reden über schreiben über film(e): #9 outlaw vern
Von Oliver Nöding // 4. Juli 2014 // Tagged: Actionfilm, Chuck Norris, Clint Eastwood, featured, Interview, Steven Seagal // 2 Kommentare
Es ist ca. zehn Jahre her, da entdeckte ich über die damals noch nicht ganz so heruntergekommene Filmgeek-Webseite Ain’t It Cool News einen Schreiber, der mich (nicht nur) mit seiner Begeisterung für Steven-Seagal-Filme sofort faszinierte. Sein Name “Outlaw Vern” suggerierte hinter den kauzigen Texten einen Charakter, der mindestens ebenso charismatisch, eigenständig und trocken war, wie die Helden, die die von ihm bevorzugten Filme bevölkerten. Auch seine Webseite unter dem Namen Then fuck you, Jack: The Life and Art of Vern spiegelte eine auf mich unmittelbar anziehende Art von unbekümmerter Don’t-give-a-fuck-ness wider: Filmtext nach Filmtext in einer Schreibmaschinenschrift gehalten, in ihrer Filmauswahl ohne jede Rücksicht auf Trends oder potenziellen Klickerfolg. Die Sprache, in der die langen, meist humorvollen Texte gehalten waren, steckten voller Neologismen wie “Filmatist” für “Regisseur” oder Idiosynkrasien wie der beharrlichen Schreibung “probaly” statt “probably”. Diese hingeworfene, beinahe mundartliche Schreibe zeugte ohne Zweifel von einem wachen, intelligenten Geist mit beachtlichem Stilwillen und einem einmaligen Talent zur Selbstmythologisierung. Vage Andeutungen einer kriminellen Laufbahn und überstandenen Drogenabhängigkeit verliehen Vern eine Authentizität, die ihn von anderen Filmjournalisten, eher intellektuelle Schreibtischtäter und manchmal grünschnabelig scheinende Theoretiker, abhob. Mehr als in einer filmkritischen Tradition steht Vern für mich in einer gossenpoetischen: Er ist gewissermaßen der kinosüchtige Erbe eines Charles Bukowski oder von Pulpautoren wie Mickey Spillane oder Elmore Leonard. Sein großartiges Buch “Seagalogy”, dem man beim Entstehen quasi zusehen konnte, wenn man seiner Webseite regelmäßig besuchte, verschaffte ihm endgültig einen Namen, auch außerhalb der USA. Es mag kein filmwissenschaftliches Standardwerk sein, aber es vibriert vor ehrlicher Leidenschaft und zeigt, dass man auch ohne hochtrabendes Fachvokabular zum Kern der Dinge vordringen kann. Es ist eine der wichtigsten und schönsten Veröffentlichungen zum weiten Feld des Actionfilms. Als Marco mir seine Idee mitteilte, für Hard Sensations verschiedene Filmschreiber zu interviewen, fiel mir Vern sofort als interessanter Kandidat ein. Ich freue mich, dass er sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.
Vern, als erstes möchte ich dich bitten, dich jenen unserer Leser vorzustellen, die dich vielleicht noch nicht kennen, vor allem hinsichtlich deiner Beziehung zu Film und zum Schreiben über Film. Wie fing alles an, was waren am Anfang deine Vorstellungen, Ideen und Hoffnungen, und was treibt dich dazu an, deine Website am Leben zu halten?
Als ich begann, war es in erster Linie ein Witz: Ich versuchte bewusst, nicht hineinzupassen in die Welt der Online-Filmkritik. Ich wollte die Leute verstören und verwirren und dabei gleichzeitig über die Filme sprechen, die mir etwas bedeuten. Mittlerweile sind fünfzehn Jahre vergangen und das alles hat sich enorm weiterentwickelt. Was mich immer noch antreibt, ist dass ich nicht aufhören kann. Ich schreibe nicht über jeden Film, den ich sehe, aber über die meisten. Für mich gehört das Schreiben zum Prozess des Filmsehens und zum Filmgenuss dazu. Über Film zu schreiben, fordert dich dazu heraus, mehr über das Gesehene nachzudenken. Manchmal lerne ich einen Film erst darüber zu schätzen und erkenne Dinge, die ich nicht erkannt hätte, wenn ich den Film während des Reviews nicht immer wieder in meinem Kopf vor- und zurückgespult hätte. Sogar in Filmen, die ich nicht besonders mag, entdecke ich so immer wieder Aspekte, über die ich gern diskutieren möchte.
Soweit ich weiß begann deine Karriere als Filmschreiber als freier Mitarbeiter für Ain’t It Cool News, wenigstens habe ich dort zum ersten Mal von dir gelesen. Du warst dort so etwas wie ein Außenseiter.
