The Foreigner

Von  //  17. Juli 2011  //  Tagged: ,  //  1 Kommentar

Amos Poes The Foreigner ist ein seltsamer Film. Ich musste spontan an Lynchs Eraserhead denken, der nur ein Jahr zuvor entstanden ist (nach schlappen fünf Jahren Drehzeit), und meine Assoziation hing sicher nicht nur damit zusammen, dass unter anderem live Gigs der Erasers eingeschnitten sind. Die Verwurzelung in der New Yorker New Wave Bewegung sieht und hört man dem Film deutlich an; spürbares aber nicht störendes Low Budget, flimmerige Schwarz-Weiß-Optik, eine semiprofessionelle Schauspielergang und der ohrwurmstichige Soundtrack des tschechischen Wunderknaben Ivan Kral (von ihm stammt auch die Musik zu Subway Riders und Unmade Beds). Es scheint, als hätten ein paar Kumpels im nicht mehr ganz nüchternen Zustand einen Film gemacht, der nüchtern betrachtet gar nicht mal verkehrt ist. Sympathisch unperfekt (die Darsteller sprechen sich in einigen Szene sogar mit Realnamen an), eindringlich, aber auch ein bisschen anstrengend.

Die Handlung ist auf den ersten Blick schlicht: Agent Max Menace (Eric Mitchell) steigt in New York aus dem Flugzeug. Er hat einen Auftrag, aber keinen Plan. Den wird hoffentlich seine Kontaktperson haben, genau wie den passenden Agentenunterschlupf. Aber Pustekuchen. Die Stimmung in den Gangsterkreisen ist offenbar gekippt und der Kontaktmann kann nun aus Sicherheitesgründen doch nicht helfen. Aber einen Kollegen hat er, der kann vielleicht. So rennt der wortkarge Menace von Kontaktperson zu Kontaktperson, kann aber nirgends landen und auch kein Geld verdienen, denn er hat noch immer keinen konkreten Auftrag. Was er nicht weiß: Während er sich auf der Suche nach Kontakt – tatsächlich ist es irgendwann nur noch Kontakt, den er sucht, und keine Kontaktperson – immer weiter in Schwierigkeiten und Sackgassen verrennt, wird er ununterbrochen von mehreren Leuten beschattet. New York wird im Verlauf der Handlung immer deutlicher zum Gegner – feindlich, unzugänglich, brutal – und vielleicht ist es am Ende die Stadt, die Menace in die Knie zwing, nicht die Kugel von The 357 (Richard Merkin), der Figur, die schlicht aber treffend nach dem Magnumkaliber benannt ist.

Protagonist Menace spricht kaum, und wenn doch, ist die Sprache eher Hindernis als Hilfe. Er hat eine kurze „Beziehung“ zu einer Frau, die ihn offensiv anspricht und umstandslos mit zu sich nach Hause nimmt. Doch die Kommunikation zwischen den beiden ist hochgradig gestört, die Frau vermittelt fast nur paradoxe Botschaften. Zudem trifft Menace wiederholt auf Gestalten, deren Sprache er nicht spricht, doch die sind auch nicht mehr oder weniger hilfreich als die Leute, die er versteht. Während seines Spießrutenlaufs durch die von der Dekadenz des Punk geprägte New Yorker Kriminellenszene wird Menace immer unsicherer und verliert ohne den sinnstiftenden Auftrag zuerst seine Agentenidentität und schließlich Identität an sich. Zu Beginn schiebt Max Menace seinen sprechenden Agentennamen noch vor sich her wie einen Leibwächter, doch bald entpuppt sich der Personenschützername als Verräter und wendet sich gegen den eigenen Träger. Menaces kleines Selbst, das sich hinter der Agentenfassade verbirgt, wird wie sein Körper und seine Kleidung Gewalt und Zersetzung anheim gegeben.

Poe hinterfragt mit The Foreigner die Existenz eines unerschütterlichen Wesenskerns. Was bleibt vom Selbstbild übrig, wenn man sich an einen fremden, feindlichen Ort begibt, in dem man keinerlei Anknüpfungspunkte findet? Immer öfter zieht sich Menace in ein schäbiges Hotelzimmer zurück und versucht, sich durch Selbstreflexion seiner Menschlichkeit zu versichern. Die Selbstgespräche, die zunächst noch vom Band kommen und damit bis zu einem gewissen Grad kontrollierbar (abschaltbar) sind, hallen irgendwann unkontrollierbar durch Menaces Träume. Wirklichkeit und Alp verschwimmen, skurrile Fessel- und Mordszenen durchsetzen Menaces Realität. The Foreigner bringt eine ganz eigene Stimmung mit, die nicht zuletzt durch die seltsame Akustik geprägt ist. Hin und wieder wird Innenraumton in Außenaufnahmen geschnitten, der akustische Hintergrundstrom reißt plötzlich ab, Musik, Klangkollagen, Stimmen und Stille wechseln abrupt. Obwohl der absonderliche Ton vermutlich auch dem Minimalbudget des Films geschuldet ist, ist er in meinen Ohren eine der Stärken des Streifens, genau wie die collagenartige Optik.

Die Querbezüge zwischen The Foreigner und Jarmuschs Limits of Control, einem meiner Lieblingsfilme, hätten mich auch dann angesprungen, wenn Marco mich nicht mit dem Hinweis auf die Verwandtschaft zwischen den beiden Filmen zu dieser Besprechung geködert hätte. Natürlich wirkt Limits of Control wesentlich geleckter, aufgeräumter, überlegter (das zeigt alleine schon die Passform der Anzüge: Während Isaach De Bancholé eine Auswahl der bestsitzenden Maßanzüge der Filmgeschichte trägt, muss sich Eric Mitchell mit einem faltenwürfigen Auslaufmodell begnügen). Aber die sich in Schleifen wiederholende Handlung, die Einsamkeit des Protagonisten und die geduldige Erzählweise sind durchaus vergleichbar. Und auch wenn ich mir relativ sicher bin, dass The Foreigner nicht durchgehend Ergebnis bewusster Gestaltung ist, sondern zum Teil aus nicht ganz ohne Drogeneinfluss entstandenen Zufallsprodukten besteht, lässt er sich aus meiner Sicht als Reflexion auf die begrenzte Handlungsfreiheit fiktiver Helden lesen. Damit bietet er sich noch deutlicher als Vorläufer für Limits of Control an. Max Menace ist eine Figur, die auf der Suche nach ihrer Handlung in eine fremde Geschichte stolpert, von argwöhnlischen Erzählern beobachtet und letztlich aus der Geschichte heraus geschrieben wird.

USA 1978 / R: Amos Poe


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Über den Autor

Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Mitgründerin des Leerzeichen e.V., freie Lektorin und Journalistin. Im persönlichen Umgang ist sie launisch, besserwisserisch und pedantisch.

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Ein Kommentar zu "The Foreigner"

  1. groove68 20. Juli 2011 um 09:56 Uhr · Antworten

    Hier kann man den Film gucken

    http://www.realeyz.tv/en/amos-poe-the-foreigner_cont1489.html

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