VoD: The Survivalist
Von Michael Schleeh // 1. Juli 2016 // Tagged: Apokalypse, Archaik, Drama, Dystopie, Endzeit, featured // Keine Kommentare
Es ist vor allem immer dieses Atmen, das man wahrnimmt. Dieses tiefe Atmen, um den Puls runterzubringen. Denn überall lauert Gefahr, schon alleine beim Türöffnen könnte draußen ein Feind stehen. Und der Feind ist in The Survivalist immer zugleich Todfeind. Das macht der Film schon in seiner ersten Einstellung klar, als der Einsiedler, einer der offenbar wenigen Überlebenden irgendeiner Katastrophe, eine Leiche an den Händen durchs Gras schleift und sie beerdigt. Aber dann auch nur so tief, dass man noch ans Oberschenkelfleisch rankommen könnte. Also: das Atmen. Ganz dicht dran ist man am namenlosen Protagonisten (Martin McCann), der eine indianische Frisur trägt, an den Seiten kurz und wie einen Irokesenschnitt nach hinten lang. Der seinen Körper rein hält und alles funktional. Der sich aufmunitioniert mit Waffen und Geräten. Der in seiner Hütte lebt, tief im Wald. Einen kleinen Acker bewirtschaftet und nach Hasen jagt. Jeder Schritt in der Natur ist nicht die Freiheit, sondern Bedrohung, Gefahr. Schneller zu sein als der oder das Andere. Geduckt laufen, flach atmen. Wie ein wildes Tier Spuren lesen, sich nicht überraschen lassen. Auch generell eher Knurren als Sprechen (mit wem auch?), etwa so wie Tom Hardy in Mad Max: Fury Road. Zu sprechen gibt es sowieso nicht viel, wenn man jahrelang in einer Hütte im Wald lebt. Ob er überhaupt noch sprechen kann, zeigt sich dann erst, als eine ältere Frau mit Tochter vor der Tür steht. Und gegen Essen gibt es Begehren. Das ist klar, ein simples Tauschgeschäft, in der die Moral abhanden gekommen ist und die Triebe regieren. Das hat auch nichts mit Kategorien wie gut oder böse zu tun. Es wird getauscht, was man hat, in dieser archaischen Welt. Aber ob das letztlich so klug war, die beiden Frauen in die Hütte und in sein Leben zu lassen, das wird sich erst noch beweisen müssen.
Der Film lief zuletzt bereits bei den Fantasy Filmfest Nights und erscheint in England beim British Film Institute. Das ist ein ganz guter Hinweis darauf, wie man den Film positionieren könnte. Denn ungewöhnlich ist er in jedem Falle (positiv). Er ist ein Genrefilm durch und durch – aber zugleich ein intensives Kammerspiel der Stille, das den Spagat hin zum künstlerisch ambitionierten Thriller wagt. Es herrscht eine diffus bedrohliche Atmosphäre wie in Cormac McCarthys Endzeit-Roadmovie The Road, unterfüttert mit dem Konzentrat aus The Walking Dead – wenn man alle Zombie-Action wegstreicht und sich auf das konzentriert, was die Serie eigentlich ausmacht: die minutiöse Betrachtung von menschlichen Interaktionen und Verhaltensweisen in Gruppen, die in Extremsituationen geraten sind. Hier nun nicht in mehreren Staffeln ausgeführt, sondern in knapp zwei Stunden. Dafür, klar, hier nur Kleingruppe. Und der Film ist dann auch recht deutlich was Nuditäten angeht, man bekommt Hintern und einen Pimmel zu sehen, genauso wie Brüste und Schambereiche. Ein Leben in Richtung Urzustand, jenseits aller gesellschaftlichen Regeln. Aber anstatt dies als Befreiung wahrnehmen zu können (die Utopie des völlig selbstbestimmten Lebens), zeichnet der Film eine nihilistische Dystopie. Es gilt freilich ausschließlich das Recht des Stärkeren und der Zwang zum Überleben-Müssen zwingt alle dazu, sich im Zweifelsfall durchzusetzen. Das menschliche Leben ist eben nur solange geschützt, wie es sich selbst verteidigen kann. Und letztlich weiß jeder, dass man im Ernstfall auf sich selbst gestellt ist. Übereinkünfte gibt es nicht mehr. Es ist ein vernichtendes sozialkritisches Urteil, das hier der Menschheit attestiert wird. Schade, dass dieser auch visuell den Zuschauer sehr in sich hineinziehende Film nicht im Kino läuft.
The Survivalist: UK 2015; Regie: Stephen Fingleton.
Der Film erscheint am 1.07.2016 als DVD, Blu-ray und Video on Demand im Handel.
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The Survivalist