Trainspotting 2
Von Jamal Tuschick // 1. März 2017 // Tagged: Britisches Kino, featured // Keine Kommentare
Das offene Geheimnis der Geheimzahl
Trainspotting 2 ist sehenswert
Beliebige Rekombinationen fieberhafter prekärer Aktivität haben das politische Bewusstsein verdrängt, sagt Franco Berardi. Fieberhafte prekäre Aktivität passt wie die Faust auf das Auge des Geschehens. Von politischem Bewusstsein war sowieso nie die Rede, in “Trainspotting – Neue Helden” geht es lediglich um Bewusstsein im klinischen Sinn. Ist man gerade bei sich/ oder muss man zurückgeholt werden/ und lohnt sich das überhaupt noch. Junge Schotten klauen und raufen sich das Leben zusammen. Gescheucht von Heroinfurien, expandieren Simon David „Sick Boy“ Williamson, Mark „Rents“ Renton und Daniel „Spud“ Murphy bis nach London. In der Zwischenzeit bringt Vernachlässigung das Baby von Simones Freundin um. Auch der assoziierte Nadelfreund Tommy stirbt einen Drogentod. An den Junkies klebt der hochaktive Kleinkriminelle und Wirtshausterrorist Francis „Franco“ Begbie. Der Maniac bleibt auf der sicheren Seite des Alkohols. Daran gewöhnt, gegen die moralischen Eckpfeiler ihrer Gesellschaft zu pissen, pissen sich die Homies schließlich gegenseitig an.
T2 setzt das Desaster von 1996 fort. Nach zwanzig Jahren kehrt Rent (Ewan McGregor), der helle Kopf der Gang, clean aus Amsterdam zurück und will die Kumpel ohne Verzögerung einen Verrat im Wert von sechszehntausend Pfund vergessen machen. Er markiert den Sieger mit zwei Kindern. Die Wahrheit sieht dürftiger aus. Die Erweiterung der Basiserzählung liefert Irvine Welshs Roman “Porno“. Zuerst trifft der Heimkehrer Simon (Jonny Lee Miller), der in Edinburgh-Leith die Kaschemme Port Sunshine als Vermächtnis seiner Tante führt, nahtlos kokst und säuft und mit der Migrantin Veronika (Anjela Nedyalkova) Volkspornos dreht, deren männliche Darsteller von ihrer Beteiligung erst einmal nichts wissen. Simon plant Großes, er will mit EU-Mitteln ein Bordell aufziehen und Veronika da zur Madame machen. Für ihn ist Rents Verrat noch lange nicht Schnee von gestern, er zeigt den Schmerz und die Ranküne eines um letzte Gewissheiten Betrogenen. Das ist der philosophische Teil. Rent decouvriert die Floskeln der Freundschaft: “Wir haben alle beklaut, da war es doch nur folgerichtig, sich auch noch gegenseitig zu beklauen.” Er stellt den Kameradschaftsdiebstahl als gewöhnliches Verhalten in einem Suchtregime hin. Er verbindet damit seine Männlichkeit und Intelligenz, so dass dem Zuschauer die Brüchigkeit der zur Schau gestellten Existenzform nicht entgeht. Rent, der Befreite, argumentiert immer noch wie einer, für den es kein Morgen gibt. Aber natürlich gehört ihm die Zukunft als vormals engster Verbündeter und aktueller Partner von Sick Boy. Dem nächsten Verrat die Tür öffnet Veronika. Sie findet Rent schärfer (intakter) als Simon. Man erkennt die bürgerlichen Sehnsüchte aller in den Anbahnungsszenen. Dem EU-Gremium binden die Komplizen einen riesigen Bären auf. Rent und Simon gehen auf Beutezug in einem Pub voller Protestanten, die verbotene Lieder singen und einen auf das Jahr 1690 datierten Wendepunkt in der schottischen Geschichte mit viel Bier bedauern. Die Freunde bringen die Kreditkarten der Unionisten an sich, sie fliegen fast auf und ersingen sich die Freiheit mit anti-katholischer Stehgreiflyrik. Das Publikum plündern sie am nächsten Automaten. Das offene Geheimnis der Geheimzahl: 1-6-9-0. Offensiv süchtig geblieben ist Daniel (Ewen Bremner). Er hat ein Kind mit der nun soliden Allison. Ihm erklärt Rent, wie er sich geholfen hat. “Man bleibt süchtig, daran lässt sich nichts ändern. Man muss etwas Gesundes finden, wonach man süchtig sein kann.” Spud investiert enorme Hoffnungen in den neuen Messias, der ihn eines Morgens zum Laufen abholt. Der von Lebensuntüchtigkeit Gestempelte durchschaut Rents Fadenscheinigkeit nicht. Simon bringt sie erbittert auf den Punkt: “Du machst auf Tourist in deiner eigenen Jugend“. Während jede Menge emotionale Abwässer in Simones Kanal fließen, entlässt sich Begbie (Robert Carlyle) selbst gewohnt schneidig aus dem Gefängnis. Der Psychopath versagt im Bett der von einer Haushaltserweiterung nicht begeisterten Gattin. Er scheitert bei dem Versuch, seinen Sohn mit der Illegalität zu verschweißen. Als Begbie erfährt, dass Rent in der Stadt ist, läuft er Amok. Der Film erschöpft sich mehrmals in Verfolgungsjagden, die als running gag zu Abkürzungen in den Handlungsuntiefen verkümmern. T2 erlaubt der Tragik in den Verstrickungen der Verworfenen zu wenig. Sie verraten sich immer weiter in Verhältnissen, in denen ihnen nur die Hinterzimmer bleiben. Ihre Regierung sitzt in der Unterwelt von Edinburgh und rechnet nicht mehr mit ihnen.
UK 2017. Regie: Danny Boyle. Mit Anjela Nedyalkova, Ewan McGregor, Jonny Lee Miller, Ewen Brenner, Robert Carlyle