At Land + Entrance to exit
Von Jamal Tuschick // 2. Februar 2015 // Tagged: Experiment, featured // Keine Kommentare
Das große Rauschen
Man möchte einen Augenblick festhalten und braucht dazu eine Ewigkeit
Weißensee liegt weiß im Schnee. Der Schnee legt die Stadt still. Ich bin im „Delphi“ verabredet, das ist ein Fossil aus der Steinzeit der Kinos. Das Ensemble im Foyer stellen junge Amerikaner zusammen. Vollbärte kursieren. Die Überseehelden könnten Rollen in der Verfilmung eines Burroughsromans übernehmen, sie sehen aus wie ihre Beatnik-Opas. Dem Frost zum Trotz betonen Frauen ihre Figuren. Der von Farben der Vergeblichkeit kolorierte Aufwand erinnert an eine Oasiszeile: „I was looking for some action. But all I found was cigarettes and alcohol.“ Meine altersapathische Nachlässigkeit macht mich unsichtbar, ich fühle mich wie ein blinder Passagier in einem Raumschiff, das die Zukunft in einer anderen Sternenzeit hinter sich gelassen hat.
Zuerst sehen wir „At Land“ einem experimentellen Stummfilm von und mit Maya Deren aus dem Jahr 1944. In der ersten Aufnahme rollt der Atlantik an. Das Meer leckt die Füße einer Schönheit am Strand. Die üblichen Artefakte spielen Kulisse. Ein Baumskelett wird zur Leiter. Mayas Aufstieg zieht sich von sinnlich hin bis schwül. Die Kamera frisst das Gesicht. Der Film springt in eine Gesellschaft, Intellektuelle sitzen zu vertieft an einer Tafel, um zu bemerken, wie eine von sich selbst hypnotisierte Menschenschlange sich über den Tisch zieht. Schachfiguren bewegen sich von selbst, Maya kehrt zum Strand zurück. Jetzt verstehe ich, die erste Szene zeigte eine an Land gespülte Meerjungfrau, wir sehen einem Traum bei der Arbeit zu. Surrealismus, Existenzialismus und Riefenstahl-Ästhetik klinkern die Bilder, der Dichter Philip Lamantia leistet Maya Gesellschaft. Maya taucht in einem Krankenzimmer auf, ein Schnurrbart liegt im Sterben. Der letzte Blick folgt den unvermeidlichen Fußspuren im Sand.
Ich greife zu Salzstangen, die Überwältigungsarchitektur des „Delphi“ überlässt dem Publikum unbeheizbare Räume. Es gehen einem die Augen über, während die Füße erfrieren. 1923 drehte Man Ray „Le Retour à la Raison“ als Collage realistischer und surrealistischer Interieurs. Wollte man damals einen Augenblick festhalten, brauchte man dazu eine Ewigkeit. Eine Szene verspricht „Danger“. Die Arbeit zielt auf den weiblichen Körper, indem sie ihn mit Kreisen überzieht. Kiki de Montparnasse ließ sich das gefallen, der Film wirkt auf mich wie die Dokumentation eines künstlerischen Prozesses, der auf Kikis Busen hinaus läuft. Als Berater hätte ich gesagt: Wir fangen da an und da hören wir auf. Der Rest fällt unter den Schneidetisch. Okay, das wäre dann nicht experimentell gewesen.
George Brechts „Entrance to exit“ zeigt Unschärfen des Nichts an Bildrändern. Das Bild entspricht der weißen Leinwand so wie dem Schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch. Sie flackert und dunkelt nach wie früher, wenn Sendeschluss war – bevor das große Rauschen begann. Ich sehe mich um, Leute, deren Konzentration nach offiziellen Angaben ständig in Gefahr ist, scheinen gebannt. „Entrance to exit“ endet mit einem Wort.
„At Land“, USA 1944, Regie: Maya Deren
„Entrance to Exit“, USA 1966, Regie: George Brecht