The Pervert’s Guide to Ideology

Von  //  15. Juli 2014  //  Tagged: , , , , , , ,  //  Keine Kommentare

Wie beginnt man eine Rezension dieses hoch interessanten, aber auch etwas sperrigen und trashigen Dokumentarfilms für Philosophie- und Filmnerds? Vielleicht mit der Feststellung, dass sie eigentlich die Länge einer Hauptseminararbeit haben müsste, um die im Pervert’s Guide vorgestellten Themen und Thesen hinreichend erklären und kritisch diskutieren zu können. Natürlich fehlt mir für einen Beitrag dieser Länge die Zeit, und natürlich ist das hier ein Filmblog, weswegen ihr nun einen viel kürzeren Text zu lesen bekommt. Ha! Aber ich wollte es mal gesagt haben – damit sich keiner beschwert, wenn ich gleich Fachbegriffe, Filmtitel und historische Ereignisse einfach so runterrattere.

Nach The Perverts Guide To Cinema ist The Pervert’s Guide To Ideology das zweite, ähnlich konzipierte Gemeinschaftsprojekt der englischen Regisseurin/Produzentin Sophie Fiennes (die viele prominente Geschwister hat) und des slowenischen Pop-Intellektuellen Slavoj Žižek. Den könnte man auch genauer beschreiben als zauselbärtigen, poststrukturalistischen Philosophen/Psychoanalytiker/Kulturkritiker mit Faible für Marx und Lacan. In exakt dieser Rolle knöpft er sich im Pervert’s Guide tonnenweise Filme aus beinahe jeder Ära vor, um ihren ideologischen Subtext zu extrahieren und anschließend radikal auseinanderzunehmen.

Ich war so frei, beim Sichten der Doku sämtliche Werke in chronologischer Reihenfolge ihrer Erwähnung zu notieren und mache jetzt mal cut&paste, um ein Gespür für die (pop)kulturelle Achterbahnfahrt zu vermitteln:

They Live, The Sound of Music, A Clockwork Orange, Westside Story, Taxi Driver bzw. The Searchers, Jaws, Triumph of The Will (Triumph des Willens), The Eternal Jew (Der Ewige Jude), Cabaret, I Am Legend, Titanic, Oratorio For Prague, The Fall of Berlin (Padeniye Berlina), Full Metal Jacket, M.A.S.H., If…, The Dark Knight, Loves of a Blonde (Lásky jedné plavovlásky), The Fireman’s Ball (Hoří, má panenko), Brief Encounter, Brazil, The Last Temptation of Christ, Seconds, Zabrieski Point.

Zwischendurch eingestreut haben Fiennes und Žižek offizielle und inoffizielle Werbung für Coca Cola, Kinderüberraschung und Starbucks Coffee, Bilder der Riots in England und des Brejvik-Amoklaufs in Norwegen im Sommer 2011, ein Konzert von Rammstein, Beethovens 9. Symphonie in allen möglichen Kontexten sowie Impressionen eines Flugzeugfriedhofs in der Mojave Wüste. Etwas konzeptaufweichend, diese Puzzlestücke, aber sie fügen sich ein.

In Kombination mit den Filmen gibt es nun ausreichend Material, um mit praktisch allen Ideologien abzurechnen, die in den letzten 100 Jahren wichtig waren. Einige sind inkl. ihrer bürokratischen und militärischen Manifestationen bereits mit großem Knall gescheitert (Staatskommunismus, Faschismus), andere befinden sich noch auf dem Weg in den Abgrund. Zur letzten Kategorie gehört neben institutionalisierter Religion in verschiedenen Spielarten auch unsere vielleicht größte Nemesis: der neoliberale, globale Kapitalismus, von Žižek mit Bedauern als letzte verbleibende revolutionäre Kraft dargestellt, die freilich “nur sich selber dient”. Pseudo-nachhaltig und cool kommt sie mittlerweile daher, und ist auch deswegen unaufhaltsam. Es sei denn, man verändert radikal sein Denken und setzt sich und anderen die Carpenter-Brille auf (mit oder ohne Boxkampf)!
Anschließend wird der Cameronsche Hollywood-Marxismus entlarvt und darüber hinaus die Möglichkeit erwogen, dass der Eisberg die romantische Liebe des durch Klassenschranken getrennten Paars an Bord der Titanic genauso gerettet haben könnte wie der russische Panzertrupp die Vision des Prager Frühlings. Die Außeneinwirkung war drastisch und böse, aber ohne sie hätte sich eben auch alles verflüchtigt – strukturell bedingt.

Während ich diesen Theorien (und einigen anderen) recht unproblematisch folgen kann und auch gerne folgen will, driftet mir Žižek anderswo zu stark in konstruiertes, psychoanalystisches “Big other”-Geschwafel ab, z.B. bei der Analyse von “The Sound of Music” oder den frühen Miloš Forman-Filmen. Seinen “Nachweis”, dass Christen eigentlich die wahren Atheisten sind (lest die Bibel & schaut Coppola!) fand ich dagegen wieder amüsant und erfrischend, wenn auch zum Schluss nicht ganz befriedigend.

Wie wissenschaftlich und ernstzunehmen Žižeks Thesen sind, das sei sowieso mal dahingestellt. Noam Chomsky hat sie im letzten Jahr sinngemäß als “Rumgepose mit schickem Vokabular” bezeichnet. Und Rajko Burchhardt meinte erst kürzlich in diesem Blog, dass ihm Žižek “zu albern” sei. Nicht ohne gleich darauf zu ergänzen, dass er ihn auch nicht missen möchte.

Tatsächlich versucht Žižek gar nicht erst, einen auf total seriösen Akademiker zu machen, zumindest im Pervert’s Guide: Er trägt die denkbar schluffigsten Klamotten, zieht die Nase hoch, pflegt einen deftigen osteuropäischen Akzent und quatscht den Zuschauer immer wieder unvermittelt aus den Sets und Szenen der gerade besprochenen Filme an, in die er von Fiennes geschickt und liebevoll hineingepflanzt wurde. Genau das macht den Charme der Doku aus.

Und natürlich bringt Žižeks darin – trotz Schwächen – viele wichtige Gedanken (post)moderner Philiosophie auf den Punkt. Zum Beispiel die unangenehme Erkenntnis, dass es keinen ultimativen Bezugspunkt gibt, der Sinn oder Bedeutung garantiert, weder für Ideologen noch für Cineasten. Ganz schön pervers.

UK/Irland 2012, Regie: Sophie Fiennes


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Über den Autor

Alexander Plaum achtet seit frühester Jugend darauf, eine üppige Film- und Musikdiät zu pflegen und - sofern er Zeit hat - den Mediengenuss auch in kleinen Texten zu verarbeiten. In den letzten Jahren hat er u.a. für das O'Reilly Blog, soundmag.de und satt.org geschrieben. Seit dem 01.04.14., 14:14Uhr versucht er, seine neue Seite www.lxplm.net mit interessantem Content zu füttern.

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