Kolberg

Von  //  11. Dezember 2011  //  Tagged: , ,  //  2 Kommentare

Der Durchhaltefilm sollte 1944/45 noch mal Endsiegglauben in die heftigst zweifelnden Soldaten und ihre Familien pumpen. Aber auch er bringt keine Kraft mehr auf, die Argumentation ist auch zu paradox: Napoleon steht vor der Stadt, und die Kolberger sollen, um sich und Kolberg zu retten, sich und Kolberg opfern.

Den Volkssturm-Slogan „Volk, steh auf! Sturm, brich los!“ aus dem Berliner Sportpalast zur Goebbelsrede vom totalen Krieg singend, marschiert zu Anfang des Films eine militante Menschenmasse entrüstet durch altdeutsche Straßen – der immer wieder aktuelle Mythos der Volkseinigkeit, hier im Grimms Märchendekor. Die Leute in Harlans Nazfilmen bewegt, wie zum Teil auch in „Jud Süß“ (zu dem ich auch noch einen Text schreiben werde), eine verwirrend heutige Empörung: Ihre geliebte Stadt ist verdorben von Korruption, Verschuldung, Amtsanmaßung; die großmannssüchtige Obrigkeit verschleudert das hart erarbeitete Geld der „kleinen Leute“ (Jud Süß), sie hat sich von der Basis entfernt, denkt nicht mehr an das Wohl der Bürger (Kolberg): Damit steht die Empörung der urbanen bürgerlichen Mitte im Mittelpunkt. Doch auch andere Strömungen fließen mit: Die Rechtsradikalen sehen sich vertreten durch unfassbar offensive Diskriminierungen von Ausländern, Weltbürgern, Juden. Für die Seele gibt es Schillersche Feuerköpfe (männlich) und sonnig getreidefarbene Seelchen (weiblich). Die Alten berührt die filmische Verklärung der guten alten Zeit, der Landbevölkerung schmeicheln bestätigte Ressentiments gegen elegante, gebildete, sich über Traditionen hinwegsetzende Städter. Sogar Zweifel und Bedenken werden exemplarisch in Stellung gebracht. Das allerdings zersetzt die Wehrkraft „Kolberg“s beträchtlich. Denn eigentlich ist an jedem der Argumente gegen den totalen Krieg was dran. Ein Geschäftsmann sagt, warum sich nicht dem Feind unterwerfen, ist doch egal, wer regiert. Der Lehrer glaubt nicht an den Sieg und will kein Leben opfern. Klaus will Musik machen, egal in welcher Nation, und trinkt mit den Besatzern. Sein Vater, der seinen Hof opfern soll, verbrennt sich selbst. Die Kolberger sollen nämlich all ihre Häuser verbrennen oder fluten, so dass sich die Angreifer dort nicht verschanzen können. „Wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein“: Kolberg und Deutschland sollen sich nicht abschaffen.

Ausgedacht hat sich das mit dem Volkssturm im Film der legendäre regionale Bierbrauer Nettelbeck (Heinrich George), Onkel des züchtigen Kopftuchmädels Maria (Kristina Söderbaum). Maria liebt den wie ein animierter Nussknacker agierenden, knarzigen Leutnant Schill (der Name geisterte noch bis vor kurzem durch die Kulturgeschichte der Hansestädte). Schill muss sich von Marias Bruder erst erklären lassen, dass unverbindlicher Sex (Soldaten heiraten nicht) mit dem unendlich verliebten Rotkäppchen keine gute Idee ist. „Du weißt nicht, was du da von mir verlangst“, sagt der böse Wolf, von dem der kapitale Triebverzicht erwartet wird, verkneift sich den Übergriff und ist fortan nicht mehr sonderlich lieb zu dem verstörten Mädchen. Und so wie diese Liebe fällt alles auseinander in der Stadt. Einzig der abgründige, unverwüstliche Bär Heinrich George hält die Stellung und schmeißt, Blut und Boden in Person, den ganzen, schon ganz blut- und bodenlosen Film.

Irgendwann, als nichts mehr geht, schickt der Onkel seine Nichte übers Meer in die Hauptstadt Königsberg zur Königin, um Hilfe für Kolberg zu holen. Maria schummelt sich durch und wird tatsächlich von der Königin empfangen. In dem Moment verabschiedet sich der Film in ein Delirium, einen dieser wohl typischen, senkrecht esoterischen Höhenflüge Harlans und auch anderer Regisseure seiner Zeit. Die Begegnung Marias mit der Königin (Irene von Meyendorff) ist inszeniert wie die Anbetung der Gottesmutter durch die kleine Bernadette von Lourdes. Das ganze Söderbaumgesichtchen sprachlos, hingerissen, ein Wicht, eine aufgelöste, kleine Seele, und die Königin ihr gegenüber nur so am strahlen, leuchten, edel sein. Voller Hingabe und Verehrung verharrt Söderbaum in ihrem „gemachten“, fiebrigen, deutschen Christkindl-Heiligleuchten. Sehr lange geht das so. Dann umarmen sich die beiden und küssen sich auf die Wangen. Leider wird das keine lesbische Szene, sondern die Königin schreitet heraus über den spiegelnden Fußboden, die Schleppe getragen von ihren Dienerinnen, unglaublich.

