Weil einfach einfach einfach ist…
Von Joris Julius-Sabinus // 16. Oktober 2014 // // Keine Kommentare
„Wenn dir etwas gestohlen wurde, geh nicht zur Polizei, die das nicht interessiert, und nicht zum Psychologen, den daran nur das eine interessiert, dass eigentlich du etwas gestohlen hast.“ – Karl Kraus
Die schottische Aufklärung wird nicht durch eine bewusste soziale Weltgesellschaft positiv überwunden, sondern sie zerschellt gewissermaßen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Es bleiben Youtube-Kanäle, Blogs und Zeitschriften, die das falsche „Wir“ der nationalen Einheit wiederbeleben. Die ideologische Flucht in die Vergangenheit verklärt die Schriften von Flohmärkten als Alternative zum derzeitigen Politikbetrieb. Das wirklich neue daran dürfte sich in der Silbe post bzw. neo erschöpfen. Während die angelsächsische Blogosphäre den naiven, sozialdarwinistischen Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts mit einem Ökonomie-Verständnis paart, dass hinter das Reflexionsniveau von Adam Smith zurückfällt, so entdecken die deutschen Vettern Fichte, Herder und Hölderlin erneut und transportieren die Blogosphäre gleich in das Medium der Moderne – die Zeitschrift. Der Vorsitzende der „European Muslime Union“ Andreas Abu Bakr Rieger, der ehemalige Reisebuchautor Kai Homilius und der Berufsbullshitter Jürgen Elsässer gründeten 2010 das Magazin „Compact“. Dieses „Magazin für Souveränität“ etabliert für ihre Konsumentenschaft eine völkische Scheinkritik des Geldes. Das zufällige Hochschrecken aus dem Nickerchen der Vernunft ist vorbei. Endlich sitzt man wieder dösend und breitbeinig am Tisch. Die unzähligen, nicht enden wollenden Dokumente der biederbloggenden Welt von ehemals staatstragenden Besserverdienenden und -verwaltern sind Unterrichtsmodule des Fachs „Weil einfach einfach einfach“ ist.
In Deutschland ist es eine kategorische Voraussetzung gesellschaftlicher Praxis, die Identität von Einzel- und Staatsinteresse zusammenzubringen und wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Die so hinab gefallenen Presspappen-Experten der „Compact“ stammen aus den Öffentlichen-Rechtlichen (Ken Jebsen, Eva Herman, Christoph Hörstel, Gerhard Wisnewski), der Wirtschaft (Andreas Popp, Michael Vogt), sind Berufssöhnchen (Wolfgang Eggert, Andreas von Rétyi) und -praktikanten (Frank Höfer, Daniele Ganser). Während die hiesigen Verhältnisse im „Mainstream“ als Folge individueller Betriebsstörungen verkauft werden, so stellen die Experten der „Compact“ politisches Tagesgeschäft als nie dagewesene Monströsität aus. Daniele Ganser verklärt die Standard-Faux-Pas amerikanischer Außenpolitik als Enthüllung und ist verwundert, dass Geheimdienste nicht wenigstens wöchentlich einen Tag der offenen Tür abhalten. Was wird er erst für Augen machen, wenn er feststellt, dass Heinrich Böll für die CIA arbeitete. Für Wolfgang Eggert „ist es nicht ganz leicht über ein Thema zu referieren.“ Er „schreibt Bücher und vergisst sie dann wieder.“ Andreas Popp mixt die Leitsätze von Friedrich Naumann und Ferdinand Lassalle, möchte aber auf ein Zinssystem in Zukunft verzichten. Am Ende steht eine Berichterstattung, die volkspädagogisch motivierte Brandmarkungen als Muckraking-Journalismus verkauft.
Der Ort an dem die Politik die Spendierhosen präsentiert, ist der Boulevard. So wundert es nicht, dass die monatlichen Videos der „Compact“ mit einer Titelmelodie eröffnet werden, die dem „Explosiv“-Magazin zum verwechseln ähnlich klingen. Doch sein Name ist nicht Barbara Eligmann, sondern Jürgen Elsässer. Dort sitzt er nun mit seinem Praktikanten Frank Höfer und spielt das Führen von Interviews. Um aber die Unfähigkeit, die eine redliche Wirkung des sich begabt gebenden Zeitgeistes ist, nicht schwerer zu belasten als notwendig, muss das Nachfernsehformat „Compact“ noch etwas anderes wesentlich unbekömlicheres ausmachen. Weder scheinen sich die beiden Darsteller der Realsatire darüber im Klaren zu sein, dass sie inszenierte Politik mit inszenierten Interviews anprangern, noch dürfte die Rolle des Informationswohltäters, der den Armen die Conspiracy-Brotkrumen hinwirft, angemessen sein. Der Stammtisch als Nachrichtenformat hebt sowohl die Gemütlichkeit des Einen als auch den Informationsgehalt des Anderen auf. Ob es sich nun um das Baltikum, den Nahen Osten oder einen Kongress in Bad Bumsberg handelt- Keine Ahnung scheint immer noch die beste Ahnung zu sein. Die Gefühlsakkorde wären in einem Stück von Heino zu suchen. Die beschränkten groben Bauern, dürfen, nachdem sie mehr Nach- und Zugerichtetes ausgespuckt haben, als eine Berliner U-Bahn nach einem gewonnenen ‚Schland-Spiel, den Zuschauer final zum Kauf ihrer Gazette auffordern. Unmaß sucht nach Bedeutung und wird damit wohl scheitern.
