The Terrorists
Von Frau Suk // 20. Oktober 2011 // Tagged: Asien, Dokumentation, Pornfilmfestival 2011, Porno, Queer // 8 Kommentare
Größer hätte der Bruch zwischen den beiden von mir gesichteten Beiträgen zum diesjährigen Pornfilmfestival nicht sein können. Hatte ich mich noch darüber geärgert, mit Female Voyeur das Paradebeispiel für konventionellen, manierierten Popcornporno erwischt zu haben, hätte ich mir bei The Terrorists manchmal gewünscht, das Gesehene als künstlich übersteigert oder gestellt begreifen zu können. Um eines vorweg zu schicken: The Terrorists ist beileibe kein Porno.
Von Thunska Pansittivorakul ursprünglich als Film über thailändische Landarbeiter geplant, ist The Terrorists zum Zeitzeugnis der Unruhen in Bangkok im April 2010 geraten. Der Film portraitiert nicht nur die politischen Konflikte, sondern auch ein in vielerlei Hinsicht gespaltenes Volk. Thai gegen Chinesen, Rothemden gegen Militärs, Landbevölkerung gegen Städter, Diktatoren gegen Kommunisten, Menschen gegen Menschen, Alltag versus Ausnahmezustand. Auch wenn sich Regisseur Thunska inzwischen selbst auf Seiten der Rothemden (Mitglieder der Nationalen Front für Demokratie gegen Diktatur) engagiert und der Blick der Kamera meistens die Perspektive der Unterdrückten einnimmt, suggeriert der Film nicht, es gäbe eine leicht zu verstehende absolute Wahrheit und die Lage sei eindeutig. Das dem Film vorangestellte Laqueur-Zitat „One man’s terrorist is another man’s freedom fighter“ ist programmatisch. So schwankt dann auch die Erzählhaltung immer wieder vom Dokumentarischen ins Fiktive, vom Öffentlichen ins Private und zurück, um sich am Ende dann doch auf eine journalistisch-dokumentarische Perspektive einzupendeln. The Terrorists bleibt dabei immer fragmentarisch. Verschiedene Ebenen werden angelegt, gegeneinander gesetzt und übereinander geschoben. Am Ende ergibt sich ein Bild, in dem vieles verbunden ist, manches Sinn ergibt und einiges unerklärlich bleibt.
Um die einzelnen Versatzstücke einzufangen und vor dem Zuschauer auszubreiten, nimmt die Kamera sich unendlich viel Zeit, ein Tempo, an das man sich erst einmal gewöhnen muss. Stoisch zeigt der Film Menschen bei der Beschäftigung mit Dingen, kleinen Dingen: Fischer beim Aussortieren von Fischen auf einem kleinen Boot, später beim müßigen Tändeln mit herumhängenden Hanfseilen, die sie sich um den Finger oder den Arm wickeln. Arbeiter auf einer Kautschukplantage. Das Geräusch der Messer beim Abschälen der Baumrinde, der Anblick des aus dem Baum rinnenden milchigen Saftes, Gespräche von Plantagenarbeitern beim Wiegen und Verladen von Rohgummimatten. Wir werden gezwungen, uns Zeit zu nehmen für die Dinge, die die Männer verrichten, für ihren Arbeitsalltag mit all seiner langweiligen Routine, den geübten Handgriffen, emsig, aber nicht hastig. Männer zusammen auf einem Boot, zusammen im Wald; und doch scheint jeder für sich zu sein. Aber immer wenn wir uns einlassen auf den Tran der Erzählung, langsam wie das sich Verschieben von Erdplatten, werden wir durch plötzliche Erschütterungen wachgerüttelt. Immer wieder wird die ruhige Betriebsamkeit unterbrochen von verstörenden Einblendungen: Eine Szene, in der Gefesselte zugleich herabgewürdigt und mit Füßen masturbiert werden, und, wie Fausthiebe, Bilder von gefesselten, erschlagenen, erschossenen Demonstranten, zusammen, aber mit ihrem Tod allein.