Ich wüsste gerne tiefer und genauer, was hinter diesen Wahnbildern steckt. Als fieberkrankes Kind vor Omas Fernseher, voll gepumpt mit Klosterfrau Melissengeist, fand ich solche Szenen absolut phantastisch. Diese Engelschöre, die Ekstasen überlebensgroßen, verherrlichten Glaubens – als wäre man auf Droge, und es wäre egal, wenn man bald tot wäre. Harlans gedankenvoller Sohn Thomas, der sein Leben lang über den Vater grübeln musste, spricht in dem Zusammenhang von Veit Harlans „Schwäche für das Himmlische“, der „chemischen Herstellung, dem Hochzüchten und glaubhaft Machen falscher Gefühle“.

Ich möchte wissen, wo die Grenze verläuft, auch, um mich davon abgrenzen zu können. Denn man hat das ja in sich, die Sehnsucht nach Entfesselung, Verzauberung, Märchen. Oder auch nach Größe… es motivierte die Kunst der letzten Jahrhunderte (seit der Renaissance?) und erzeugt immer neue Opfer. Die Blut- und Wahnsinnsspur zieht sich von dort hin zu Amy Winehouse und anderen Burn-Out-Invaliden. „Das Größte wird immer nur durch Schmerzen geboren“, sagt Onkel Nettelbeck seiner Nichte. „Und wenn jemand die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, der ist groß. Du bist groß, Maria“. Ich würde gern beweisen können, dass dieser Satz und seine Geschwister nicht stimmen. Dass sich leibhaftige, fragile Menschen nicht, um herzergreifend, „groß“, gut, genial zu sein, wie ausgedachte Film- und Operhelden für die Kunst, die Religion, den Chef oder das Vaterland opfern müssen. Aber es steckt so sehr in den Gedanken und Gefühlen.

Auch mit Söderbaum und ähnlich rätselhaften Starschauspielern ihrer Zeit bin ich nicht fertig. Söderbaum war äußerst beliebt. Sie war null elegant oder mondän; das war Leuten vielleicht wichtig, die dieses Minderwertigkeitsgefühl und Misstrauen gegenüber den Vertretern der rasanten Moderne in sich trugen (Stadtmaus/Landmaus). Was Söderbaum stattdessen hatte, finde ich schwer zu beschreiben. Sie wird von ihrem Mann Veit Harlan immer so in Schmelz und Licht gesponnen und verklärt in die sonnige Natur gesetzt, unschuldig, aber inbrünstig-diffus sexuell, wie ein pausbäckiges Goldkind; in einer Zauberwelt voll solcher junger Frauen müsste sich ein Pädophiler nicht mit Minderjährigen strafbar machen. Naive Unbefangenheit soll sie verkörpern, unbeirrbare Zuversicht, beseelten Glauben an sich selbst aufgrund ihrer heiligen Vision. Als könnte man mit diesem esoterischen Schutzmantel aus Jeanne d`Arc und Urmel aus dem Eis selbst da noch durch kommen, wo ausgefuchste Superhelden scheitern. Man merkt heute noch manchmal der alten und auch der wiedergeborenen Weiblichkeit im Umgang mit männlicher Autorität die Orientierung an solchen filmischen Vorbildern an. Als Deutschland den Stil Lenas und der Fußball-WM-Jubelmädchen lobte, glaubte ich, Leni Riefenstahl und Kristina Söderbaum von ihrer Wolke auf uns herab lächeln zu sehen.

Deutschland 1944, Regie: Veit Harlan

Am 24. Januar 2012 zeigen Hard Sensations in Zusammenarbeit mit dem Apollo Kino und der Friedrich-Murnau-Stiftung im Aachener „Capitol“ Veit Harlans Film „Jud Süß“. Der Filmvorführung voran gehen wird eine wissenschaftliche Einführung in den „Vorbehaltsfilm“ der Nazizeit. (Vorbehaltsfilme sind Filme mit propagandistisch nationalsozialistischem Gedankengut, die in Deutschland aus leicht verständlichen Gründen nicht ohne eine erklärende Rahmenveranstaltung gezeigt werden dürfen.) Nach dem Film gibt es Gelegenheit zu Gesprächen und Diskussionen. Der oben stehende Text über „Kolberg“ eröffnet eine kleine Reihe von Filmbesprechungen bei Hard Sensations im Vorfeld unserer Veranstaltung.

Sehr interessant in dem Zusammenhang auch die ironisch-faszinierte Betrachtung von Andreas Poletz und die furios ablehnende Improvisation von Christoph Wirsching (17.05.2011) zu Harlans „Hanna Amon“.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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2 Kommentare zu "Kolberg"

  1. Eckhard Heck 18. Dezember 2011 um 09:39 Uhr · Antworten

    Ich mag den Jeanne d`Arc und Urmel aus dem Eis Vergleich. Und wenn ich „Klosterfrau Melissengeist“ lese, werde ich auch gleich ganz fierbrig. Aber ich mag natürlich den ganzen Text, weil er so literarisch ist.

  2. Alex Klotz 18. Dezember 2011 um 05:06 Uhr · Antworten

    Bevor dieser vortrefflich schöne Text ohne Kommentare dahinsiecht, möchte ich einmal schreiben: Das ist ein vortrefflich schöner Text! Ich mag vor allem die Leni-Lena-Parallele, die mir vorher nicht so bewusst war.

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