Hagazussa – A Heathen’s Curse

Von  //  16. Februar 2018  //  Tagged: , , ,  //  1 Kommentar

Der gebürtige Wiener Lukas Feigelfeld hat mit HAGAZUSSA – A HEATHEN’S CURSE einen meisterhaften Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) vorgelegt, der im September 2017 beim Fantastic Fest in Austin Premiere feierte. Zum Gelingen haben maßgeblich die Kameraarbeit von Mariel Baqueiro und der Soundtrack von MMMD beitragen. MMMD a.k.a. Mohammad sind mutmaßlich ein griechisches Trio. Die Informationen zu der Formation sind spärlich und kryptisch, aber das ist hier nicht weiter von Belang. Wichtig ist, dass ihr Score die Bilder nicht im klassischen Sinn untermalt oder deren Rhythmus und Dynamik zwingend folgt, sondern eine eigene, oft vollkommen entkoppelte Sprache spricht, sich quasi um die Bilder herum windet und wie ein Rumoren aus den Eingeweiden des Films aufsteigt, so dass man als Betrachter geradezu verrückt wird, weil dieser Albdruck einfach nicht weggeht, sondern sich einem immer tiefer in die Psyche hineinfrisst. So etwas kann innere Blutungen verursachen, dachte ich an der ein oder anderen Stelle.

Die Welt ist nicht in Ordnung in den Bergen, in denen HAGAZUSSA spielt. Es ist Winter, in einem nicht näher bestimmten Jahr, irgendwann im fünfzehnten Jahrhundert. Dass zu jener Zeit die Pest umgeht, erfahren wir erst später. Der kleinen Albrun (Celina Peter), die erwartungsfroh ihren Schlitten durch den Tiefschnee zieht, wird die Seuche die Mutter nehmen. Die beiden leben am Rand der Gesellschaft. Im wörtlichen wie im übertragen Sinne. Sie fristen ein ärmliches Dasein in einer Hütte, irgendwo außerhalb einer Dorfgemeinschaft. Man verfemt sie als Hexen. Der Aberglaube schwelt hier dicht unter der Oberfläche. Der Pfarrer der Gemeinde schließt sich der Ächtung eigennützig an. Er braucht Sündenböcke, um die übrigen Schäflein zusammen zu halten und auf den rechten Pfad zu bringen. Wir werden ihn später kennenlernen. Er und seine an den Felsen geduckte Kirche, deren Krypta voller Gebeine ist, erzeugen die gleiche klaustrophobische Ausweglosigkeit wie die Landschaft. Es gibt kein Entkommen. An solchen Orten entstehen erfahrungsgemäß die allermerkwürdigsten Formen des Entertainment.

Wie erwähnt, rafft es Albruns Mutter (Claudia Martini) bald dahin. Der angereiste Medikus gibt sie nach kurzer Begutachtung auf und überlässt sie sterbend der Obhut der Minderjährigen. Es spielen sich dramatische Szenen ab. Erste mystische, schamanische Anklänge. Eine Ahnung vom Wahnsinn, dem auch Albrun anheimfallen wird. Später. Mann kann übrigens kaum über diesen Film schreiben, ohne zu spoilern.

Albrun wird von der Pest verschont. Sie überlebt jenen und etliche weitere Winter und wir begegnen ihr (nun von Aleksandra Cwen gespielt) etwa fünfzehn Jahre später wieder. Es ist Sommer. Sie hat mittlerweile selbst eine kleine Tochter. Wer der Vater ist, werden wir nie erfahren. Möglicherweise gibt es keinen. Wir sind so ziemlich auf alles gefasst. Bis auf die Tatsache, dass sie nach wie vor von der Gemeinschaft gemieden wird, kommt die Alleinerziehende offenbar gut zurecht, wird aber nachvollziehbarererweise von sexuellen Phantasien gepeinigt. Die gute Landluft. Und dann so jung und so allein. Eine Ziege wird mit mehr als übertriebener Hingabe gemolken bis eine Dörflerin unglücklicherweise das Tête-à-Tête unterbricht. Swinda (Tanja Petrovsky) dient sich Albrun als Freundin an und führt dabei nichts Gutes im Schilde. „Schön haben wir es hier“, sagt sie. „Hier müssen wir keine Angst haben vor denen, die Gottes Licht nicht in sich tragen. Vor den Juden und den Heiden“. Alprun merkt nicht, dass sie gemeint ist. Naiv und unbedarft ist sie und würde wohl gerne einfach dazugehören.

Swinda stellt ihr an einem Quellbach einen Dörfler vor und Alprun folgt den beiden auf eine Alm. Was als scheinbar harmloser Spaziergang beginnt endet mit einer Vergewaltigung. Es schließt sich eine symbolische Szene an. Das Gedärm das in einer der nächsten Einstellungen aus einem ausgeweideten Rehkadaver quillt, das sind eigentlich Alpruns Innereien, die sie am liebsten auskotzen würde. Nicht die einzige Szene, in der der Film seelische Zustände auf drastische Weise visualisiert. Als Alprun wieder bei Sinnen ist entlädt sich ihre Rache – nicht impulsiv – sondern gleichsam in Zeitlupe. Zunächst einmal pisst sie auf eine tote Ratte, die sie im Haus gefangen und in den besagten Quellbach geworfen hat. Das Buch lässt offen, ob die Epidemie dadurch im Dorf erneut angefacht wird. Als Alprun später auf einer Lichtung ein Karren begegnet mit dem Pesttote weggeschafft werden, kann sie sich jedenfalls ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Die Leichen werden aufgestapelt und verbrannt. Doch Alpruns Seele kommt nicht zur Ruhe. Das düsterste Kapitel von HAGAZUSSA hat gerade erst begonnen.

Der Film ist soweit von allen Genrekonventionen entfernt, dass es müßig ist Vergleiche zu ziehen. HAGAZUSSA ist ein überwältigendes, sinnliches Märchen, eines, das Erzählungen wie die der Brüder Grimm in einen „realen“ historischen Kontext setzt und dabei gleichzeitig sehr zeitgemäß wirkt.

Deutschland 2017. Regie: Lukas Feigelfeld. Mit: Claudia Martini, Aleksandra Cwen, Celina Peter, Tanja Petrovsky


HAGAZUSSA läuft während der Woche der Kritik 2018 in der Sektion „Dogmen des Wahns“ am 22.02.2018 um 20:00 Uhr (Wiederholung am Sonntag, 25.02.2018, 22:30 Uhr). Nach der Vorstellung am 22. debattieren our own Silvia Szymanski, Thomas Arslan und Regisseur Lukas Feigelfeld über den Film.



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Über den Autor

Eckhard Heck besitzt eine der umfangreichsten Baustellen-Sammlungen Nordrhein-Westfalens. Unter anderem ist er Autor, Musiker, Maler, Fotograf und Glaubensberater.

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