Le Malentendu Colonial – Das Koloniale Missverständnis
Von Jamal Tuschick // 15. Dezember 2014 // Tagged: Afrika, Dokumentation, featured // Keine Kommentare
Die Rheinische Mission
The road to hell is paved with good intentions
Lange bevor sich im Bergischen Land die Städte Elberfeld, Barmen Ronsdorf, Cronenberg und Vohwinkel zu einer Stadt namens Wuppertal zusammenschlossen, gab es ein Wupperthal in Afrika. Ein Missionar aus Elberfeld fand den Schauplatz seines Bekehrungseifers so idyllisch und der Gegend seiner Herkunft landschaftlich so verwandt, dass er den Flecken im heutigen Namibia mit heimatlichem Anklang taufte. Es geschah dies im Jahr 1834 im Zuge einer Erneuerungsbewegung in der evangelischen Kirche, die zu größerer Standfestigkeit gegenüber Säkularisierungstendenzen und fester Bibeltreue aufrief. Man erwartete das Reich Gottes auf Erden in naher Zukunft und hielt es für eine Christenpflicht, bis dahin so viele „Heiden“ wie möglich zu bekehren. Das ergab sich aus dem biblischen Missionsbefehl (Taufbefehl), Matthäus 28, „gehet hin und verkündet die frohe Botschaft“. Auf Englisch klingt „frohe Botschaft“ nach Google, doch waren die „good news“ ein „gift“, das viele Afrikaner gar nicht haben wollten.
Das und noch viel mehr lernt man aus einem Film des kamerunischen Regisseur Jean-Marie Téno – „Das koloniale Missverständnis”. „Le malentendu colonial” nimmt die Spur in Wuppertal auf, die ersten Bilder zeigen die Schwebebahn. Erinnert wird an Pina Bausch. Dazu läuft ein Heimatlied, am Ende sieht man Herero und Nama in Ketten und konzentriert in Lagern. Der Begriff „Konzentrationslager” kam im Krieg der Herero und Nama gegen die deutsche „Schutzmacht” (1904 – 1908) auf, als Kombination von Inhaftierung und Zwangsarbeit. Das erklärt eine Historikerin, die Rede ist von einem Genozid an Kolonisierten. Ich habe in meiner Kindheit einige Romane gelesen, in denen die deutsche Rolle bei diesem Völkermord verherrlicht wurde. Bis heute hat sich keine Bundesregierung entschuldigt.
„Das koloniale Missverständnis” entspricht der stillen Arbeit des Historikers. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich Missionsgesellschaften, sie organisierten den sozialen Aufstieg junger Deutscher aus einfachen Verhältnissen. Motor dieses Aufstiegs war eine „neue” Spiritualität. 1842 startet die „Rheinische Mission” im Land der Herero ihr Bekehrungswerk. Erst vierzig Jahre später setzt der Herero-Widerstand ein: „Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land“, sagt Jomo Kenyatta, Kenias erster Präsident.
Die deutschen Kolonisten kamen nach den Missionaren, sie kamen mit europäischen Eigentumsbegriffen. Diese Begriffe wurden vom Raumverständnis der Afrikaner nicht erfasst. Die Kolonisierten dachten nicht, dass Land als Handelsgut in Betracht gezogen werden könne. Sie hielten es für unveräußerlich.
Die Missionare hatten Vertrauen erworben und die Sprachen der indigenen Völker gelernt. Das machten sich die Kolonisten zunutze. Die Missionare sollten weiterhin die Erwartungen der Afrikaner in den Himmel verlegen, während sie für Europa Rohstoffe aus der Erde gruben. Téno folgt der Missionsbewegung von Wuppertal über Südafrika, Namibia und Kamerun. Auch das Berliner Rote Rathaus taucht im Film auf. Hier fand 1884 die „Berliner Konferenz” statt, bei der europäische Staaten den „schwarzen Kontinent” unter sich aufteilten – und zumal dem deutsche Imperialismus zu einem breiten Fahrwasser verholfen wurde. Deutschland unterstellte stande pede die Küsten Togos und Kameruns sowie das Lüderitzland seinem „Schutz“.
Der Film schildert schließlich zeitgenössische Positionen in afrikanischen Kirchen, deren Wurzeln tiefer gehen als die europäischen Missionen. Das Evangelium kam vorher als Werkzeug der Befreiung nach Afrika (im Rahmen der Anti-Sklaverei-Bewegung) und war da schon lange in Äthiopien zuhause.
Dokumentarfilm. Kamerun 2004, Regie: Jean-Marie Téno
Das Ballhaus Naunynstraße zeigt im Rahmen von „We are tomorrow“ und unter dem Titel „Beyond the maps“ bis zum 26. Februar jeden Sonntag um 15 Uhr Filme zum Thema Berliner Konferenz bzw. Kolonialgeschichte. https://www.ballhausnaunynstrasse.de/