Filmtagebuch einer 13-Jährigen #14: Terza Visione 2
Von Silvia Szymanski // 16. April 2015 // Tagged: Action, featured, Giallo, Horror, Italien, Italo-Western, Komödie, Seltsame Frauen, Thriller, Väter und Söhne, Väter und Töchter, Verwegene Frauen // 1 Kommentar
„Terza Visione“ ist ein Festival des italienischen Genrefilms im Filmhaus (und Kommkino) Nürnberg. Piraten, Western, Gialli, Horror… Die Kuratoren, Andreas Beilharz und Christoph Draxtra vom Filmblog „Eskalierende Träume“, gehören auch maßgeblich zu den Veranstaltern des „Hofbauerkongresses“, über den ich oft in diesem Tagebuch berichte. In diesem Jahr war das Festival nahezu ausverkauft. Über Terza Visione 1 habe ich im letzten Jahr hier geschrieben – aber nur über eine Auswahl, wie diesmal auch. Über alle Filme von Terza Visione 2 hat Oliver Nöding hier in seinem Blog „Remember it for later“ geschrieben. Und bei „critic“ unterhalten sich Michael Kienzl und Lukas Förster über das Festival.
Im Netz der goldenen Spinne (Alberto de Martino, 1966) „Missione speciale Lady Chaplin“
Lady Chaplin (Daniela „Liebesgrüße aus Moskau“ Bianchi) und ihre Assistentin Hilde (Helga Liné) sind elegante Geschöpfe – irgendetwas zwischen Flamingoblumen, Windhündinnen und Antilopen. Offiziell vermarkten sie die Kollektionen einer elaborierten Modefirma. Heimlich aber spielen sie ganz oben mit, als Drahtzieherinnen internationaler Millionenverbrechen. Daniela Bianchis edle, mokante Schönheit wurde von einer Synchronstimme mit auffälligem Düsseldorfer/Leipziger/Frankfurter? Akzent sabotiert. Einerseits eine Straftat. Andrerseits war ich entzückt und freute mich jedesmal darauf. Es gab ihr etwas vertraut Regionales, etwas von einer Boutiquebesitzerin beim Aachener Reitturnier.
Besonders sexy, als sie – scheinbar bedudelt, zur Tarnung ihrer Mission – mit derangierter Kleidung in ein Zugabteil voller uniformierter Jungs hereinschneit. Mit Alkflasche unterm Arm, um fraternisierend mit ihnen zu saufen; Marlenes schlampiges „The boys in the backroom” ließ grüßen. Sehr schön auch die minutiöse Synchronisation des herzig kompakten Geheimdienstchefs Heston (Philippe Hersent); du hörst jeden Schniefer, jedes „Hm“.
Die luxuriösen Accessoires und Drehorte in diesem Bond-ähnlichen Filmgebilde waren auch super: Das höllisch leicht brennbare Kleid aus, ich glaube radioaktivem, sanddornbeerenrotem Goldbrokat. Die auf einem Spiegeltablett wie animierte Schmuckstücke kämpfenden Skorpione. Der ungewollt steifbeinige, angestrengte Lauf des zwiebacktrockenen Geheimagenten Dick Malloy (Ken Clark) auf den steilen Treppen neben der Cablecar am Pariser Montmartre. Die Brücke vor Manhattan, auf der Malloy so oft seinen goldigen Chef traf. Ihn, Philippe Hersent, sieht man am schönsten auf dem Bild hier – rechts neben Ken Clark in „Vollmacht für James Clifton“.
Das nackte Cello (Pasquale Festa Campanile, 1971) “Il merlo maschio”
Constanza (Laura Antonelli) und Niccolo (Lando Buzzanca) Vivaldi führen eine Kinderehe, wie Vogelgeschwisterchen oder das Vogelfängerpärchen aus der „Zauberflöte“. In ihrer Hochzeitsnacht albern sie lieber beschwipst herum als sich an Sex heranzuwagen. Spielen die kleine Hausfrau und den fleißigen Brötchenverdiener – beides nur mit mäßigem Erfolg. Sie hat sich einst in ihn verliebt, als er sehr hübsch auf einem Talentwettbewerb den Paarungsgesang eines Amselmännchens imitierte. Und findet ihn noch immer wunderbar – das antwortet sie ihm glaubwürdig aufrichtig auf seine ungläubige Nachfrage. Auch wenn sie merkt, dass andere ihre Obsession nicht teilen.
Doch Niccolo ist unzufrieden. Die Liebe seiner niedlichen Frau, seine bescheidene Karriere, das kann ihm nicht genügen. Er braucht eine größere Rolle, um sich als Mann zu fühlen. In dem klassischen Orchester, wo er seit Jahren Cello spielt, geht er unter. Die Kollegen merken sich einfach nicht, wie er heißt; überhaupt übersehen ihn fast alle Leute. Aber sie beachten seine Frau. Denn unter ihrem unscheinbarem Gefieder und ihrem blassen, feinen Gesichtchen hat Constanza einen sehr schönen Körper.
