Uwe Johnson sieht fern

Von  //  26. Januar 2014  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Auf Jazz geschnitten – Uwe Johnson beobachtet DDR-TV

Er ist der Unbestechliche schon im Habitus. Ein kerzengerader Mecklenburger mit dem Humor in der Hinterhand. Ein Auslassungskünstler, der auch anders kann. Minutenlang bedenkt Johnson das Lächeln eines Ansagers. Er unterstellt diesem Lächeln Eigenschaften, die andere Männer an ihren Frauen in langen Ehen entdecken. Das wird immer wieder hervorgehoben: Alles, was Johnson als Kritiker im Jahr drei der Mauer bespricht, hat er nur einmal gesehen. Der Fernseher steht ihm als Leihgabe des „Tagesspiegel“ zur Verfügung. Er steht als erwünschter Fremdkörper in der Wohnung des von Ost nach West „umgezogenen“ Schriftstellers. Johnsons Vorschlag lautet: „Wenn ihr das Ostberliner Programm druckt, dann rezensier ich euch das.“

In publizistischer Opposition zu Springers DDR-Boykottpresse meldet nun der „Tagesspiegel“, was dem anderen Deutschland gezeigt wird. Das Fernsehprogramm der DDR soll länger kein Gegenstand des Kalten Kriegs sein, sondern eine nachbarschaftliche Angelegenheit im Jahr 1964. Diese Angelegenheit kritisch wahrzunehmen, stößt der Normalität eine Tür auf. Die Rezensionen richten sich implizit gegen Bonner Verteufelungen von allem „Sowjet- oder Ostzonalen“. Der Rezensent leidet unter Heimweh. „Als Missstand“ hält er die deutsche Teilung für behebbar.

Gegenstände seiner Betrachtungen verwandeln sich lange nach der Aufhebung „des Missstandes“ noch einmal in Gegenstände einer Betrachtung. 2006 zieht Saskia Walker Sendungen, die Johnson besprochen hat, aus einem Archiv. Ein Schauspieler liest die Texte zu den Ausschnitten. Zeitzeugen und Spezialisten äußern sich. Im Ganzen ergibt das „Uwe Johnson sieht fern“.

Die Dokumentation beginnt mit dem ersten Satz der ersten Besprechung: „Nennen Sie es, wie Sie wollen: Ostfernsehen, Ulbrichtschimmer, den 5. Kanal, den westlichsten Brückenkopf von Intervision – , es ist doch da und passiert täglich, wird gesendet im Ortsteil Adlershof von Treptow, zwischen dem früheren Flugplatz Johannisthal und dem Teltowkanal, an der Rudower Chaussee, in Berlin.“

Der Einstieg bekennt die Realität eines zweiten deutschen Staates, von des Autors seenplattensehnsüchtiger Warte. Johnson suggeriert dem Westleser die ungeheure Nähe des Geschehens. Der Subtext lautet: Was auch immer Sie von der DDR halten, sie findet jedenfalls vor ihrer Haustür statt.

Johnson pädagogisch: „Da wir die so veränderten Nachbarn unverhofft wiedersehen könnten, (sollten wir) uns vorbereiten, sie zu verstehen.“

Er rezensiert Erntedanksendungen mit russischer Kavallerie im Traktoreneinsatz und den Sandmann der DDR. Er nimmt sich „die aktuelle kamera“ und den „Schwarzen Kanal“ vor. Ihn amüsiert der „Herr (Karl-Eduard) von Schnitzler“. Johnson sagt dem kommunistischen Kapitalistenfresser aristokratischen Dünkel nach. Ein Beitrag zum Lob der Mauer wurde, so ein Zeuge in Walkers Film, „auf Jazz geschnitten“. Dazu heißt es, „seit der antiimperialistische Schutzwall steht, gibt es keine Wechselstuben, keinen Schmuggel und keine Abwerbungen mehr“. Man sei von der Last „des direkten imperialistischen Einflusses befreit worden“. Johnson untersucht den Kommentar. Er weist darauf hin, dass es keinen Hinweis auf die Mauertoten gibt: „Als hätte man den Leuten Gutes, wenn man sie erschießt. Denn über gute Taten spricht man nicht.“
Das ist Johnsons Humor in Joachims Hinterhand. Siehe „Skizze eines Verunglückten“. Der listige Kritiker platziert eine Ente, die nicht auffliegt. Das Interesse der Leser an den Beiträgen eines aufstrebenden und soweit auch abhebenden Autors geht grundsätzlich gegen Null.

Johnson schreibt über Rückkehrer in die DDR, die von unwürdigen Verhältnissen in der Bundesrepublik berichten. In der Retrospektive wirken die Versuche einer zügellosen Propaganda, den Osten als Arbeiterparadies zur Geltung zu bringen, hilflos und verunglückt. Kaum zu glauben, dass nicht schickere Schöner-wohnen-in-der-DDR-Filme über den Dächern an der Stalinallee gedreht werden konnten.

Johnson möchte dem Leser die kritischen Sidekicks des DDR-Fernsehens näher bringen. Er bespricht „Prisma“. Magazin-Moderator Gerhard Scheumann spricht verhalten im Ton und hart in der Sache Unzulänglichkeiten in der Produktion an. Scheumann gibt außerdem die Satirezeitschrift „Frischer Wind“ heraus.

Honecker spricht bei der Beerdigung des Grenzschützers Egon Schultz, der in freundlichem Feuer starb. Das weiß die DDR-Führung. Trotzdem wirft sie der anderen Seite vor, Mord als politisches Mittel einzusetzen. Wie viele Lügen stecken in den Geschichtsbüchern der Sieger? Johnson zieht sich vor Honeckers unverfrorenem und pathetischem Instrumentalisierungseifer in ein Schneckenhaus der Analyse zurück. Er rettet sich unwillkürlich auf das Terrain des Sichtbaren. Er beschreibt die Choreografie der Trauerfeier. Wer wo sitzt und wie der Sarg gehandhabt wird. Man sieht Erich Mielke und Markus Wolf in jugendlicher Staatstrauer.

Johnsons Skepsis wächst sich aus. Er betreibt investigative Fingerübungen an der Schreibmaschine. Kann denn dieses sein, wenn jenes so ist? Eindringlich stellt er sich Fragen zur Lautstärke von Straßengeräuschen, und hält für gestellt, was auch echt sein könnte. Regisseur Fritz Möllendorf rückt „Interviews im Stoßverkehr“ vor laufender Kamera so weit zurecht, dass man bloß böswillig an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln kann. Johnson schreibt: „ … denn (die ostdeutschen Kameraleute) wollten da (auf der Hamburger Mönckebergstraße) mitten im Gedränge Leute gefunden haben, die Zeit hatten, Zeit, lange Fragen anzuhören … und die Geduld, das zu beantworten.“

Johnsons Zweifel denunziert ihn selbst als Bescheidwessi, der leise anklingen lässt: So was könnt ihr euren unterinformierten Zonis auftischen, aber nicht dem Weltmann mit Westentasche, der ich bin.
Das DDR-Fernsehen berichtet von den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt am Main und erweitert das Programm mit szenischen Einspielungen. Schauspieler spielen Prozess. Johnson erkennt in den Darstellungen Unterstellungen. Angeblich unterstellen sie der Bundesrepublik eine kooperative Nachsicht mit den Tätern. Ja, man schenkt sich nichts. Der Kalte Krieg vereist die Köpfe, auch ein Autor von Johnsons Kaliber irrt durch seine Zeit.

D 2006, Regie: Saskia Walker

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