Die Kuckucks
Von Jamal Tuschick // 10. März 2015 // Tagged: Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Orgien der Verdrängung
In Trümmerdeutschland sind Frauen „feine Kerls“
Es scheint überhaupt nichts anderes mehr zu geben außer feine Kerls. Sieht man von den Geriebenen und Durchtriebenen einmal ab, die nun aus dem Portfolio der gestauchten Volksgemeinschaft gezogen werden müssen. Randgruppen und Minderheiten lassen sich gerade nicht vorführen, man ist selbst Randgruppe so kurz nach Fünfundvierzig. Aber immer ein „feiner Kerl“. „Die Kuckucks“ entstanden in der politischen Schwebe der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) als frühe DEFA-Produktion – uraufgeführt im Babylon neben der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz. Man sieht Pankow, die Ossietzkystraße, die Breite und die Berliner Straße. Die kriegswaisen Kuckucks müssen einmal wieder umziehen, in der Regie von Inge. Ina Halley spielt die große Schwester als Hochpatente ohne Fehl. Sie bildet eine Märchenfigur ab. Inges Aufopferungsbereitschaft ist der Sexappeal der Verlierer, Bewegungsfreiheit haben nur Max und Moritz gleichsam als Kinder ihrer Schwester. Da spielt das Narrativ von der jungfräulichen Empfängnis mit, Verlierer haben nämlich keinen Sex, in diesem Kontext sind die jüngsten Geschwister als „Kinder“ noch solide aus der Zeit, als alles besser war.
Dem Trümmerfilm folgte das Heimatkino, man feierte Orgien der Verdrängung. Dieser Eifer einer Verweigerung von Schuld und Einsicht steckt in den „Kuckucks“. Hans Neie spielt den fast erwachsenen Bruder Rolf als Redlichkeit in Person mit prima Chef und einem Händchen für gute Kumpel.
Ich habe selten etwas so Entlarvendes gesehen wie diesen Film von Hans Deppe. Die zur Schau gestellte Katastrophe einer zerstörten Stadt bleibt ohne historische Umgebung. Als sei Deutschland grundlos angegriffen worden und noch einmal davongekommen. Die fünf Kuckucks fürchten von der Fürsorge auseinandergerissen zu werden, Flucht und Vertreibung sind für sie nicht zu Ende. Inge ergattert eine Villa in lausigem Zustand. Die Familie setzt mit vereinten Kräften und verstärkt von Hilfsbereiten die verfallene Pracht wieder in ihr Recht, Wohnung zu sein.
Der Vater ist nicht gefallen, nur verschollen. Das ist die Kuckucks-Legende, de jure wartet Inge auf ihre Ablösung durch den Vater. So argumentiert sie auf Ämtern, de facto erwartet sie ihren künftigen Mann. Das soll der Tüchtigste unter den Bewerbern sein. Alle kriegen Gelegenheit, sich zu beweisen, denn der Fiese und Miese steht schon auf der Matte und will die Kuckucks aus ihrem neuen Nest stoßen. Dazu ist er gar nicht berechtigt, der Berechtigte ist indes jung, gutaussehend, wohlhabend und wohlwollend – aber kein tätiger Mensch. Tüchtig tätig erscheint ein Nachbar der Kuckucks, Journalist bei der Berliner Zeitung. Ein Pfundskerl, sage ich euch. Rainer Penkert gibt den Hans Gersdorf mit adligem Mienenspiel. Der Hans schmunzelt in einem fort. Der schmunzelt sich durch den Film als ganz feiner Kerl. Der lädt auch seinen Rivalen im Kampf um Inge (der Kampf um Berlin ging leider verloren) zu echtem Kaffee ein. Mein Spott soll keinen abhalten, sich die „Kuckucks“ anzugucken. Der Film gehört zur deutschen Bewältigungspoesie. Er malt am Bild des Nachkriegsdeutschen und seinem Laubenpieperglück im Winkel. Der Verlierer dichtet sich um und erfindet sich neu – so deutlich wie im Beispiel werden soziale Evolution und die Tricks der Psyche selten sichtbar.
Sowjetische Besatzungzone 1949, DEFA, Regie: Hans Deppe, Drehbuch: Marta Moyland, R.A. Stemmle, Kamera: Robert Baberske, Walter Roßkopf