Eines Tages kommt Niccolo auf die Idee, Nacktfotos von ihr zu machen, um damit vor seinen Kollegen anzugeben. Zunächst heimlich, dann mit ihrem zögernden, erstaunten Einverständnis. Und immer weiter geht sie gutwillig auf seine eskalierenden Vorschläge ein. Sie wird sein Instrument, sein Cello, sein Werk, das er dirigiert und – gegen die Währung der Bewunderung – vermarktet. Vielleicht schmeichelt Constanza seine kindliche Begeisterung. Vielleicht rührt sie sein aufgeregtes Flattern, dieser beseelte, manische, woody allenhafte Eifer. Jedenfalls versucht sie, ihre neue Rolle möglichst gut zu spielen. Zudem facht das Spiel auch endlich beider sexuelle Leidenschaft an.
Das Problem ist nur: Er kann nicht aufhören. Kein Triumph gilt ihm genug. Wie manche Märchenfiguren will er mehr, mehr, mehr. Schließlich erfüllt ihm Constanza den heimlichen Wunsch, bei einem Konzert seines Orchesters als Chorsängerin in der ausverkauften Arena in Verona ihre Hüllen fallen zu lassen. Dieser Höhepunkt aber bringt ihn endgültig um den Verstand. Fortan muss Constanza Niccolo in der Psychiatrie besuchen, wo er weiter mit ihr angibt und den Mitpatienten quasi Tickets für das Berühren ihrer Brüste verkauft.
Mehr eine Groteske oder Farce als eine Nimm’s-nicht-so-schwer-Komödie. Eine leichte, komische Oper mit einem dunklen, traurigen Kern. Niemand bremst Niccolo, weil für ihn und alle der Wert des Ehrgeizes und des Bewundertwerdens außer Zweifel stehen. Perfekt besetzt ist das, alle spielen klug und witzig. Und die Geschichte ist, auch wenn mich die Enge des klassisch kulturbürgerlichen Lebensstils in ihr bedrückt hat, literarisch-psychologisch fein durchdacht. Nur der Ich-Erzähler redet unnötig viel… aber eigentlich passt auch das.
Opera (Dario Argento, 1987)
Junge Sängerin in großer Not. Mit gnadenlosem Sadismus wird ihr erst ihr netter Freund und dann ein lieber Mensch nach dem anderen durchbohrt, gesprengt, zerrissen. Am Ende sieht man ihr gegen alle Wahrscheinlichkeit immer noch lebendes Gesicht groß zwischen den Wildblumen einer Alpenwiese, aus der Perspektive eines Salamanders, der sich dort in irgendwas verfangen hat. Und den dieser entsetzlich gequälte Mensch befreit, so dass wenigstens etwas endlich gut ist.
Bora Bora (Ugo Liberatore, 1968)
Doris Kunstmann ist so schlank als käme sie vor lauter sexuellen Abenteuern gar nicht mehr zum Essen. Ein bleichblondes, überhelles, wie mit Mehl bestäubtes Mädchen. Weich und feucht wie Löwenzahn. Und ausweichend; etwas an ihrem Gesicht (die Nase?) gibt ihr den Ausdruck von mildem Spott. Vielleicht ist das aber auch nur Verlegenheit, wegen zu großer und zu unanständiger Gefühle. Abwägend, wie aus einem Versteck, scheint sie die Männer zu beobachten. Bis sie, denkt man, jemanden hinter den Vorhang lässt, um dort sehr nackt und rückhaltlos mit ihm zu sein. Einen „Spiegel“ Reporter erinnerte sie an Botticellis Venus: mein Kollege Florian Bülow machte mich darauf aufmerksam, und es stimmt verblüffend. Susanne, das Mädchen, das sie in dem Film verkörpert, lebt schon lange auf Bora Bora. In die (auch dank der sehr guten Filmkopie) leuchtend farbige Schönheit der Südseeinsel dringt Roberto,ein westlicher Teufel im Paradies, auf der eifersüchtigen Suche nach seiner entlaufenen Freundin. Überzeugend unsympathisch gespielt von Corrado Pani, dem Bösen aus dem Western „Matalo“ vom 1. Terza Visione und auch einem der Halbstarken aus Leopoldo Savonas „Le notte dei Teddy Boys“ beim diesjährigen Festival. Ein dominanter Typ, der sich nicht vermischen kann/will, und den es rasend macht, durch andere Männer mit braunerer Haut vermeintlich ersetzt zu werden. So wälzt er sich im eigenen Gift, spuckt und beißt nach allen Seiten. Und gewinnt damit sein Weib zurück. Die Insel aber wiegt sich weiter mit ihren freundlichen Leuten, ihrem Glitzern und der flimmernden Musik.
