The Raid 2
Von Gregor Torinus // 9. August 2014 // Tagged: featured, Fight Club, Gareth Evans, Only God Forgives, The Art of Killing // 1 Kommentar
1999 bewies David Finchers Film Fight Club welchen unschlagbaren therapeutischen Wert ein harter Hieb in die eigene Fresse haben kann. In Zeiten, in denen fleißige Arbeitsarmeisen auf interkontinentalen Businesstrips in engen Flugzeugkabinen eingepfercht zu stundenlanger Bewegungslosigkeit verdammt sind, verkommt der kastrierte Körper zur leeren Funktionseinheit. Das globale Geschäft generiert gut vernetzte, jedoch zu zweidimensionalen Bildschirmmenschen verflachte Krawattenträger. Entkörperlichte Wesen, die sich selbst nicht mehr spüren können. Deshalb die Ekstase, wenn das eigene Gesicht zu Brei zerschlagen wird. – Immerhin ist da noch irgendetwas.
Ortswechsel. Indonesien: Der asiatische Inselstaat ist ein heimlicher Gigant mit der vierthöchsten Einwohnerzahl auf der Welt. Die grotesk-faszinierende Dokumentation The Act of Killing zeigte, dass in diesem Land eines der schlimmsten Massaker des 20. Jahrhunderts stattfand. Die damaligen Täter laufen weiterhin frei herum. Jakarta: Ein wie wahnsinnig wuchernder Moloch. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten ist die indonesische Hauptstadt zur zweitgrößten Metropolregion nach Tokio explodiert. Diese Stadt ist die Wahlheimat des wilden Walisers Gareth Evans.
Der Regisseur wurde mit weit mehr, als nur einem Schlag in seinem kinetischen Kampfkunst-Kracher The Raid bekannt. In dem dreckig-minimalistischem Werk spielt die gesamte rudimentäre Handlung in einem völlig verkommenen Wolkenkratzer, in dem sich Cops und Killer einen tödlichen Kampf liefern. Der Nachfolger The Raid 2 ist kein müder Neuaufguss, sondern der eigentlich vom Regisseur ersehnte Film, dessen Finanzierung jedoch erst mit dem Erfolg des ersten Teils möglich wurde.
The Raid 2 ist mit einer Laufzeit von 150 Minuten eine ganze Stunde länger, als sein Vorgänger. Und diese vielen zusätzlichen Minuten investiert Gareth Evans fast ausschließlich in eine Handlung, die diesen Namen auch tatsächlich verdient. Köpfe und das Publikum spaltende kunstvoll choreografierte Kampfszenen gibt es jedoch auch in diesem Teil im wohl dosierten Übermaß. Die Härteschraube wurde sogar noch einmal angezogen. Hinzu kommt jede Menge Stil: The Raid 2 ist Only God Forgives auf Meth.
Die Handlung ist so komplex, wie schnell erzählt: Der junge Polizist Rama (Iko Uwais) aus dem ersten Teil wird als Undercover-Cop angeheuert. Er soll Informationen sammeln, mit denen die Polizei dem mächtigen Gangsterboss Bangun (Tio Pakusodewo) ans Leder kann. Rama sorgt dafür, dass er selbst ins Gefängnis kommt, wo zur Zeit Banguns Sohn Uco (Arifin Putra) einsitzt. Er freundet sich erfolgreich mit Uco an und bekommt nach seiner Haftentlassung sogar einen Job bei dessen Vater. Jener steckt im Krieg mit einer rivalisierenden japanischen Gang. Banguns Sohn macht hingegen heimlich gemeinsame Sache mit dem Gangsterboss Bejo, der Ramas Bruder getötet hat. Ramas Deckung droht allmählich aufzuweichen, während er zugleich immer mehr zwischen alle Fronten gerät…
Anders als klassische Gangsterepen wie Der Pate ist The Raid 2 jedoch ganz gewiss kein konventionelles Erzählkino. Dieser Knochenkracher ist pure Pulp Fiction, irgendwo zwischen Robert Rodriquez‘ Sin City und Nicolas Winding Refns Only God Forgives. Comicartige Charaktere, artifizielle Überstilisierung, Neureichen-Chic und grobe Gewalt vereinigen sich zu einem schön-schaurigen Cocktail, der so zähflüssig wie Honig und so scharf wie Chili ist. Damit diese wüste Mixtur gut die Kehle hinunterrinnt, wurde sie zusätzlich kräftig mit Amok laufenden Kampfeinlagen verquirlt. Das Ergebnis ist knallhartes Körperkino in Gelenke knirschender und Knochen knackender Konsequenz.
