Drive

Von  //  13. Dezember 2011  //  Tagged: ,  //  2 Kommentare

Mein Exemplar von „Drive“ ist in einem erbärmlichen Zustand, wie nach Jahrzehnten im Kellerschmutz. Aber der Film ist eine Wucht. Wenn Wakefield Poole, sagen wir, der Apollo des homosexuellen Pornofilms ist, dann ist Jack Deveau mit diesem Film Dionysos.

Der Ton und mein Englisch sind zu schlecht, ich verstehe den Plot unzureichend, deshalb nur so viel: Die Drag Queen Arachne leidet an ihrer sexuellen Unersättlichkeit. Als sie erfährt, dass die Regierung in einem Labor an einem Wirkstoff arbeiten lässt, der den Sexualtrieb („Drive“) unterbindet, möchte sie sich den Stoff aneignen, um ihn allen aufzuzwingen und sich zu retten. Doch diese Handlung wird vom Film immer wieder vergessen, bzw. von Sex durchlöchert, in Slow Motion versetzt, bis sie zerbröselt.

„Drive“ möchte sich verlieren und tut das wie kein anderer Porno. Der Film hat die Augen, Ohren, alles weit, weit offen, so dass er das wahnsinnige Wispern aller Dinge hören und die zahllosen Gesichter hinter den Gesichtern sehen kann. Er hat diese Vielschichtigkeit, die man, wenn es fast dunkel ist, an der Grenze zur Unsichtbarkeit, vermutet, wo sich alles übereinander legt und auflöst. Dieses Abenddämmrige, wenn Farben so bedeutungsvoll vibrieren, als wären sie in der sichtbaren Welt nur Platzhalter für unendlich mehr. Die Kamera (Jack Deveau) hegt für das Exzessive ein so tiefes, wissendes Gefühl wie keine, durch die ich bisher Sex mit ansehen durfte; ihre ausufernden Bilder sexueller Handlungen (irgendwie passt dieser seltsame Ausdruck hier) sind eine Offenbarung.

Dabei lässt „Drive“ seine Großartigkeit gar nicht heraushängen, sondern wuscht oft einfach über Kostbarkeiten hinweg – nicht die Bohne prätentiös, sondern nur besessen und in Trance. Manchmal hakt er sich selbstvergessen an einer kleinen Sache fest, zum Beispiel an der Farbe Blau, die von dem hier benutzten Filmmaterial sehr geliebt wird. Dann muss selbst eine Tabakpfeife blau sein, und es sieht in den Szenen aus wie bei diesem Paradiesvogel in Neuguinea, der zur Balz lauter blaue Dinge sammelt. Surreal.

Auf der Tonspur monologisiert derweil die fiebrige Arachne. Oder es brabbelt ein Mann, manchmal auch plötzlich auf deutsch mit rheinischem (?) Akzent, obszöne, anfeuernde Sachen. Oder es spielt ein ganz seltsam quiekender, monotoner Uralt-Synthesizer, es gibt so alte Röhren-Mono-Langwellen-Sounds, die so klingen wie der Film aussieht, dramatische Orchestermusik, und manchmal läuft das alles zu langsam und hört sich an wie ein überhitzter, von einer Orgie ausgepumpter Körper, in dem alle Organe stöhnen. Und unter diesem Quassel- und Soundgewebe wie aus dem Radio aufgenommener Geisterstimmen liegen die sexysten Aufnahmen sich gegenseitig wichsender, übereinander liegender, ekstatischer Männer, die ich bisher gesehen habe. Ein pulsierendes Durcheinander malerisch konturierter Leiber, glitschig, dampfend, wie eine Vorwegnahme von Abu Ghuraib auch manchmal, überblendet mit Bildern von Trapezkünstlern, rhythmisiert von berührenden Großaufnahmen hingegebener Gesichter. Dann die bestimmt berühmte Fistingszene, von der ich leider kein Bild anhängen darf. Roh und animalisch-martialisch wie etwas von Lucian Freud, wenn er sich das getraut hätte. Diese behaarten und geschmierten Hinterbacken, und die Arme, die in Körper reingehen wie in nichts. In meinen bisher gesehenen Pornos war Fisting immer nur eine grobe, akrobatische Pflichtübung, um zu zeigen, was man alles kann. In „Drive“ aber glüht das vor Sehnsucht, keine Grenzen zu setzen, nur noch Sex zu sein, nicht mehr man selber. Pure, unerwartete Schönheit, gequetscht in enge, dunkle, heiße und geschwollene Räume. Ich hab mit „Drive“ etwas furchtbar Organisches in meiner Wohnung, wie eine Schlagader, die in einer blutigen Wunde pocht. Ich mag mich gar nichts anderem mehr widmen.

USA 1974, Regie: Jack Deveau

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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2 Kommentare zu "Drive"

  1. Christoph 13. Dezember 2011 um 23:17 Uhr · Antworten

    Uff. Silvia, hast du diesen großartigen, erschöpfenden Text nur für mich geschrieben? So hat sich das teilweise beinahe angefühlt – ich wünschte, ich könnte so persönlich über einen solchen Film schreiben wie du das zufällig hier für mich getan hast. Wenn du mir erlaubst, das zu sagen.

    Ich glaube, du bist das Beste, was dem schriftlich nahezu unerschlossenen „Gay golden age“ in Deutschland passieren konnte.

  2. Sano 13. Dezember 2011 um 20:58 Uhr · Antworten

    Wow, puh, sehr schön. Da bleibt man als Leser glatt etwas sprachlos zurück. Aber jetzt weiß ich vielleicht wie ich das nächste mal über einen Film schreiben könnte, der mich weggeblasen hat. Muss wohl einfach etwas ehrlicher sein.

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