Der Kampfgigant (Bruno Mattei, 1987) „Double Target“
Im Hauptquartier der C.I.A. freuen sich Männer über eine gelungene Mission. Befremdlich lange klopfen sie sich hölzern auf die Schultern, tauschen affirmativ Handschläge aus; selbst der magenbittere, Franz Müntefering ähnliche Mike Monty lacht und lacht. Die Szene hat etwas knarrend Mechanisches – wie Spielzeugautomaten auf der Kirmes. Oder terroristische Bekennervideos – so laienhaft, so disparat gecastet, so hochmotiviert. Die Requisiten wirken wie rasch um die Ecke eingekauft; man glaubt fast, die Papiertüte mit der angehefteten Rechnung noch irgendwo zu sehen. Drei identische, fabrikneue Telefone, ein selbstgezeichnetes (oder nadelkopiertes) Porträt des lachenden Ronald Reagan, ein liebevoll selbstgemaltes Poster mit dem C.I.A. Abzeichen. Man könnte meinen, man sei bei Monty Python. Aber es ist ernst gemeint. Obwohl, so kann man das auch nicht sagen.
Es ist ein toller Film, der sich autodidaktisch und wie ein Poser an viel zu große Nummern wagt und kurioserweise nicht mal daran scheitert. Er soll eine Art Coverversion von Rambo 2 sein, hat aber für alles nur Ersatz- und Notlösungen parat. Das schafft eine ureigene Filmgrammatik in einem Stil, den ich so noch nirgendwoanders gesehen habe. Alles ist voller bunter Schatten, nächtlichem Glanz, frisch beleuchtet, groß, rasant.Ein Werk des Willens und des Mutes, das nie kritisch in den Spiegel schaut.
Wie seine Hauptfigur. Bob Ross (Miles O‘ Keeffe) ist ein gnadenlos überzogener, puppenhaft starrer Actionheld mit einer kontext- und konkurrenzlos markigen Mimik. Wie er sich den Weg bahnt, alle Türen eintritt, alles rechts und links von sich weghaut! Aufwändig und spektakulär wie ein wilder Jahrmarktszug. Überall rollen die Männer von ihm weg, „alles stirbt um ihn herum“, wie sein kleiner Sohn einmal betroffen sagt. Und so wie er, so glaubt auch dieser Film gegen jede Vernunft an die eigene Großartigkeit in der Tradition der Raupenbahnaufspringer. Und man geht mit; man wird zum Jugendwohnheimsjungen.
Camouflageuniformen mit grell kontrastierenden, blau-weißen Accessoires. Gewehre, die gefährlich unter Tüchern wie aus Vorhäuten hervorlugen. Ein echter Tropenpalmenstrand, gemixt mit ganz woanders nachgedrehten Szenen. Ein knackiger Hai, der mitten auseinanderfliegt wie eine leere Erbsenschote.
Dass Ross sich auf dieses militärische Himmelfahrtskommando „nur“ eingelassen hat, um seinen kleinen Halbwaisensohn zu finden, erfüllt seine Kameraden mit ungläubigem Erstaunen. Aber er ist auch gar kein ziviler Daddy. Er ist einer dieser Heldenväter, die mehr Verheißung sind als verbindliche Realität. Mehrmals weist er Frau und Kind an, zu warten, weil er Wichtigeres erledigen muss. In einer fast biblischen Szene nimmt er den zu ihm aufblickenden Kleinen mit auf eine weite Wiese unter einem großen, vaterlosen Himmel. „Ich komme zurück und nehme dich mit nach Hause, nach Amerika“, verspricht er. Und verlässt ihn; den Zusatz „Ich meine, was ich sage“ verweht schon fast der Wind. Von so einem Vater kann man buchstäblich nur träumen. Film und Hauptfigur sind sich aber einig, dass gerade das Format und Größe hat. – Ein großes Vergnügen, und auf nicht näher zu definierende Art ein Meisterwerk.
