Alphabet City

Von  //  21. Juli 2011  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Close-up und Rotlicht: Schöne Frauenhände streicheln sanft zu 80er-Jahre-Synthieklängen über eine muskulöse Männerbrust. Das Netzhemd mit seinen schwarzen Rippen wird spürbar, die Erotik der beinahe frei liegenden Haut wird mit Fingerspitzen und Augen aufgesogen, das Medaillon an der Silberkette glitzert verführerisch im Gegenlicht. Da packt der Mann zu, mit Lederhandschuhen gepanzert, wirft die Frau herum, blonde Haare fliegen durch die Luft, er reißt ihr das Oberteil herunter, Brüste, Bauch, Nacktheit. Kopfüber hält er sie, öffnet die Hose und während sie nach unten rutscht, zieht er ihr die Hose aus. Auch er wird nun sanftmütig, kann sich gehen lassen, nachdem er gezeigt hat, wozu er fähig ist. Sie nimmt ihn zärtlich bei den Handgelenken und öffnet vorsichtig die Schnallen seines Nietenarmbandes…

Eine symptomatische Szene aus Amos Poes Alphabet City ist dies, da sie wie in einem Nukleus die herausragenden Eigenschaften des Filmes enthält. Die Optik, der Look, die Klamotten, die Ironiefreiheit, das Styling, die Zelebration des Moments, dies alles ist wichtiger als der autoritäre Terror des spannungsbogenübergreifenden Pacings. Die Szene findet freilich bei ihr statt, der Freundin des Protagonistin: Künstlerin, klar, großformatige Bilder im Fabriketagenatelier. Er hat kein Zuhause, der Gangster und Geldeintreiber für den großen Boss dahinter, der ihn immer wieder enorm unter Druck setzt. Johnny (Vincent Spano) muss denn auch einen großen Batzen eintreiben und außerdem das Haus seiner Mutter niederbrennen. Es geht um Immobilien und Versicherungsbetrug. Irgendwie.

Überhaupt ist es nicht immer klar, um was es in diesem schwülen Film geht – in dem es immer Nacht ist und aus den Kanalisationsdeckeln der Nebenstraßen raucht. Die Mülltonnen brennen allenthalben im Viertel zwischen Avenue A bis Avenue D, dem Immigrantenviertel in New Yorks East Village. Eine heiße Gegend ist das, Szene, Drogen, Subkultur, Diskotheken. Hier wird noch ordentlich auf der Straße gebreakt. Yo, man! Aber irgendwie sind die Logiklöcher und Brüche in der Erzählung auch egal. Spannungsbögen sind was für kleingeistige, korrumpierte Hollywoodnasen, hier geht es neben dem Plot nicht minder um die Stadt, die Zeit, den „Zeitgeist“. Und die Sehnsucht, aus dieser eigenen Zeit auszubrechen, die Kleidung sprichwörtlich abzulegen, und einen ruhigeren Hafen anzusteuern. Ist es wieder das Bürgertum, wohin die Reise gehen soll? „This is the last chance to be someone else!“ Dies will, naturgemäß, klischeebehaftet die Frau im Film, die sich auch um das Kind kümmern muss, während der Gatte im weißen Pontiac Trans Am durch die Nacht rast und melancholisch guckt (ein Remake von Herzog mit Cage in der Hauptrolle wäre die Lösung, wie in Bad Lieutenant: New Orleans – Port of Call).

Amos Poes Film mäandert durch die Nacht, stolpert, gerät aus dem Rhythmus, schlägt Haken, begeistert frühestens auf den zweiten Blick. Wer aber ein Herz für den B- oder C-Film hat, und sich in einen Film hineinsetzen kann, still und für sich, während alle anderen schon im Bett sind, dem dürfte Alphabet City als kleines Bonbon im heimischen Mitternachtskino sehr gut schmecken.

USA 1984; Regie: Amos Poe

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Über den Autor

Michael Schleeh schaut vor allem asiatische Filme. Seit ein paar Jahren betreibt er das Blog SCHNEELAND und schreibt Reviews für verschiedene Webseiten. Indisches Regionalkino ist sein aktuellstes Ding. ~~ Michaels Filmtagebuch: http://letterboxd.com/schneeland/ ~ Michaels Twitter: @mono_micha

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