Filmtagebuch einer 13-Jährigen #13: 14. Hofbauerkongress, 2. Nacht
Von Silvia Szymanski // 28. Januar 2015 // Tagged: 14. Hofbauerkongress, Beat, Busenstars, Deutsches Kino, featured, Japan, Möbel, Omafilm, Sexploitation, Skandinavien, Väter und Töchter, Wilde Männer // Keine Kommentare
Was bisher geschah: 1. Nacht
Fürth, 3. Januar 2015
Milkman Frankie (Kô Nakahira, 1956) OT: gyûnyû-ya frankie
Ein wie in der Kindheit leuchtendes, multidimensionales Wimmelbild von komplizierten (Liebes-)Geschichten der Bewohner eines Stadtviertels aus der Perspektive eines naiven, aber äußerst tüchtig lernenden Milchmannes. Überall klingeln, Milchtrinker in vielfältigen Häusern und an lebhaften Straßenecken versorgen, betrunkene Männer wie Pakete auf dem Fahrradgepäckträger verschnüren und zu Hause abliefern, dazu humorvolle Anspielungen auf die Film- und Theaterwelt… das ist alles so reich komponiert, voller sprechender Einzelheiten, Fantasie und Wärme wie im italienischen Kino, das früher bei Oma im Fernsehzauberkasten lief und uns Kinder hinriss. Ich hab nicht gewusst, dass Japan das damals genauso sah. Ein mondgesichtig strahlender Hobbypoet (ich glaube, er war einer der Milchmänner?) ist verliebt in einen spöttischen Filmstar. Während er ihr seinen Liebesbrief vorliest, hat er ihr heimlich Schlafmittel in die Milch gemixt, trinkt das aber aus Versehen selber. In seinen Träumen trägt er sie über eine Palasttreppe in ein himmlisches Lustgemach. Man sollte sich bei diesem Film wie Kinder oder Welpen an einander kuscheln. Erwachsensein ist traurig. 10/10
Schleppzug M 17 (Heinrich George, Werner Hochbaum, 1933)
Das tiefe, hohle, unheilvolle Tuten der Schleppkähne, Urgeräusch dieses Films, klingt so wie Schiffer Henner (Heinrich George) aussieht. Ein Kollege sagte, George sei die Art Schauspieler, der alle Bilder und Töne in sich bündelt, transfomiert und wiedergibt. Wie ein Kraftwerk, eine mächtige Maschine. Oft kauert die Kamera vor ihm und blickt beeindruckt wie eine kleine Frau oder ein Kind über seinen dicken Leib zum expressionistisch hart beleuchteten, wuchtigen Kopf. Oder nimmt diesen das ganze Bild einehmenden Rücken auf. Ich finde bärenhafte Männer auch manchmal interessant. Oliver Reed in „The Trap“, Hermann Schomberg in „Rosen blühen auf dem Heidegrab“. Warum nicht George? Es ist vielleicht das betont Patriarchische (in der proletarischen Variante). Als glaubte er allzu unerschütterlich an sich als gutherziges Urviech, das die Leute in ihm sahen, und verstellte sich damit den Blick.
Einmal stellt jemand unvermittelt ohne Bezug zur Handlung ein gerahmtes Hitlerfoto auf den Tisch. 1933 spielte George auch in „Hitlerjunge Quex“. Und heiratete Berta Drews, die im „Schleppzug“ seine Frau Marie spielt.
Sie ist hübsch und weich und wie mit einem stumpfen Stift gemalt – die Kollwitz- oder Zille-Kohlezeichnung einer früh verkümmernden jungen Frau vom Lande. Ihr stilles Leiden macht ihm Schuldgefühle. Und soll das vielleicht auch? Diese Vermutung schmälerte bei manchen Kollegen das Mitgefühl; man kennt die Haltung vielleicht ungut von Verwandten.Mir tat sie aber Leid. Sie ist der einzige unkämpferische Mensch in diesem rußigen Kellerfilm. Die anderen rempeln sich gegenseitig weg, wie Ertrinkende in einem Kanal. Eine von ihnen zieht Wassermann Henner wirklich eines Nachts aus dem Kanal – Gescha (Betty Amann), eine frivole Nixe und durchtriebene Gangsterbraut, deren Taille er mit einer Pranke umfassen kann. Er wird wild auf sie. Für eine Nacht ist beiden alles egal. Dann kehrt er zurück zu seiner kranken Frau und seinem Kind, die ohne ihn nicht leben können.„Jetzt wird weitergearbeitet“, verspricht er Marie, die von der Sache weiß, und befiehlt ihr, sich und die Familie stadtfein zu machen. Trotzig und demonstrativ flaniert er mit ihr durch Berlin.