Entlein quält man nicht (Lucio Fulci, 1972) „Non si sevizia un paperino“
Die Entlein sind elf oder zwölf Jahre alte Dorfjungen in ihrem letzten großen Spielsommer – Tick, Trick und Track , die sich aus ihren Nestern weit vorwagen und heimlich dem Sex der Älteren zuschauen. Die unglückliche Dorfhexe (Irene Papas) hat sich, im Glauben an den eigenen bösen Zauber, Voodoopuppen von ihnen genäht, in deren weiche Körperchen sie Nadeln sticht. Schon das ist so auffällig sadistisch, dass man weggucken will; irgendwie erscheint in diesem Film Gewalt, auch in den expliziteren Szenen, echter und treffender als anderswo uns grell, fast poppig. Wie ein Störsound, ein fettes Dröhnen fließt die Tat wie Tinte in die oft sensationell feine Filmkomposition. Man kennt das von manchen Renaissancegemälden, diesen Gegensatz von flirrend stiller, mittäglicher Helligkeit und einer schwarzen Schandtat. Solche Bilder können vielleicht nur aus einer schon als Kind von volkstümlichem Aberglauen und Katholizismus erschreckten und erweckten Fantasie entstehen. In einer knisternden Szene versucht die schlangenhafte Barbara Boucher, einen der Jungen zu verführen. Er bebt vor ungläubiger Angst und aufgeregten Gefühlen. Toll die zupackende Kamera, die mit Haut und Haar in alle Emotionen und Tumulte hineingeht. Auf dem Bild links: Die glitzernde Woge im langsam wippenden Glashafen – ein fast vergessenes, extravagantes Deko-„Objekt“ der Siebziger Jahre.
Ringo kommt zurück (Duccio Tessari, 1965) „Il ritorno di Ringo“
Ich kannte Giuliano Gemma bisher nur als „Bravo“ Glamourboy, dessen Foto man sich ausschnitt und ins Mäppchen klebte. Und wirklich könnte man ihn endlos ansehen.
Versonnen, tief in Gedanken, schaut er als Ringo seinem Leben zu, wie es fremdbestimmt verrinnt. Er ist ein sanfter Mann, der lange abwartet, bevor er handelt. Aus dem Krieg zurückgekehrt, verdingt er sich, wie ein Prinz in einem italienischen Fokloremärchen, verkleidet als Gärtnergesindel am Hofe des neuen, bösen Mannes seiner Frau, der ihr erzählt hat, er sei tot. Der schrullige Obergärtner und Hobbyerfinder wird sein Freund. Heimlich geht Ringo nachts in das Zimmer seiner Liebsten und deckt seiner schlafenden kleinen Tochter den nackten Popo zu – eine unschuldig zärtliche Geste, die heute überschattet würde von Verdächtigungen, die diesem Film ganz fern liegen.
Der Wind wirbelt irreal viel Heu und Spreu durch die staubige Westernstadt – wie Gedanken, die den Bildern in die Quere kommen. Der Sheriff, auch ein Freund von Ringo, benutzt den Schal um seinen Nacken als Flaschenzug, um die zitternde Hand mit Schnapsglas zum Mund zu befördern. Das Saloongirl schläft mit Reich und Böse, bleibt aber autark. Wie ein Archetyp, wie etwas Ewiges reitet sie auf ihrem Eselchen davon.
Zur zweiten Halbzeit kommt Ringo verwandelt aus der Kabine. Er kann nicht länger Blumenkind sein; der Film ändert seine Tonart und wird kämpferisch und fast so lustig wie Spencer & Hill. Wie er in seine lange, verwehte Erzählung Blüten windet, wie Maurizio Graf verzweifelt den Titelsong schmettert und wie man Ringos Innenleben spürt, ohne dass Gemma es zur Schau stellt und an die Oberfläche dringen lässt… „Ringo“ war für mich der schönste Film des Festivals. (Hier hat, schon vor Längerem, auch Udo Rotenberg über ihn geschrieben.)
Rächer der Meere (Domenico Paolella, 1961) „Il giustiziere dei mari“ Ich habe ihn verpasst! Das tat mir Leid. Er soll richtig gut gewesen sein, erzählten meine Kollegen – viel nackte Haut, Richard Harrison in Ketten, ein sexy Kapitän… aber er lief mittags als erster Film, und ich Esel hielt es für eine gute Idee, weiter im Hotel zu schlafen, um fitter für die anderen Filme zu sein. Was noch nicht mal klappte.
In einem Sexclub um die Ecke, wo wir einige Absacker tranken, liefen in einer Kammer hinter einem schwarzen Vorhang speisekartengroße Pornos. Einem strahlend betrunkenen, stolz grinsenden Muskelmann war es wichtig, meiner hübschen Kollegin zu versichern, er sei hetero. Aber noch wichtiger schien es ihm, meinen hübschen Kollegen oft beiläufig anzufassen. Beim Abschied erzählte er uns rührend entschuldigend, wie viele Drinks er schon intus hatte. Dabei waren wir in seine Welt geschneit, nicht er in unsere.
Terza Visione wird auch im nächsten Jahr wieder stattfinden, wenn auch wahrscheinlich nicht mehr in Nürnberg. Das Interesse ist mittlerweile so stark, dass man in einer anderen Stadt nach einem größeren geeigneten Kino suchen muss. Ich hab durch das Festival ein Faible für diese Filme entwickelt und freue mich schon aufs nächste Mal.
Ein Kommentar zu "Filmtagebuch einer 13-Jährigen #14: Terza Visione 2"
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