Bande de Filles

Von  //  28. Februar 2015  //  Tagged: ,  //  1 Kommentar

Stark und allein
Nichts ist so einsam wie ein Bushi, es sei denn ein Tiger im Dschungel – „Bande de Filles“ schildert eine Emanzipation als Vorstadtdrama

Sie läuft unrund wie auf Stelzen, ihr Blick erzählt von Erniedrigung. Marieme (Karidja Touré) lebt in einer Pariser Vorstadtplatte. Ihre Familie entbehrt den Vater, ein älterer Bruder regiert nach den Devisen des Faustrechts. Das Faustrecht herrscht allgemein – in einem Regime ebenso archaischer wie unbegriffener Ehrbegriffe. Marieme gehört zu den Unterworfenen, sie duckt sich vor den Jungen, die lungernd und lauernd die Treppenaufgänge besetzt halten. Doch steckt genug Lebensmut in ihr, um auf Auswege zu spekulieren. Marieme beansprucht „Normalität“, das will sie sein: „Normal“ nach den Gesetzen der Blocks, die ein Quartier am Rand der französischen Gesellschaft bilden. Marieme weiß, dass ihr Wunsch in eine Falle führt. Das macht sie besonders, dieses Kratzen an einer Naht der Ausweglosigkeit. Sie versagt in der Schule und verschweigt ihr Versagen zuhause. Zuhause hängen jüngere Geschwister an ihr, die Mutter folgt beruflich einem Feudel und privat einer Theologie der totalen Erschöpfung. Für ihre Töchter hat sie nicht mehr in petto als eine Wiederholung des eigenen Scheiterns. Marieme verweigert sich der Billiglohnvariante. Sie schließt sich einer Mädchenbande an, die Jungenrechte beansprucht. In diesem Bund wird Marieme zu Vic wie Victory. Sie bleibt aber eine unbeholfene Einzelgängerin, abgestoßen von dem Frauenbild ihrer Umgebung. „Du spielst den Mann“, heißt es einmal. Die Travestie kommt aus der Not, Weiblichkeit ständig Angriffen, Nachstellungen und Herabsetzungen ausgesetzt zu sehen. Marieme schlägt sich mit der besten Schlägerin im Gebiet und „erbeutet“ den Büstenhalter der anderen. Das ist die weitreichenste Imagination einer männlichen Rolle, die „Bande de Filles“ zur Schau stellt. Das Desaster der Anverwandlung, die vorderhand wie ein Triumph aussieht und nach viel Anerkennung schmeckt, macht aus der Einzel- eine Grenzgängerin. Marieme verlässt die Geborgenheit in der verhältnismäßig milden Unterwerfung und schleudert auf die Banlieue-Nachtseite mit akuter Kriminalität. Der Pate im Plattenbau erkennt ihre Lage. Abou charakterisiert das Mädchen mit dem Blick des Jägers. Er sagt, was er sieht: „Du bist stark und allein.“

Der Film hat schicke Stellen, er feiert blaue Stunden der Mädchen-Autonomie. Es gibt gelackte Tanzeinlagen zu „Diamonds in the sky“, Freude schöner Götterfunken im Ornat einer Subkultur mit den Stars von Morgen. Man sieht dem Drogenhandel zu, wie er das Geld aus der weißen Mittelschicht zieht und mit Einnahmen aus Zuhälterei mischt. Man hat das alles oft gesehen, aber nicht so. Die Mischung aus schwarz, weiblich und deklassiert, geht unter die Haut. Das liegt auch daran, dass Marieme an ihrem Widerstand verzweifelt. Sie tut das Richtige, indem sie sich löst. Sie ist kein eiskalter Engel, aber sie könnte mit ihm sagen: „Nichts ist so einsam wie ein Bushi, es sei denn ein Tiger im Dschungel.“

Frankreich 2015. Regie: Céline Sciamma, mit Karidja Touré, Assa Sylla, Lindsay Karamoh, Mariétou Touré

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