Aber da läuft ihm das fatale Stadtweibchen wieder über den Weg – und weg ist er. Die Straßenaufnahmen sehen grandios aus, als Berta Drews versucht, alleine den verkehrsreichen Potsdamer Platz zu überqueren. Aufregend, atmend und luftig, dokumentarisch echt, ohne dass etwas abgesperrt wurde. Passanten, übernächtigt, schlecht gekleidet, schauen neugierig in die Kamera. Sehr dunkel und wirklich ist auch die morbide, ärmliche Spelunke, wo Henner und Gescha es hinter einem Vorhang mit einander machen. Diese dichte, schimmelige Atmosphäre hing noch in manchen greisen Häusern in der Luft, als ich ein Kleinkind war. Wie nach einem Alt-Übach-Palenberger Karneval auch die derangierte und verschmutzte Nachtgaststätte mit den Tischtelefonen und Luftschlangen, wo Henner allein an einem Tisch, dem Irrsin nahe, im abgründigen Katzenjammer versinkt: Das wankt alles dem Unheil entgegen. Der ganze Film ist ein unbewusstes Menetekel. 8/10
Es schrieben Oliver, Michael, Udo und Alex. Hier auch Sanos Text bei den „Eskalierenden Träumen“.
Irgendwie fällt mir dazu der Schulfilm „Die Feldmaus und die Stadtmaus“ ein. Und eine Animationsverfilmung des „Schleppzug“-Stoffs von Ladislav Starewicz wäre bestimmt auch interessant gewesen.
Die Strandbiene (Knud Leif Thomsen, Dänemark 1966) OT: Gift
In einem früheren Kongressfilm „Das Recht zu lieben“ (Mimi Pollak, Schweden 1956) hatte ein weltoffener Vater während der beginnenden Sexwelle noch schmunzelnd alles im Griff. Dem Vater hier gelingt das nur am Anfang. Da stehen er und seine Sexualität noch ganz im Mittelpunkt. Mit kuriosem, galligem Humor und aufmüpfiger Offenherzigkeit bezichtigt er sich, ein Schwein zu sein, das dauernd untreu werden will. Wenn seine Sekretärin ihm nicht weise und lustig immer Körbe gäbe, wäre Henrik, der Mann, der seine Familie gefährdet (der dänische Originaltitel „Gift“ heißt „verheiratet“.) Doch so ist es der fremde, junge Eindringling Per, der alles – ein bisschen wie in „Teorema“ – in erotische und weltanschauliche Unordnung bringt. Dieser Typ, den die Tochter vom Strand mit ins Haus bringt, läuft in der Badehose herum, propagiert die freie Liebe und flirtet provokant mit allen Frauen – Mutter, Tochter, Hausmädchen. Immer obenauf, frech lächelnd. Vielleicht ist sein Gerede („Ich bin ganz Geschlechtsteil“) nur heiße Luft, aber es macht neugierig. Die Tochter begegnet ihm spöttisch. Doch man ist ihm nur gewachsen, wenn man nicht unter unerfüllten sexuellen Bedürfnissen leidet. Das busige, hypersexuelle, feucht dampfende Hausmädchen (reizvoll unglaubwürdig „naiv“ gespielt von Judy Gringer, Ex-Ballerina am Königlich Dänischen Theater) ist – ihre ewig schlampig gebundene Schürze sagt alles – ein leichtes Opfer. Und auch die Gesammeltheit der Dame des Hauses (Astrid Villaume, die dänische Gerlinde Locker) fällt mit einem Schrei zusammen, sobald Pers Körper oder seine Worte („Die reife Frau ist ein einziges großes Ja“) ihr nahe kommen. Der Hausherr hingegen kriegt von diesem überheblichen jüngeren Spiegelbild nur Kontra. Henriks Humor und seine Toleranz schwinden. Was als Komödie begann, wird zur existentialistischen Groteske. 8,5/10
Es schrieben Oliver, Michael und Alex.
Die Insel der unberührten Frauen (W. Merle Connell, 1952) OT: Untamed Women
Angeklebter Bartflaum der Männer. Angeklebte Stacheln der Amphibien. Moira, Sandra, Memphis und ihre wilden Genossinnen vom 5000 Jahre alten Stamm der Druiden, waren offensichtlich gerade noch stundenlang beim Friseur und stecken auch jetzt nur gerade mal mit einem schönen nackten Bein in ihren Rollen. Die vier bei ihnen gestrandeten Soldaten sind im klassischen Abenteuerfilmstil scharf von einander abgegrenzte Typen (der sensible Labile, der Scherzkeks, der unschuldige Countryboy, der Anführer). Countryboy lässt Memphis seine Finger melken, um ihr zu zeigen, was sie als seine zukünftige Frau zuhause mit den Kühen machen wird. Der Labile offenbart einem der Kameraden im Vertrauen das Problem, das an ihm nagt. Vielleicht nicht unfreiwillig komischerweise ist es die tiefe Hassliebe zu seiner Mutter. Immer die Ermahnungen, sich warm anzuziehen und genug zu essen, sich zu waschen! Verbittert wirft er ihr Foto in den Sand. Und wird umgehend fast von einer fleischfressenden Pflanze verspeist: Das Ewigweibliche ist überall. Die Filmkopie roch schon nach Essig, ihrem Verfallsprodukt, es war ihre letzte Vorstellung. Digital wird dieser hübsche Fifties B-Film aber erhalten bleiben. 7/10
Überraschend im Publikum: Vier junge Berlinerinnen auf der Durchreise, die gut die Frauen in dem Film hätten spielen können und sehr fröhlich waren, als sie das bemerkten. Es wäre fein, wenn mehr Frauen zu den Kongressen kämen. Die einzige zu sein (in manchen Kongressnächten bin ich das) hat zwar auch was. Aber irgendwie glitzert es mit Frauen mehr, wird lockerer, schwingt stärker, meine ich.
