20000 Days on Earth
Von Jamal Tuschick // 30. November 2014 // Tagged: Britisches Kino, Dokumentarfilm, featured // Keine Kommentare
Der australische Augenblick
Eine Abschweifung zu Nick Caves Bloomsday „20 000 Days On Earth“
Da war dieses Lied, da war noch mal ein neuer Beat im Weltmeisterjahr 1990 – „Suicide blonde“. INXS hieß die Band, ihr Sänger Michael Hutchence. Der Australier starb seltsam stranguliert. Vielleicht war es ein Tod aus Versehen – „Stripped to the beat but her clothes stay on – Suicide blonde“. Hörte ich INXS, trat die Australierin Kylie Minogue auf den Laufsteg meiner Imagination. Sie hatte mit Hutchence eine Zeit. Die Sängerin war das Signal für einen australischen Augenblick auf MTV mit dem Chic und Look der Siebziger wie sie nie waren. Jahre später befreiten Robbie Williams und Kylie Minogue in „Kids“ eine klassische Zeile von ihrer Bedeutung: Pete Townshends „The Kids Are Alright“ – „Cause the kids are alright“. Nun sehe ich Kylie Minogue mit Nick Cave in einer „Night on earth“-Szene. „Where the wild roses grow“ – ein Ex-Paar im Jaguar. Nick Caves Kinn flieht über das Lenkrad, die Scheibenwischer malen ihre Bögen im Regen von Brighton. Das Seebad war Schauplatz des „Who“-Films „Quadrophenia“. Es ist der Ort von „20 000 Days On Earth“. Der Film von Iain Forsyth und Jane Pollard schildert pseudo-dokumentarisch einen Tag im Leben des Nick Cave. „20 000 Days“ führt in den Maschinenraum einer Produktion. Der „Kannibale“ (Cave über Cave) verkündet: „Am Anfang des 20. Jahrhunderts hörte ich auf ein menschliches Wesen zu sein.“ Er steht vor dem Spiegel wie Vampir Adam in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“. Jede Bewegung sagt, ich habe mich im Griff. Meine Dämonen sind dienstbare Geister. Ich bin ein ausgereiftes Star-Modell, folglich das Gegenteil von „I hope I die before I get old“. Das ist der stärkste Eindruck: Zwischen Rolle und Identität passt bei Nick Cave kein Blatt Schreibpapier. Nichts wirkt besonders theatralisch oder hermetisch oder eitel oder bemüht. Der Wecker klingelt, ein Mann steht auf und lässt die Frau weiterschlafen. Er prüft sich mit einem Blick in den Spiegel, er scheint einverstanden. Er arbeitet im nine to five-Modus. Er sucht seinen Arbeitsplatz im Keller auf, auf dem Tisch steht ein Anachronismus. In diesem Untergrund entstand „Der Tod des Bunny Munro“. Heute bleibt er nicht im Keller, ein Film braucht Bewegung, Nick Cave besucht einen Therapeuten. Es ist nicht seiner, alles nur Schau. Ob er sich als Außenseiter fühle? Nichts deutet das an. Der Anzug sitzt, die Frau ist schön, abends leisten Zwillinge auf der TV-Couch dem Spitzenprädator Gesellschaft. Es gibt Pizza aus dem Karton. „20 000 Days On Earth“ dokumentiert nebenbei die Entstehung des Albums „Push The Sky Away“. Ein Kinderchor tritt auf, die Inszenierung zaubert Blixa Bargeld in den Jaguar. Mit dem Kollegen Warren Ellis isst Nick Cave Aal zu Mittag. Zu sehen gibt es einen Rockstar ohne Ermüdungserscheinungen. Immer noch liebt er es auf der Bühne zu stehen, um im Kraftfeld seiner Anhänger messianisch zu werden: „I‘m transforming / I‘m vibrating / I‘m glowing / I‘m flying / Look at me now“.
GB 2014, Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard