Filmtagebuch einer 13-Jährigen #13: 14. Hofbauerkongress, 3. Nacht
Von Silvia Szymanski // 29. Januar 2015 // Tagged: 14. Hofbauerkongress, Animationsfilm, Bruno Sukrow, Deutsches Kino, featured, Horror, Italien, Pietrangeli, Science Fiction, Sexploitation, Vergewaltigung // Keine Kommentare
Foto: Wo, wann, mit wem
Was bisher geschah: 1. Nacht, 2. Nacht
Nürnberg, 4. Januar 2015
Wo, wann, mit wem (Antonio Pietrangeli/Valerio Zurlini, 1969) OT: come, quando, perché
Paola (Danièle Gaubert) sagt, ihr Ehemann Marco (Philippe Leroy) sei etwas Besonderes, deshalb liebe sie ihn. Aber Sex, das sei für ihn nur wie ein Glas kaltes Wasser. Sex sei auch überbewertet, sagt jemand (Paolas Mutter?) im Partyplauderton. Die Werbung spiele die Welle künstlich hoch, um Geld zu machen; jeder kriege heutzutage den Kinseyreport zu Weihnachten. Und auch über Paola sagt ihre in sie verliebte Freundin, sie wisse nicht, was Liebe sei und wie es schmerze, wenn sie nicht erwidert wird.
Schwieriges Thema. Ein bisschen wie in den Romanen von D. H. Lawrence.
Auch in „Ich habe sie gut gekannt / Io la conoscevo bene“ filmte Pietrangeli Menschen in „kleinen“ Verhältnissen so, dass man mit ihnen geht (wie ein Kollege es nannte). Und sah die bestürzende Schönheit von allem, während sie/wir trotzdem seelisch leiden.
Hier sind wir jetzt bei reichen Leuten. Bei Familienfeiern werden die Kinder nur kurz als aufgedrehte Schar mit ihren Gouvernanten in den Salon gelassen, um guten Tag zu sagen. Dann stürmen sie erleichtert wieder in ein anderes Zimmer, spielen. So ein Kind war Marco auch.
Ich finde es tiefsinnig und interessant von diesem Film, dass er die unbefriedigte, „gefühlskalte“ Frau mit der gleichen Aufmerksamkeit und Liebe zeichnet wie den unbefriedigten, „gefühlskalten“ Mann. Nachdenklich verharrt der Blick, heftet sich an beide, traurige Melodien summend.
Sie sind beide berührende Schönheiten. Philippe Leroy ist ein interessanter, eleganter Mann, der bestimmt oft einfach als Typ gecastet wurde. (Er ist erstaunlich wandlungsfähig; ich sah ihn schon in „Sieben goldene Männer“ und erkannte ihn hier nicht wieder). Aber wenn man ihn wirklich anschaut, und der Film tut das, ist man betroffen von der scheuen Hilflosigkeit und Zärtlichkeit, wenn er seine Frau berührt, als bitte er um Vergebung, nicht nur für seine Distanziertheit, sondern für alles, was er ist.
Furchtsam, im gut versteckten Schmerz, ist er immer noch ein Junge, der einsam wartet, dass jemand sexuell auf ihn zukommt. In seiner Kindheit tat das seine Kusine. Aber das muss eine Hysterikerin gewesen sein, denn nur die haben sexuelles Interesse, erzählte ihm die Haushälterin seiner Eltern. Gesunde und normale Frauen fühlten sich von Annhäherungen der Männer zwar geschmeichelt, machten „gewisse Dinge“ aber nur ihnen zuliebe. „Was meint sie damit nur?“, fragte ich meinen Sitznachbarn, und er, belustigt: „Du meinst mit ‚gesunde, normale Frauen‘?“ Und er hatte Recht. Die fatal fehlinformierende Haushälterin meinte mit „gewissen Dingen“ gar nichts Ausgefallenes, wie ich gedacht hatte. Nur Sex an sich.
Paola bewegt sich nur leise atmend und mit Contenance, um die Oberfläche nicht kaputtzumachen. Aber sie wird ohne Schuldgefühle schwach, in einem zu langen Feriensommer ohne ihren Mann, der sich zwar wahrheitsgemäß mit Arbeit entschuldigt, ohne ihr Wissen aber auch zu einer Geliebten, einer Lebedame, geht. Sie gibt dem Werben seines Freundes Alberto (Horst Buchholz) nach – freundlich, gelöst und endlich erstmals körperlich glückselig. Doch ohne aufzuhören, Marco zu lieben. Alberto verlässt sie enttäuscht, wie damals ihre Freundin.
Sie geht allein ins Kino. Ein Mann setzt sich immer wieder neben sie, hartnäckig wie die Sexualität selber, die sich nicht verdrängen lässt. Alberto ist fort, aber ihre Erregbarkeit geht nun nicht mehr weg.
Als sie mit Marco schläft, ist irgendetwas anders. Der Film zeigt das nur wie ein Echo. Marco ist hingerissen und kann sich gar nicht von ihr trennen. Ob das Bestand hat, weiß man nicht. Aber es ist von lebenswichtiger Bedeutung. 9,5/10
Der Film ließ mich an Benazerafs schöne „Cover Girls“ denken, die wir auf einem früheren Kongress gesehen haben.
Es schrieb außerdem: Oliver und Alex.
