On the Ice
Von Michael Schleeh // 28. August 2011 // Tagged: Coming-of-Age-Drama, Fantasy Filmfest, Thriller // 2 Kommentare
In den weiten Eislandschaften Alaskas kommt es zu einem tragischen Unfall: bei einem Gerangel unter Freunden verblutet einer der jugendlichen Hitzköpfe an einem Messerstich. Anstatt den Unfall zu melden – es waren Alkohol und Drogen im Spiel – einigt man sich darauf, die Leiche in einem Wasserloch unter dem ewigen Eis verschwinden zu lassen. Der Polizei, wie auch den Einwohnern der Ortschaft Barrow, eine Inupiaq-Innuit-Siedlung im nördlichen Alaska, in der jeder jeden kennt, erzählt man ein Lügenmärchen von einem tragischen Selbstmord, der nicht verhindert werden konnte. Doch mit den enormen psychischen Belastungen kommen die beiden Jungs, Qalli und Aivaaq, nicht zurecht…
Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die hier erzählt wird, und die den Rahmen eines eingefahrenen Genre-Thrillers aufsprengt. In unaufdringlichen, authentisch wirkenden Bildern wird eine Gemeinschaft, also ein Ausschnitt einer Kultur, dargestellt, die man ansonsten kaum im Weltkino zu Gesicht bekommt – und schon gar nicht im Genrefilm. In diesem sozialen Gefüge scheint sich das Leben noch anders abzuspielen, traditionelle Werte haben ihr Gewicht noch nicht verloren. Werte, die auch dazu beitrugen, in dieser kargen und lebensfeindlichen Wildnis überleben zu können. Doch dies ist nur auf den ersten Blick so. Die Jugend rast auf Schneemobilen mit trendigen Stickern beklebt durch den Ort, abends hört man Hiphop und rappt selbst ein wenig, Alkohol und Drogen werden ausgiebig konsumiert. Wichtig ist vor allem, wer mit wem was hat. Auch diese Jugend ist völlig amerikanisiert – und steht somit einer Elterngeneration gegenüber, die zwar die Errungenschaften einer „modernen“ Gesellschaft begrüßt, zugleich aber um den Werteverfall bangt. Deutlich wird das in den Gesprächen Qallis mit seinem Vater, die häufig konfliktreich enden, und die die Sorge um den Sohn widerspiegeln. Natürlich ist es auch so, dass ausgerechnet der Vater nicht an den tragischen Tod des Jungen glauben will, vor allem, als er immer mehr Ungereimtheiten in den Behauptungen aufzudecken beginnt. Und er schließlich selbst anfängt, Ermittlungen anzustellen, hinaus auf’s Eis fährt, Indizien sammelt, und der mit einem feinen Gespür den Unwahrheiten auf die Spur kommt.
So pendelt On the Ice souverän zwischen den verschiedenen Konfliktfeldern hin und her: dem Jugenddrama, dem moralischen Dilemma, dem Thriller, der aufgelöst werden will, und dem Portrait einer Gesellschaft, das sich wie beiläufig entfaltet. Dass der Film überzeugt, liegt vor allem am moralischen Konflikt Qallis, der sich auch auf den Zuschauer überträgt: denn der sympathische Protagonist ist in diesem Film auch derjenige, der Mist gebaut hat.
USA 2011, Regie: Andrew Okpeaha MacLean
2 Kommentare zu "On the Ice"
Oh, das wundert mich aber. Ich empfinde mich selbst oft als polemischen Haudraufke, der immer wieder das Bedürfnis verspürt, sein Urteil zu überdenken. Dies entspringt dem Wunsch, dem Film gerecht zu werden. ON THE ICE jedenfalls lohnt die Sichtung, den kann ich dir guten Gewissens ans Herz legen.
Wer dich so überzeugend vernimmt, kommt wohl um den Film nicht herum. Du bist sonst eher ein Relativierer. Bin mal gespannt. :)