Subway Riders
Von Silvia Szymanski // 26. Juli 2011 // Tagged: Gangsterfilm, Independent, No Wave // Keine Kommentare
Diese dunkel-glamourösen Großaufnahmen von Menschen – wie Straßen, die in den Film hineinführen: Amos Poes überschatteter, weicher Kinderblick. John Luries markantes, schüchternes Gesicht; sein Körper linkisch-elegant wie ein gerade geborenes Lauftier. Aber besonders die androgyne, dramatische, stolze Schönheit Claire Smith (Charlene Kaleina).
Alle hungern ohne berechtigte Hoffnung und seelisch ziemlich nackt nach zu vielem – Aufmerksamkeit, Lob, Liebe, Erlösung. Sie reden einfach, aber vieldeutig; jeder ist ein Schicksal, eine Spannung, ein Geheimnis. Vielleicht hat Amos Poe dabei auch an Fassbinder gedacht. Dessen Name taucht im Film auf einer Kinoanzeige auf: „Die Ehe der Maria Braun“ läuft in diesem sehr ungemütlichen New York zusammen mit dem Porno „A bitch in heat“ starring Penelope Trasher.
Trasher wohnt auch im Haus X. Fast alle wohnen dort, es ist ein Haus voller Prostituierter und Saxofonisten. Eins dieser Souterrainhäuser mit den Außentreppen zum 1. Stock und den Feuerleitern hinten, die heute, nach der Gentrifizierung New Yorks, längst den Reichen gehören. In den 1980er Jahren wirkten diese prekären Behausungen düster wie im alten Lüttich.
Die interagierenden Bewohner: 1. Die schon erwähnte, aggressiv-toughe Penelope Trasher („In dieser Stadt kann dir nichts gleichgültig sein. Wenn der Kellner dir Tee statt Kaffee bringt, musst du Krach schlagen.“) 2. Das Callgirl Carmen mit der tollen Figur und Sextechnik, für die die Kunden sie mit Lob überhäufen – ihr Grund, in dem Geschäft zu sein. Ansonsten übt sie sich in Gleichgültigkeit gegenüber dem Senf, den ihre Männer sonst noch von sich geben („Wenn meine Tochter so wäre wie du, würde ich sie erschießen – na ja, also bis nächsten Mittwoch.“) Die beiden Mädchen führen einen Kleinkrieg gegen die beiden Jazz-Saxofonisten des Hauses (3. Amos Poe als Anthony, 4. John Lurie): Die sollen nämlich gefälligst mit dieser Discomusik auf ihren Tubas oder was das ist aufhören und sich einen Heizlüfter kaufen, der macht schönere Geräusche. Nein, weiche, unschuldig bittende Blicke musizierender Männer rühren diese abgebrühten Frauen nicht. „Jazz, ist das, wenn jeder zur selben Zeit was andres spielt?“: Anthonys sarkastische Frage charakterisiert auch sein Haus und seine Stadt.
Zwei starke Figuren wie aus einem dunklen Comic sind auch der Polizist Fritz Langley (Robbie Coltrane) und seine rauschgiftsüchtige Frau Ellie (Susan Tyrrell). „High on crime and feeling groovy“, sagt Fritz zynisch über sich in seinem knappen Slang, “in a big city under pressure with a big D for depression around every corner” – in dieser klischeereichen, aber musikalischen und leidenschaftlichen Sprache ruft auch vom Rande des Geschehens und des Wahnsinns ein getriebener Beat-Poet Leuten ein improvisiertes Gedicht hinterher. Und Ellie: gequält und durcheinander, hysterische Krämpfe, brennende Wärme, küsst den Spiegel, spuckt ihn an, küsst, spuckt… „Er war einmal ein Mensch, warmherzig und lustig“, sagt sie über Fritz, in einem der großzügigen Soli, die der Film seinen Leuten gern gestattet, „jetzt ist er einer dieser armseligen, kleinen Männer, die alles töten und Liebe als Schwäche belächeln.“
Ein „film noir“ – ja, auch mit dessen bedeutungsvollen Sätzen und Coolnessübungen, aber ohne artifiziellen Chic, und mit lakonischen Pointen. Ein Mann kommt zu Lurie, der in der Subway Saxofon spielt, lobt ihn und entschuldigt sich, dass er kein Geld hat, das er ihm geben könnte. Aber er habe das hier, sagt er plötzlich, zieht ein Messer und will Luries Geld. Na ja, zu Luries Glück ist das nicht der psychopathische Serienmörder, vor dem die ganze Stadt Angst hat. Eines Nachts aber sieht die Kamera Anthony, unseren 2. Saxofonisten, auf dem Heimweg vom Spielen und Morden in der Subway zu einer Unbekannten ins Auto springen. Sie sieht zufällig seine Pistole, ahnt alles, fährt ihn aber ruhig nach Hause. Eine schöne, rätselhafte Frau, die hier ein bisschen wie Zarah Leander gefilmt wurde (director of photography: Johanna Heer). Irgendwann später sitzt Anthony betrunken und allein in seinem Zimmer und murmelt aufgewühlt und weh und einsam, ich will eine Frau, ich will so eine Frau wie dich. Im nächsten Moment sehen wir, wie die Fremde ihre kleine Tocher zur Oma bringt und dann, mit ihren weißblond gefärbten Haaren über dem edlen, überzeichneten Männergesicht, mit ihrem dramatischen June-Miller-Cape und dem Grace-Kelly-Kopftuch, über die Feuerleiter zu Anthony durchs offene Fenster steigt. In ihrer ruhevoll atmenden Art sagt sie dunkel: „Angstlose Menschen sind entweder naiv oder schuldig. Naiv bin ich. Und du bist schuldig.“ Selbst (oder gerade) kitschverdächtige Gedanken klingen aus dieser seltsamen, magisch selbstsicheren Frau erhaben.
Nackte Angst, alarmierte Aufmerksamkeit, aber kein Fluchtimpuls. Der Film bleibt einfach stehen und schaut einen verletzt und mit großen Augen an. In dieser Atmosphäre erhalten die abgeschabten, schmerzvollen Menschen eine faszinierende Größe. Die hat nicht mit Moral zu tun. Ich glaub, sie kommt davon, dass das Innere der Leute ernst genommen wird. New York wird gezeigt als unentrinnbarer, endzeitlicher Moloch, in dem die Figuren herumlaufen wie in einem röchelnden, finsteren Kadaver. Der Soundtrack (Ivan Kral) unterstützt dieses Gefühl, diese fast pausenlosen, undefinierbaren, animalischen Hintergrund-Nachtgeräusche – das panische Trappeln und Wiehern von Pferden, das angstvolle Trompeten von Elefanten, Geräusche von Rasseln, Propellern, Nebelhörnern, das Heulen des kalten Windes… Ich will nicht zu hoch greifen, aber plötzlich dachte ich an die expressionistische Stadt, die ich mir vorgestellt habe, als ich Dostojewski gelesen habe. Heute sieht man in der Kunst Städte und Menschen selten so an; höchstens vielleicht in Comics oder Science-Fiction, oder man ist drogensüchtig. Man hat sich einen reduzierten Blick antrainiert. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich manche Filme, wie auch diesen, liebe: Diese Menschen sind echter als ich. Sie handeln emotionaler, ungewöhnlicher, wie in Träumen. Sie sagen, was los ist. Oder machen es ohne Worte deutlich.
Am Ende schaut der von der Polizei schwer verletzte Anthony aus einem von Claire herbeiorganisierten finalen Rettungshubschraubers runter auf New York. „Zu viele Dämonen“, sagt er und ist weg.
USA 1981, Regie: Amos Poe