Zeit für Legenden

Von  //  29. Juli 2016  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

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In der Mythenmühle, Der schwarze Ausnahmeathlet Jesse Owens schlägt Adolf Hitler 1936 mit der Wunderwaffe seines Körpers.

Bis gestern war Avery Brundage für mich ein Churchill – ein Mann, der die Welt anhalten konnte, so dass sie das Richtige tat. Nach dem Massaker von München 1972 sagte er als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees den entscheidenden Satz: The Games must go on. Das hieß auf Deutsch, wir beugen uns nicht dem Terror. Ich lief, schwamm, sprang und warf fast jeden Wettkampf vor dem Fernseher mit, ich betrachtete mich als zukünftigen Olympioniken. Es gab nichts anderes als Sport und Trainingsstörungen. Da sollte man Hausaufgaben und Besorgungen machen, da übernahmen unrasierte Finstermänner das Quartier der israelischen Mannschaft, obwohl der Gewichtheber David Mark Berger als zeitgenössischer Herkules am Start war. Nun weiß ich, dass Brundage eine zweifelhafte Rolle bereits in den diplomatischen Vorläufen zu der Olympiade 1936 gespielt hat.

In “Zeit für Legenden” spielt ihn Jeremy Irons gemein, aber auch cool und jedermann die Stirn bietend, als großes Übel. Die Botschaft: Don´t mess with Brundage. Zum Schluss knickt er dann doch vor Goebbels und Riefenstahl ein. Doch hat er zu diesem Zeitpunkt bereits ausgespielt und den Staffelstab der Bedeutung an den Titelhelden Jesse Owens abgegeben.
In der kolossalen, den Erdkreis und die Zeit abklärenden Mythenmühle erfüllten Owens Auftritte in der militant rassistischen Kapitale der deutschen Kriegsverlierer den Zweck eines Gegenhorizontes. Angeblich entzauberte Owens den Mythos der weißen Überlegenheit gleichsam im Alleingang, er zeigte es Hitler, penetrierte dessen Rassenwahn express. In Wahrheit bestätigte der Athlet aus Oakville, Alabama, Rassenklischees mit seinem Talent. Vielleicht funktioniert der Film deshalb (gegen meine Erwartungen): Weil er den amerikanischen Rassismus und eine perverse Arbeitsteilung bis zum Abspann auf der Tagesordnung hält. Noch als vierfacher Olympiasieger soll Owens – und nimmt die Abkürzung – durch einen New Yorker Dienstboteneingang. Ein Held übt sich in Demut. Das sieht man nicht gern.
Stephan James spielt den Läufer und Springer als Leichtigkeitswunder. Einmal hört man nur seinen Atem. Er ist allein unter Tausenden. Er fühlt sich frei wie sonst nie. Immer wieder überwandert die Kamera das glühend-gläubige, jeden Montgomery-Bus-Boycott und Trail-of-Tears perfekt beglaubigende Gesichtsmassiv, nach dem auch Riefenstahl (Carice van Houten) in ihren Breeches reitstiefelig giert. Vielleicht funktioniert der Film deshalb: Weil Regisseur Stephen Hopkins die Machtzentren wie eine Herrenmenschenverschwörung inszeniert, in der ein schwarzer Siegeswille u.U. bloß wie Vorwitz erscheint. Etwas, dass durchgewunken werden kann, sollte man gerade keine bessere Verwendung haben. Die Perspektive degradiert den Titelhelden zum Nebendarsteller, der sich von WASP-Egomanen seine Routen (auch die zu den Siegen in Berlin) vorschreiben lassen muss. Der Vorzeigestudent Owens entgeht der amtlichen Segregation auf der liberalen Ohio State University. Liberal bedeutet lediglich, dass die Diskriminierung nicht sehr weit die Marke alltäglicher Herabsetzungen überschreitet. Sein Trainer Larry Snyder (Jason Sudeikis) unterweist Owens in den Tugenden absoluter Selbstbezogenheit. Der Zögling schwankt zwischen repräsentativem Pflichtgefühl und (autonomem) Siegeswillen. Er ahnt, das eine schließt das andere aus. “Zeit der Legenden” stellt die separierenden Prozesse der Spezialisierung anschaulich vor den Betrachter. Man sieht das Prozessgetriebe. Hopkins rückt den Ökonomisierungsvorgang in einen bedingenden Rahmen der Monogamie. Eine Abweichung Richtung unkontrollierte Lebenslust wird sofort mit einer Niederlage geahndet. Nicht nur an dieser Stelle schrammt der Film ab, obwohl er bloß biografische Tatsachen transportiert.

Kanada/Deutschland/Frankreich 2016. Regie: Stephen Hopkins, mit Stephan James, Jeremy Irons, Carice van Houten, David Kross, William Hurt.



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