n‘ Jill Trailer (Chuck Vincent, 1979)
Inmitten der Trailer vor dem traditionellen Kongressporno, in einem seiner späten Heteropornos: Jack Wrangler, den ich aus den schwulen Pornos der Siebziger Jahre kenne, über die wir gerade ein Buch schreiben. Ich hatte plötzlich Heimweh nach ihnen. Und viel Wärme für diesen wunderlichen Menschen, den ich auf gewisse Weise schon gut kenne.

Ferdinand der Pussyschreck (Alois Brummer, 1976) AT: Mit Gurke und Banane
Der Hauptdarsteller (Steve Burgess) hat einen bemerkenswert breiten Schwanz mit einer sehr großen Eichel, und es war ein freundlicher Film mit einem wohlwollenden Humor, warm und professionell ausgeleuchtet… Pussyschreckaber so charismatisch fand ich Ferdinand auch wieder nicht, und dann ist es schwierig, sich auf eine Sexhandlung mit ihm als einzigem Mann in einem miefig deutschen Umfeld wie dem seinen einzulassen. Schön bunt aber die Szene beim Arzt, wo Ferdinand zur Behebung seiner sexuellen Probleme an eine liebevoll gestaltete psychiatrisch-psychedelische Wichsmaschine angeschlossen wurde. Zu vegetablen Experimenten mit Frauen aber eine Bitte: nicht die Gurke drehen. Einfach wie mit einem Penis. 6/10

Hier der Text von Oliver.

Herz Dame und Meistertrunk
Der Morgenwirt des eigentlich rund um die Uhr geöffneten Meistertrunks – ein langsamer, schüchterner, irgendwie beeinträchtigt wirkender Mann – hatte diesmal verschlafen. So war der Laden zu, als wir um 6 Uhr morgens zum traditionellen abschließenden „Austrüben“ bei ihm aufliefen. Also zur Wirtin Maria ins rot leuchtende „Herz Dame“ an der ästhetisch spektakulären Bordellstraße entlang der Stadtmauer. Es ist die Eingangskneipe zu einem Bordell; an einer Wand hängt eine Übersicht mit Fotos der verfügbaren Mädchen und ihren Zimmernummern. Ein langes, hitziges, verwickeltes, angetrunkenes Beziehungsgespräch mit zwei meiner liebsten Kollegen an der Theke. Wie kompliziert es ist, und wie verfahren, ohne dass man wüsste, warum es so wichtig ist.

Heimatlos_001Zwischendurch sprach ich mit zwei Stammgästen. Dem Zeitarbeiter Heinrich, der mir wohltuende Komplimente machte. Und einem Jungen, der sagte, den Sex , den er brauche, kriege er viel schöner und leichter bei Zufallsmädchen in der Disco als in einem Puff. Wir rätselten, warum es dann so viele frustrierte Männer gibt. Zweifellos wollen Frauen Sex. Es gibt trotz manchmal irreführenden Gebarens keinen großen Unterschied. Aber es fehlt an Mut und Glauben. Maria legte „Heimatlos“ von Freddy auf, wir sangen mit.

Als wir dann zum inzwischen geöffneten „Meistertrunk“ weiterzogen, hatten wir uns schon durch Bruder Alkohol in eine Horde lustig polternder Räuber verwandelt, die sich bald noch blöder kiffte. Ein junger Typ vergewisserte sich bei uns, dass wir keine Greuther Fürth Fans seien und drückte Fanmusik des FC Nürnberg in der Musicbox. lsEin Mädchen mit faszinierend eingeschränktem Denken fühlte sich von uns angezogen. „Was seid ihr nur für eine Gruppe? Ihr seid alle so unterschiedlich“: Sie wiederholte das oft und wie trunken, sie konnte es nicht fassen, und jedesmal klang es so neu, als wäre es ihr gerade eingefallen. Sie war auch verwundert, wie sehr wir doch Robert Pattinson, Johnny Depp, Justin Bieber und Jodie Foster ähnelten. Und blieb allein zurück mit „Thomas Gottschalk“, als wir gegen Mittag unseren Schlafhöhlen entgegenwankten. 9/10

Außer mir schrieben:
Michael Kienzl bei critic.de
Udo Rotenberg hier und hier bei „L’amore in citta“ und hier bei „Grün ist die Heide“
Oliver Nöding bei Remember it for later
Alex Klotz bei „Hypnosemaschinen“ über die 1. Nacht, die 2. Nacht, , die 3. Nacht.

Ein allgemeiner Bericht von mir über das Phänomen Hofbauerkongress erschien bei kino-zeit.

„Die Kinos und die Bars mit den geheimnisvollen Namen“…für mich DAS Lied zu den Kongressen:

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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