Der Wildeste Westen

Von  //  3. Februar 2011  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Der Cowboy Johnny hat sich eigentlich von der Waffengewalt verabschiedet, doch als es ihn in eine kleine Stadt mitten in der Prärie verschlägt, ist schon bald seine Hilfe als Revolvermann gefragt. Hier lernt Johnny die liebreizende Farmersfrau Miss Clementine kennen, die von Rancher Thugs und dessen Schergen tyrannisiert wird, da Thugs hinter dem Land der jungen Frau her ist. Schnell verliebt sich Clementine in den fremden Johnny, in dem sie einen Beschützer sieht – und auch wenn sich der Cowboy nicht auf eine feste Beziehung einlassen will, eilt er zur Rettung als sie von Thugs entführt wird…

Bruno Bozzetto machte schon mit seinen frühesten Kurzfilm-Arbeiten auf sich aufmerksam, fand Beachtung bei internationalen Festivals (darunter sogar das renommierte Festival in Cannes) und lernte Größen der Zeichentrick-Kunst wie Normen McLaren kennen, von dessen abstrakten Cartoons sich Bozzetto noch heute stark beeinflusst zeigt. Nachdem er Anfang der 60er-Jahre schließlich seine Kultfigur Herr Rossi kreierte, die ihn noch über viele Jahre begleiten sollte, stieg Bozzetto zum Star-Zeichner auf und war schon bald Aushängeschild des italienischen Animationsfilms.

1965 sollte sich für Bozzetto die Chance ergeben, den ersten Zeichentrick-Langfilm Italiens nach langen Jahren (und erst den dritten überhaupt) zu inszenieren und „West and Soda“ wurde ein zufrieden stellender Erfolg an den Kinokassen – neben internationaler Vermarktung entwickelte sich die Western-Parodie schnell zum Hit im italienischen Fernsehen.

Eine sehr kurze Pre-Title-Sequence zeigt Eindrücke der kargen Prärie, deren Landschaftsbild nur von Felsen und endlosem Sand geprägt scheint. Eine Kutsche reist durch diese lebensfeindliche Umgebung und wird von einer Gruppe Indianer angegriffen. Im schmucklosen Vorspann erklingt dann bereits ein epischer Score, der sich unbefangen auf Morricone beruft und dessen Klangwelten gekonnt imitiert.

Auch wenn keine expliziten erotischen oder gewalttätigen Details zu sehen sind, eignet sich der Film kaum für ein junges Publikum mit noch ungeschultem Auge. Viel zu sehr setzt der Humor auf einen gewissen Kenntnisreichtum beim Zuschauer, was Stereotypen des Genres betrifft – Bozzetto schafft dabei nicht den Spagat (wenn er ihn überhaupt angestrebt hat, zahlreiche leicht verständliche Slapstick-Gags sprechen dafür), den Morris mit seinem Lucky Luke so formvollendet gemeistert hatte, nämlich sowohl ein erwachsenes als auch ein kindliches Publikum auf unterschiedlichen Ebenen zu unterhalten. Das allerdings auch nur auf dem Papier, ein Kinofilm setzt selbstverständlich ganz andere Mittel voraus als ein Cartoon oder ein Comic-Heft.

In überwiegend rotbraunen und schmutzig-gelben Farben parodiert „West and Soda“ den Italo-Western, als er gerade den Kinderschuhen entwachsen war und als Strömung ihre großen Höhepunkte noch vor sich hatte. Damit nimmt der humoristische Ton eine Vorreiterstellung ein hinsichtlich der späteren, eher komischen Genrevertreter, deren Erfolg maßgeblich von Bud Spencer und Terence Hill initiiert wurde. Prinzipiell zieht der Film eher die Stereotypen des Western-Genres im Allgemeinen durch den Kakao und macht sich die derzeit wachsende Begeisterung der italienischen Filmindustrie für das Genre zu nutze.

Bozzettos Hang zu minimalistischer Hintergrundgestaltung und eher hässlichen Figuren, jenseits aller Schönheits-Ideale, passt vorzüglich zum gewählten Setting – verblüffend atmosphärisch geraten die Impressionen von endloser Weite, die zwielichtige Stimmung im Dorf und auch das finale Duell. Ungeachtet der streckenweise armseligen Animationen ist Bozzettos Werk als Meilenstein im europäischen Zeichentrickfilm zu werten – vor allem, weil Bozzetto sich seiner begrenzten Möglichkeiten bewusst ist und damit das Abstrakte, das grafische in seinen Animationen auch bewusst heraus stellt.

Damit und mit seinem kruden Humorverständnis hebt sich „West and Soda“ weit ab vom Gros der zeitgenössischen Produktionen, auch wenn er technisch jederzeit unterdurchschnittlich bleibt. Bozzetto inszeniert hier einen kompromisslos individuellen Film, der in jeder Szene als Werk seines Machers erkennbar bleibt – ohne jede Anbiederung an den großen Disney-Konzern. Keine Spur von Sentimentalität, garstiger Witz steht auf dem Programm, der auch über den versierten Einsatz der Soundeffekte entwickelt wird.

Jenseits der historischen Bedeutung (die kaum angemessen gewürdigt wird) offenbaren sich aber auch Schwächen inhaltlicher Natur: die meist treffsicheren Seitenhiebe gegen Genre-Klischees und die Bloßlegung der Gewalt-Stilisierung bleiben die einzigen Aspekte, denen sich Bozzetto zu nähern scheint und lässt den gesamten Film als skizzenhafte Karikatur auf den Zuschauer los. Wirkliche Anteilnahme am eigentlichen Geschehen kommt nie auf, dafür ist die Rahmenhandlung zu konventionell und traditionellen Strickmustern verpflichtet. Ein wirklich runder Film ist „West and Soda“ also keineswegs geworden, eine Reihe kurzer Cartoons im Western-Setting hätten womöglich besser funktioniert. Dennoch ist Bozzetto einen waghalsigen und wichtigen Schritt gegangen und aus heutiger Sicht bleibt sein erster Langfilm in erster Linie ein Faszinosum für Freunde des Zeichentrick-Kinos.

West and Soda / Italien 1965 / Regie: Bruno Bozzetto

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