Für sich sind auch die körperlich und seelisch Nackten, die in einer Zwischenwelt zu wohnen scheinen. Dialoge finden nur in der Erinnerung statt, in Einblendungen und Stimmen aus dem Off, deren Urheber wir zwar erraten, aber nicht zweifelsfrei identifizieren können. Nackte junge Männer. Sehr lange beobachten wir einen jungen Mann im Dschungel beim Waschen und sich Aalen im Bach, während die Schrift von einem Vater-Sohn-Konflikt erzählt. Wir beziehen die Geschichte auf den Mann im Wasser, aber sicher sein können wir uns nicht. Ebenso lange verweilen wir im Schlafzimmer eines anderen jungen Thailänders, dem wir beim Schlafen zusehen, während ein Auszug aus Orphans of the Paradise von Panu Trivej eingeblendet wird. Später werden wir ihm beim Masturbieren zusehen, bei der versonnenen Beschäftigung mit seiner glatten Haut und seinem banananförmigen Penis im geschützten Raum des hellen Schlafzimmers. Doch selbst in diesem intimsten Raum ist das, was draußen passiert, präsent. Mit Schrifteinblendungen, die von der Ermordung der Demonstranten und der Schändung der Leichen erzählen, sickert es hinein und erinnert uns daran, dass Privatheit ein Luxus ist angesichts des Aufruhrs und des Mordens. Dass jeder irgendwie beteiligt ist, auch wenn er nicht teilnimmt. Dass das sich Abschotten immer ein sich Abschotten von etwas ist. Die verspielte, schnörkelige, harmlose thailändische Schrift will sich partout nicht zu dem grausigen Inhalt fügen, den sie beschreibt. Doch da sind sie schon wieder, die Bilder von Kämpfen, brennenden Autos und Häusern, Rauch, Schießereien. Menschen erzählen von Tränengas und Toten. Terroristen?
Trotz all seiner Drastik und Lückenhaftigkeit, trotz seiner manchmal flachen Digitalbildoptik und trotz all der Ausdauer und Dickfelligkeit, die er von seinem Publikum verlangt, ist The Terrorists auf seine Art ein poetischer Film mit eigener Bildästhetik. Auch (situativ, zeitlich) weit voneinander entfernte Aufnahmen erzeugen durch formale oder stilistische Ähnlichkeiten Gleichklänge, die wie Kleber die Collagenteile zusammenhalten; das Ritzen der Messer in Bäume und das Verletzen von Haut, das Ausströmen von weißem, dickflüssigem Harz und Sperma, Tote von 2010 und Tote von 1976, und immer wieder Fische. Auf dem Boot, wo die kleinen aussortiert werden, im Aquarium, wo genau die gleichen Fische ausgestellt und angestrahlt werden, im Kanal hinter dem Haus, wo man sie mit Elektroschocks betäubt, um sie fangen zu können, in der Rede des engherzigen, fehlgeleiteten Mönchs, der das Töten von Kommunisten auf eine Stufe mit dem Töten von Fischen stellt. „People’s lives are different from the lives of fish“, schreit ein Demonstrant vor dem UN-Gebäude, doch die Bilder des Films sprechen anders. Ein Fisch im Aquarium, ein gut ausgeleuchteter Mann im Bett; ohnmächtige, elektrisch betäubte Fische, ohnmächtige, von gut ausgestatteten Militärs umstellte Demonstranten. Verzweifelte Bürger, die vergeblich um die Hilfe der vereinten Nationen flehen. Beifang, aussortiert, sterbend von Bord geworfen. Bilder von geschändeten Leichen. Nein, kein Porno.
Thailand/Deutschland 2011. Regie: Thunska Pansittivorakul
The Terrorists ist ein Beitrag des diesjährigen Porn Film Festivals.