Intime Liebschaften (Hans Billian, 1980)
Bei Männern wie Peter Bond („Glücksrad“) wüsste ich gerne, woher ihre einschmeichelnde, verbindliche, siegessichere Art gegenüber Frauen kommt. Woher diese Zuversicht, zu wissen, wie man auf sie eingeht? Einen Kollegen erinnerte er darin an Hans Hass junior. Hans macht das allerdings niedlich und kuschelig, während Peter eher der Erfahrene, Geschmeidige und Sensitive ist. Mehr Reibfläche stünde beiden besser. Aber „Intime Liebschaften“ kann natürlich so einen Frauenversteher als Kontrast sehr gut gebrauchen.
Es ist ansonsten nämlich alles beherrscht von einer Front kalter, lüsterner Fieslinge und gemeiner Lehrertypen. Boshafterweise arbeiten die meisten von ihnen im Verlagswesen; vielleicht hatte Billian mit der Branche ein Hühnchen zu rupfen. Alles herrische Modemuffel, die gar nicht erst attraktiv oder sympathisch sein wollen – kein Charme, keine Flirts, nur unfreundliche Forderungen. Den Mädchen aber können sie nicht garstig genug sein. Eine Entgleiste strippt vor ihnen leidenschaftlich in einem klebrigen Mini-Kino. Zwei übermütige Schulfreundinnen lesen in ihrem teenietandverstopften Zimmer die „Weekend“-Anzeige eines verächtlichen Ultraerwachsenen. An der Telefonzelle, aus der sie ihn anrufen, klebt poppig groß der Aufkleber der Impfkampagne „Stoppt Röteln“. Mit Wonne lassen sie sich in seiner Stilmöbelwohnung von dem von ihnen fetischisierten Wutbürger demütigen.
Ich applaudiere Billians Tolldreistigkeit, auch wenn ich manchmal denke „Huch!“. Ich mag es, wie er seine Dialoge und Pointen zuspitzt und garstige sexuelle Ereignisse als Komödien und Abenteuer verkauft. Für mich steckt in diesen Schockern eine witzig-grimmige Lebensbejahung: Alles ist gut, so lange eine Story daraus wird und sie auf Sex hinausläuft. Es mögen widrige Umstände sein, widrige Menschen, aber verlass dich drauf: Am Ende sind sie alle nackt. Sex triumphiert. Die unpassendsten Situationen lassen sich so wenden. Inmitten gehobener Mittelstandsaccessoires, im Schatten riesiger Deko-Plüschtiere öffnen sich Körper jauchzend der Sexwelle. Pressen einander gegen die bratenbraunen Reliefkacheln im Bad, steigen auf psychedelischen Freitreppen in Bonds wildgemustertes Bett, rollen über schwelend ochsenblutfarbene Perserteppiche, liegen gefesselt zwischen Rauchersets auf gläsernen Couchtischen.
Billians Blick ist nicht genau satirisch – er wird selber einer dieser Leute gewesen sein. Aber ich mag seinen burlesken Humor. „Durch die Mischung aus moralischer Verrohung und süßer tapsiger Art muss man diesen Bastard liebhaben.“ (tofunerdpunk)
Am Ende befreit sich die hübsche Frau, die am Anfang von ihrem sadistischen Ehemann zu Sexpartys gezwungen wurde, mit der Hilfe eines Verehrers aus den Intrigen ihres Mannes. Nun feiern sie ihren Sieg in einem beklemmend protzigen Swingerclub ausgerechnet beim Gruppensex mit Leuten, die wie Partygäste ihres Mannes aussehen. Aber sie ist frei. Das ist entscheidend. „Jetzt beginnt das Leben!“, ruft sie enthusiastisch. Und das wird stimmen, in gewisser Weise . Auch wenn ich glaube, wahre Freiheit gibt es nicht mit diesen Möbeln. 8,5/10
Die „Liebschaften“ gibt es unter dem Namen „Intimes Lustgeflüster“ auch als Hardcore-Porno. Bei der Fassung auf dem Kongress handelte es sich aber um die erregt ersteigerte Softcore-Morgengabe von „Hard Sensations“ an das Hofbauerkommando. Als wir den Film damals in Aachen gezeigt haben, gelang es dem Vorführer, den Film den verschwommenen ersten zehn Minuten auf einmal stechend scharf zu machen. Die Farben und Strukturen spritzten und schossen nur so in uns rein, ein holographischer Fiebertraum. Da fielen mir zum ersten Mal die Schuppen von den Augen darüber, was 35mm-Projektionen sein können.