Der Wille zur Macht kennt zwei Gestalten: Den Expliziten (die Anführer) und den Impliziten (die Anhänger). Wenn wir bei den Expliziten Unterscheidungen treffen möchten, so können wir den Soldaten (Napoleon, Mussolini), den Gläubigen (Cromwell, Khomeni), den Opportunisten (Talleyrand, Merkel) und den Pragmatiker (H.Schmidt,Lincoln) ausmachen. Eine Sonderform des Anführers taucht hier und da in der Geschichte auf: der Bullshitter. Sein bekanntester Vertreter dürfte im Moment Jürgen Elsässer sein. Der Bullshitter unterscheidet sich von anderen Grundtypen des Machthungrigen durch seinen Wahrheitsbegriff. Während der Pragmatiker die politische Willensbildung immer von Notwendigkeiten abhängig macht, der Gläubige von der Notwendigkeit seines Handelns überzeugt ist und der Soldat nur eine Notwendigkeit, den Krieg, kennt, so ist dem Bullshitter die Notwendigkeit zur Wahrheit eine Pissrinne wert. Es geht ihm ausschließlich darum recht zu behalten und dabei möglichst Anhänger zu gewinnen. Wer Bullshit redet, liefert (eine) Falschmeldung(en) – aber nicht (zwangsweise) eine Falschmeldung in der Sache, sondern eine Falschdarstellung von sich selbst. Bis zur Gründung der Zeitschrift „Compact“ lässt sich Elsässers Weg mit den Eckpunkten skizzieren, dass er in den neunziger Jahren an der Spaltung der „Jungen Welt“ beteiligt war, danach die „Jungle World“ ins Leben rief, das als Sprungbrett nutzte um bei der „Konkret“ zu landen und abschließend wieder zur „Jungen Welt“ verabschiedet wurde, wo er nach Einklagung der „Einheitsfront von Gauweiler bis Lafontaine“ auch dort nur noch Kopschütteln erntete. Es ist keine Neuigkeit, dass ehemals vermeintlich kritische und emanzipatorische Personen zur herrschenden Ordnung überlaufen. Die historische Wandlung der Sozialdemokratie zur Regierungsfähigkeit gehört ebenso dazu wie die Transformation des 70er-Jahre-Marxismus in das grüne Projekt marktkonformer Teilhabe. Jürgen Elsässers Selbstbehauptung aus der Eigendynamik von Ideologie fühlt sich aber eher wie Wilhelm Hauffs „Märchen vom falschen Prinzen“ an: Er definiert sich nicht über das, wozu ihn das Leben (meinetwegen auch das Kapital) gemacht hat, sondern darüber, was er selbst nicht mehr will und was er stattdessen eben so tut. In erster Linie ist das Täuschen und Blenden. Eines muss man ihm lassen – es gibt keine zweite Figur in den letzten 30 Jahren, die so gut den Frust von Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund so gut bündeln und auszunutzen versteht. Die meisten seiner ehemaligen Opfer haben das bis heute nicht begriffen. Damit befindet sich Elsässer in guter heimatlicher Tradition. Bereits Johann Gottlieb Fichte hielt in Berlin seine „Reden an die deutsche Nation“, in der er die napoleonische Reformpolitik als ausstehende Entscheidungsschlacht ausschmückte: „Bedenket, dass ihr die Letzten seid…“ Seitdem geht der Deutsche permanent unter. Immer steht er unter Fremdbesatzung. Mal sind es die Franzosen, mal die Russen, mal die Amerikaner. Was Fichte begann, setzt Elsässer 200 Jahre später fort, eine Metaphysik der deutschen Nation als einer auserwählten. Diese Ideologie besitzt für Bullshitter einen enormen Vorteil, nämlich indem die politisch-ökonomische Verfassung in ein bloß äußerliches Verhältnis zur nationalen „Wesenheit“ tritt, ergibt sich die Möglichkeit einer „antikapitalistischen“ Interpretation. Der Kapitalismus wird nicht als System der „unsichtbaren Hand“ begriffen, sondern als „System der nationalen Produktivkräfte“. Dieses völkische Konstrukt garantiert einen Anspruch an der „Volksgenossenschaft“.Der Prozess der Vermittlung wird überflüssig und bei Elsässer durch eine einfache Addition seiner Anhängerschaft ersetzt.
Das Charismatische bleibt die stetig lockende Versuchung für den der Realitätsanerkennung Müden, der zwar einerseits die bürokratische Maschinerie als ohne Alternative ansieht, sie aber in den Dienst eines egoistisch gesetzten Zweckes zu stellen trachtet. Nicht ein bisschen Vernunft macht sich in diesem Umfeld geltend, sondern der Schüttelfrost nach der Paralyse. Die List der Ohnmacht wird nicht zur List der Vernunft, weil es auf keiner Seite Einsicht in den Problemzusammenhang gibt. Dabei ist es recht einfach: Die Moderne kann auf keine Weise neu erfunden, sondern nur noch überwunden werden. Eine ozeanische Einheit von allem und jeden wird ausbleiben.