8 Kommentare zu "The Terrorists"
Dear everyone, I just read this article and thanks a lot for you guys.
and this is some news about my next film. wishing my film have a chance to screening somewhere again the the way you guys can watch it. (my next film will start to shooting from July and I’m not sure when I can finish it)
http://desistfilm.com/qa-thunska-pansittivorakul/#more-910
many thanks T T
Dear Thunska,
glad you read the article and got in touch with us. We will be happy to watch your next film. Wish you all the best for the shooting. It’s important work you are doing there.
Thanx to you for those brillant pictures!
Frau Suk
Klingt sehr vielversprechend, muß ich sehen! Die von dir beobachtete kontemplative Langsamkeit ist im aktuellen thailändischen Kino ja durchaus häufig anzutreffen, so auch in den Filmen von Pen-Ek Ratanaruang oder Apichatpong Weerasethakul.
Meine Erfahrungen mit thailändischem Kino kann ich noch an einer Hand abzählen, deswegen fehlen mir da die Vergleichsmöglichkeiten. Aber dafür haben wir ja Dich! ;-)
Lieben Gruß
Frau Suk
Von Weerasethakul halte ich nach wie vor nicht viel aber „The Terrorists“ muss trotzdem sein…
Apropos Weerasethakul: hast du seit den beiden Vorstellungen im Filmmuseum noch weitere Filme von ihm gesehen, Marco? Wollte das gerade nochmal nachlesen und fragte mich, ob es dein früheres Blog wohl noch gebe, was erfreulicherweise der Fall ist (leider ja keine Selbstverständlichkeit, manche löschen ja alles, sobald sie weiterziehen oder ihre Ansichten ändern, manchmal natürlich auch einfach eine Frage des Webspace u.ä.). Wollte das eigentlich schon damals kommentieren, aber wie das halt immer so ist mit den vielen Dingen, die man sich „eigentlich“ so vornimmt… :) Jedenfalls witzig, dass wir damals bei MYSTERIOUS OBJECT AT NOON wohl in der gleichen Vorstellung saßen (erinnere mich auch noch an die schlagartige Abwanderung bei Filmende vor Beginn des Publikumsgesprächs), mit dem konnte ich übrigens auch ziemlich wenig anfangen und mag ihn mit weitem Abstand am wenigsten von seinen mir bekannten Filmen. IRON PUSSY inklusive einiger Kurzfilme konnte ich damals nicht sehen und hab den auch bislang nicht nachgeholt, hatte dafür allerdings das Glück, seine drei überragenden darauffolgenden Langfilme im Filmmuseum sehen zu können. Würde auf jeden Fall empfehlen, es im richtigen Moment (hat ja keine Eile und sind auch keine Filme, die man mal eben zwischendurch sehen sollte) vor allem mit BLISSFULLY YOURS und TROPICAL MALADY mal zu probieren, könnte mir vorstellen, dass die auch eher dein Fall sind. Im Gegensatz zu OBJECT (der aber vielleicht irgendwann zukünftig bei mir auch mal eine zweite Chance kriegt, ich war seinerzeit leider ziemlich übermüdet, was solchen Filmen selten zuträglich ist) würde ich dort tatsächlich von visionärem Kino sprechen.
THE TERRORISTS ist natürlich auch super, mein Lieblingsfilm der diesjährigen Berlinale und auch insgesamt weit oben bei meinen Favoriten des äußerst ergiebigen 2011er-Jahrgangs.
Das ist so ziemlich der tollste Film, den ich 2011 gesehen habe. Echt jetzt.
Ich musste mich zuerst reinfinden. Dieser Clash zwischen den kontemplativen Szenen (Alex’ Begriff trifft es gut) und der Gewalt hat mich ziemlich mitgenommen. Ich fühlte mich dabei, als bekäme ich ein tolles Essen vorgesetzt, und jedesmal, wenn ich mich entspanne und genieße will, spuckt jemand rein oder sticht mir mit der Gabel in die Hand.
Aber ich bin auch zart besaitet, glaube ich. Sobald ich weiß, dass Gewalt echt ist, kann ich kaum noch hingucken. Das muss man aber bei dem Film, weil man nicht auf die Einblendungen vorbereitet ist.
Besten Gruß
Frau Suk