Im Gegensatz zu Nicolas Winding Refns hochambitionierten cineastischen Kunststück Only God Forgives ist es sehr fraglich, ob der manische Regisseur und Drehbuchautor Gareth Evans mit diesem Werk eine über die Zurschaustellung blanker Knochen hinausgehende Aussage treffen will. Das ist auch nicht notwendig. Evans‘ Film sagt uns auf jedem Fall so einiges. Ähnlich wie seinerzeit in Fight Club betritt der entkörperlichte Bildschirmmensch auch bei diesem Film zuerst müde und frustriert den dunklen Kinosaal und kommt zweieinhalb Stunden später mit blutig verquollenem Gesicht und mit einem deutlich an Zähnen reduziertem Lächeln glücklich grinsend wieder heraus.
In The Raid 2 ist die Welt noch in Ordnung: Statt mit schnöden Transaktionen im abstrakten Datenraum wie im unsäglichen Jack Ryan: Shadow Recruit sind die Kriminellen hier mit ganz handfesten Dingen beschäftigt. In dieser Welt ist Macht noch ein ganz klar räumlich greifbares Phänomen. Sie drückt sich darin aus, wie die verschiedenen Gangs Jakarta in ihre jeweiligen Einflussgebiete aufgeteilt haben. Es geht nicht um abstrakte Transaktionen, sondern um Körper und um Raum. Machtzuwachs ist gleichbedeutend mit einer Ausweitung der persönlichen Komfortzone: das edle Büro mit Privatsekretärin, das schicke Apartment mit gefügiger Frau, der eigene Klub mit stets verfügbaren Prostituierten. Nicht der Geist, sondern der Körper will befriedigt werden, will sich Platz verschaffen. – Wie pissende Köter markieren diese Gangster ihr Territorium.
Machtverlust zeigt sich entsprechend in einem Verlust an räumlicher Einflussnahme und an einer Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit. Für Rama bleibt alles gut, solange er immer schön brav nach der Pfeife seines neuen Bosses tanzt. Sollte er Banguns Anweisungen jedoch einmal nicht folgen, droht ihm sofort der Ausschluss aus dem Clan und damit der Verlust seines schicken Apartments und seines Zugangs zu edlen Büroetagen und zum familieneigenen Klub. Derart entmachtet wäre Rama erneut wie im Gefängnis ganz auf seinen eigenen Körper – auf seine nackte Existenz – reduziert. Der Endpunkt ist die völlige physische Zerstörung, sei es durch Fäuste, Hämmer, Baseballschläger, Maschinenpistolen oder mit Hilfe eines kleinen Cutters.
Die Welt ist hier ebenfalls noch in Ordnung, weil innerhalb der Mafia noch ganz klare Verhältnisse herrschen. Zwar sind diese bereits durch die Moderne in Form des aalglatten Managertypen Uco und des anarchischen Wahnsinnigen Bejo bedroht. Aber bisher gilt noch der Respekt gegenüber dem Vorgesetzten und dem Familienoberhaupt. Unstimmigkeiten zwischen den Clans werden ganz zivilisiert am runden Tisch besprochen. Um einen unnötigen Krieg zu verhindern werden auch einmal Zugeständnisse gemacht. Noch mehr, als Familienbande gilt die Verteidigung der persönliche Ehre.
The Raid 2 ist ein Wellness-Film für unsere – aufgrund von undurchschaubaren abstrakten Finanzgeschäften – von wirtschaftlichen Verwerfungen wild durchgeschüttelte Welt.
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