Im Fieber der Lust (Rudi Dorn, 1967) OT: Take her by Surprise
Der hypnotisierte Vergewaltiger hatte eine vage Ähnlichkeit mit meinem Vater: gutaussehend, unbeholfen und von ernsthafter Natur. In dem Film ist er ein überzeugend unschuldiger Mann, den sein Trieb wie von außen überfällt. Dieser süß holzschnittartig kantige Pulp funktioniert, wie ein Kinderspiel, nur, wenn man so tut als ob und Offenkundiges übersieht. Auch die Verfolgung des weiblichen Opfers wirkt eher wie eine amateurhafte, einvernehmliche Inszenierung als wie ein Verbrechen. Die Sekretärin des heimtückischen Ehemannes aber hatte den steilsten Busen der bisherigen Hofbauerkongresse. Bestimmt fast 45 Grad (kleinster pornogesetzlich erlaubter Erektionswinkel). Ich war gespannt, als der Hypnotiseur ihr befahl, ihr Kleid auszuziehen, aber sie sah darunter fast normal aus; ihr Busen setzte nur ungewöhnlich hoch an, so dass man sich, so lange er verdeckt war, etwas Übertriebenes vorstellte. 7,5/10
Es schrieben Oliver, Michael und Alex.
Blutjunge Mädchen hemmunglos (William Rotsler, 1971) OT: The Godson.
Sadistisch und gemein sind die Zuhälter hier zu den Frauen. Der Film geht da ganz mit ihnen und lässt sie sich nicht dafür schämen. Er will so männlich-markig, streng und böse wie ein Schundheftchen sein, und ist dabei doch süß – so drollig linkisch, neben der Spur und aus dem Rhythmus. Auch dass die Sexszenen viel zu lang und langweilig sind, ist zwar dumm von ihm, aber nicht schlimm. Man merkt, das sollen eigentlich richtige, wichsbare Pornostunts sein. Aber das dürfen sie nicht, und so starrt die Kamera krampfhaft weg vom Unterleib, nur auf die Oberkörper. Ich döste vor mich hin, aber gegen Ende kam ein hemmungloses Mädchen mit einer sehr hübschen Figur und erregten Brüsten, das sich erstaunlich ungekünstelt ins Zeug legte. Sie wurde immer erregter, verschwitzter und gelöster, auch wenn ihr Lover außerhalb des Bildes gar nichts Einfallreiches zu machen schien. Leider hatte die Regie aber die Überlänge dieser schönsten Sexszene bemerkt und zur Auflockerung immer wieder kurze Aufnahmen einer nächtlichen Verkehrsstraße hineingeschnitten. Immer dachte man dann, es sei nun vorbei, und immer warf es einen in die Sexszene zurück. Die Zuschauer waren vom langen Stillhalten schon so gequält, dass sie nicht mehr konnten. Am Ende war das Kino von den eigenen Lachsalven erledigter als das Mädchen im Bett vom Sex. 7,5/10
Hier die Texte dazu von Oliver und Alex.
Käufliche Nächte (Mino Loy, 1962) OT: La donna di notte
Ein Mondo mit Aufnahmen aus internationalen Nightclubs, wie man sie in den Sechzigern und Siebzigern nach dem Silvesterfeuerwerk im Fernsehen sehen konnte. Aus dem Off: erschütternd uninspirierte Kommentare deutscher Kabarettisten, die wohl in verschiedene Typen schlüpfen wollten, doch leider ohne jeglichen Esprit. Oliver Nöding, Udo Rotenberg und Alex Klotz haben darüber treffend geschrieben. 4/10
Martins Feuer (Bruno Sukrow, 2013)
Zu geschmackvoll mysteriöser Ambient-Musik ziehen kleine Vogelschwärme in hypnotischer Ruhe ihre Kreise hoch am Firmament. Eine dicke Eule sitzt auf einem Zaun. Eine Ente geht gemächlich ihres Wegs. Wohlgeformte Pferde grasen im schottischen Hochland. Alles ist wie unter Wasser (Oliver Nöding). Gras und Bäume bewegen sich wie Algen. Das Licht summt wie in einem Aquarium. Die Menschen in diesem Atlantis können aufgrund digitaler Handicaps nicht entspannt im Bett liegen, aber schön und gelenkig tanzen. Über einen Baumstamm balanciert ein alter Mann; beim Weitergehen versinken seine Füße in metaphysischen Pixeln. Eine rothaarige Geisterfrau schleudert ihm stolz und vernichtend entgegen, er müsse die Schuld seiner Vergangenheit büßen; sein Gesicht ist schreckverzerrt.
Der Regisseur Bruno Sukrow ist ein alter Mann aus Aachen, früher Maschinenschlosser, der seit ein paar Jahren intensiv autodidaktisch Animationsfilme macht. Sie sind wie die Pulpheftchen, die er in seiner Jugend mochte. Zugleich setzt er darin, mit Mutterwitz und wie in Träumen, wichtige Themen seines Lebens um. Beziehungsknies zwischen den Geschlechtern, die Irrealität des Lebens und der Tod, Sehnsucht nach dem alltäglichen Zusammenleben mit seiner verstorbenen Frau und nach Abenteuern. Seine schüttere, melodische, dialektgefärbte Stimme schlüpft wie ein Geist in die Körper selbst blühender, mondäner Second-Life-Busenfrauen, die er meist selbst synchronisiert. Meine zweite Lieblingsstimme in den Sukrowfilmen ist die markante, näselnde, facettenreiche Stimme von Hartmut Schümmer, hier wohnhaft in einem patenten Zigarettenladenbesitzer. 9/10
Gute Texte dazu von Oliver Nöding, Michael Kienzl, Alex Klotz und noch mal Alex. Sehr schön auch was Rainer Knepperges in new filmkritik über ihn schreibt.