Die Hölle

Alles beginnt wunderbar licht-verschliert durch die Taxischeibe hindurch, wie das so schön seit SUSPIRIA kein Kinofilm mehr eingefangen hat. Die Stadt, in diesem Fall Wien, als leicht übernächtigter, entsättigter Farbenrausch. Als von der Rückbank polterndes Stimmengewirr. Echtes Leben. Eine echte Wohnung, die Du noch im Dunkeln irgendwann aufschließt und dann liegt da dieser krasse, leicht beißende Geruch in der Luft und wenn Du dem nachgehst, das kleine Fenster zum dunklen Schacht im Hinterhof aufmachst, blickst Du plötzlich in die ganz nah liegende Hölle. Und die blickt zurück.

DIE HÖLLE von Stefan Ruzowitsky, hier gelingt etwas, dass man so ganz selten miteinander verwoben sieht, sich aber augenblicklich sehr viel häufiger wünscht: Das Echte, Ungeschönte, Harte, Ungekünstelte wird mit der reißerischen Energie des Genrekinos verbunden. Und wie das so nur die allerbesten Kinofilme können: All das dann aus einer echten Stadt, aus Wien heraus entwickelt. Dabei fast beiläufig das ganz Besondere dieses Ortes für das Kino zu fassen bekommend.

Und mittendrin steht dann da diese tolle Frau mit beiden Beinen, unaufgeregt mit allem verwurzelt. Bringt zusätzlich eine Wucht rein, eine Kraft, reißt diesen Film so was von in die Luft. Knallt von der Leinwand, dass vom ersten Moment völlig klar ist, man wird gerade Zeuge von einem ganz besonderen „A Star Is Born“-Moment im Kino. Violetta Schurawlow, ich meine, verdammt, was für eine tolle Rolle, was für eine tolle Frau. Als Özge zeigt sie so eine Bannbreite von Wucht, dass man sich wünscht, der Film würde nicht aufhören, ganz um sie zu kreisen. Tut er zum Glück auch nicht. Sie und Wien bleiben das Zentrum, auch wenn Kraftfelder wie Tobias Moretti, Friedrich von Thun oder Robert Palfrader neben ihr auch noch etwas die Stimmung heben dürfen.

Die Handlung, ein gradliniges Fegefeuer, das emotional ständig alles auf eine Karte setzt und das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt, hebelt dabei immer wieder scheinbar sichere Schutzräume auf. Wohnungen (hach, diese dunklen, tiefe Altbau-Wohnungsflure…), Fahrerkabinen, dicht gedrängtes Metro-Inneres… Ganz am Ende schält sich das Böse sogar noch durch die engstmögliche Ritze eines dunklen Kofferraums auf uns zu, bis auch dieser Raum mit voller Wucht nochmal gehörig verdichtet wird.

Fuck, genau das habe ich mir lange gewünscht. Kino, das ungestüm und eigen zeigt, welche Kraft so ein Reißer auf die Straße bringt, wenn er einfach selbstbewusst sein Ding durchzieht und sich auch nicht scheut den Rückwärtsgang einzulegen. Ohne jegliche Nostalgie, ohne dämliche Fankino-Brille, einfach nur aus sich selbst heraus. Nicht nachäfft, sondern mit großer, in sich ruhender Sicherheit etwas in Bewegung setzt. Knallt. So richtig heftig. Bitte mehr davon.

Die Hölle, Österreich/Deutschland 2017, Regie: Stefan Ruzowitsky


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Über den Autor

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV oder der Deadline. Im vergangenen Jahr hat ihn seine unermüdliche Begeisterung für das Kino dazu getrieben, einen Kinostart von "Under the Skin" im deutschen Sprachraum durchzukämpfen.

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