American Sniper

Von  //  26. Februar 2015  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Das richtige Leben
I dreamed I saw Chris Kyle last night/ Alive as you or me/ Says I, „But Chris, you’re ten years dead“/ „I never died,“ says he.

Es war wie immer, wenn ein Mythos entsteht oder eine neue Insel aus dem Meer steigt. Erst redeten Leute darüber an den internationalen Lagerfeuern, eine Art Höhlenzeichengeschichte kursierte als holzschnittartige Zuspitzung, die Relativierungen gingen los. Denk an Simo Häyhä, hieß es, und seine fünfhundert Bestätigten.

Simo Häyhä auf die Frage, was er nach einem Schuss empfand: „Den Rückstoß.“

Eine Freundin lernte ihn auf einem Schießstand in Lubbock, Texas, kennen, sie fand Chris Kyle intelligent, ausgeruht und überlegen. Er schrieb gerade ein Buch über amerikanische Geschichte am Beispiel der Waffen, die zum Einsatz kamen. Er analysierte sie wie ein Ingenieur und zog soziologische Schlüsse.

„Der hat nichts zu verarbeiten“, behauptete die Freundin. „Chris ist mit sich im Reinen.“

Dann erschienen seine Biografie „American Sniper: The Autobiography of the Most Lethal Sniper in U.S. Military History“. Dann erschoß ihn jemand. Dann nahm sich Clint Eastwood der Sache selbst an.

Amerikaner glauben, dass, als der run auf die Freiheit im 17. Jahrhundert losging, die meisten Schafe in Europa geblieben sind. Sie sagen einem das nicht ins Gesicht, dazu sind sie zu höflich. Im Film klärt ein Vater seine Söhne auf: „Es gibt drei Sorten Mensch: Schafe, Wölfe, Hütehunde.“ Er nimmt Chris mit auf die Jagd und lobt seine Schießanlagen als „Gabe“, die selten verteilt wird. Chris „bringt ein Herz zum Stehen“ und schmeißt die Flinte ins Korn. Der Vater rügt den Mangel an Respekt vor der Waffe.

Chris und sein Bruder werden Cowboys, sie reiten Rodeos und „führen das richtige Leben“.

Chris Kyle (Bradley Cooper) meldet sich freiwillig, er will seinem Land „dienen“. Er wird Navy Seal und in vier Irak-Einsätzen zwischen 2003 und 2009 als Scharfschütze eingesetzt. Man nennt Kyle „Legend“ auch um ihn hochzunehmen. Inzwischen meint das wohl kein Amerikaner mehr ironisch. Das Land leckt seine Wunden, indem es verehrt – dem zivilen Alltag entfremdete Helden. Mit leerem Blick und unansprechbar sitzt Kyle die Zeit zwischen den Einsätzen ab. Seine Frau Taya Renae (Sienna Miller) verzweifelt an ihrem geborenen Krieger mit seinen hundertsechzig bestätigten Abschüssen. Andererseits wollte sie etwas vollkommen Hypertrophes, die texanische Gigantomanie noch Übertreffendes. Taya Renae ist patriotisch d’accord. Die größte schauspielerische Leistung in diesem Film besteht darin, dass Sienna Miller Taya Renaes genetischen Maximalismus nicht herunter spielt.

Kyle sieht sich als seiner Waffenbrüder Hüter, in Falludscha verteidigt er Gott, Vaterland und Familie. Die Familien der anderen fallen in seiner Wahrnehmung unter den Tisch. Er versteht sich als Spezialist und glaubt, jeden Schuss vor seinem Schöpfer verantworten zu können. Das kann Kyle nur in Konsequenz der kompletten Entwertung des Gegners glauben. Iraker sind „Wilde“, Kyle kehrt im Nahen Osten in den Wilden Westen zurück. Er spielt Cowboy & Indianer im Irak. Er kehrt die eigene Verwilderung unter den Gebetsteppich.

USA 2014. Regie: Clint Eastwood, mit Bradley Cooper, Sienna Miller, Luke Grimes, Jake McDorman

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