Ja, ich hatte einen anderen Stil als die anderen dort und die meisten Talkbacker [Anm. d. Verf.: Als “Talkbacks” werden bei AICN die offenen Kommentarspalten unter den Artikeln bezeichnet, „Talkbacker“ sind demnach die Kommentatoren.] hielten mich für einen Analphabeten. Aber Harry Knowles [Anm. d. Verf.: Gründer von AICN] und Drew McWeeny [Anm. d. Verf.: ehemaliger Redakteur] unterstützten mich in dem, was ich tat. Ich schickte ihnen, was immer ich wollte und sie veröffentlichten es ohne jeden Einspruch. Also gab es dann auf ihrer Webseite plötzlich jede Menge Reviews von DTV-Sequels zu Sachen wie WILD THINGS und ähnlichem Kram.
Deine Webseite wächst stetig weiter und du fügst immer neue Sachen hinzu, Bücher, T-Shirt-Designs etc. Sie sieht deutlich professioneller aus als noch vor einigen Jahren. Außerdem schreibst du auch für andere Webseiten. Gehst du einer geregelten Tätigkeit nach oder kannst du vom Schreiben leben? Hier in Deutschland ist es sehr schwierig seinen Lebensunterhalt als Filmjournalist zu verdienen, vom Bloggen ganz zu schweigen …
Nein, ich habe einen Vollzeitjob und schreibe nur nebenbei. Die meisten meiner Reviews entstehen in einem Notizbuch, während ich im Bus zur Arbeit und wieder nach Hause pendele. Deshalb erscheinen meine Texte auch nicht so zeitnah wie die professioneller Kritiker. Normalerweise brauche ich ein paar Tage, um einen Text fertigzustellen, nachdem ich einen Film gesehen habe. Ich muss noch herausfinden, ob es vielleicht einen Weg gibt, irgendwann davon leben zu können, aber auch ohne Bezahlung fühle ich den Ansporn, weiterzumachen.
Deine Reviews lessen sich fast wie kleine Geschichten und sie leben von einer starken Erzählstimme, einem unverwechselbaren Charakter. Jeder deiner Texte erzählt ebenso viel über dich wie über den Film, während herkömmliche Rezensionen dazu neigen, ihr Subjekt zu verdecken. Für mich ist dieser Ansatz sehr einladend. Selbst wenn du einen Film nicht magst, stellst du dich nie über ihn.
Schön, dass du das sagst. Nun ja, eine Menge der Dinge, die ich liebe, betrachtet die breite Masse als Müll. Mein Ziel ist es daher, allem eine faire Chance zu geben. Ich bin gewissermaßen berüchtigt dafür, auch noch im schäbigsten Film etwas Interessantes zu entdecken. Wie jeder Kritiker hatte ich in der Vergangenheit auch immer wieder Spaß daran, Filme zu verreißen, die ich hasse, aber noch spannender find ich es, einen Film leidenschaftlich zu verteidigen, über dessen Qualität die Welt sich im Irrtum befindet, Sachen wie THE LONE RANGER oder manche der späten Seagal-Filme.
Humor ist dir sehr wichtig. Versuchst du deine Texte bewusst unterhaltsamer zu gestalten, indem du kleine Gags einbaust oder bist du einfach ein humorvoller Typ? Es kommt jedenfalls immer sehr natürlich rüber.
Ich schätze, ich bin einfach so. Manchmal bedauere ich es, wenn ich einen Text geschrieben habe, in dem es keine Lacher gibt, aber meist fällt mir das erst später auf.
In deinen Rezensionen konzentrierst du dich sehr auf erzählerische Aspekte, auf Handlung und Plot, und du hast ein sehr waches Auge für kleine erzählerische Details entwickelt. Formale Aspekte betrachtest du nicht ganz so akribisch. Interessierst du dich mehr für Narration als für Form und Technik?
Wahrscheinlich stimmt das, aber ich schreibe schon auch über Technik. Ich glaube zum Beispiel, dass ich mit meiner Kritik am Inszenierungsstil moderner Actionszenen der Zeit ein Stück voraus war. All die schnellen Schnitte und wackligen Kameraeinstellungen, die mehr verdecken als sie zeigen. Diese Kritik ist mir wichtig, weil ich Actionfilme liebe. Heute kann man nicht davon ausgehen, dass ein STIRB LANGSAM–Sequel visuell nachvollziehbar aufgebaute Actionszenen hat. Deshalb habe ich das “Action Comprehensibility Rating” erfunden, um Menschen darüber aufzuklären, ob sie von einem Film klare Actioninszenierungen erwarten können oder nicht. Aber es macht mir schon mehr Spaß über das Erzählerische zu schreiben. Ich nehme die Welt, die ein Film aufzieht, gern für bare Münze und baue sie dann weiter aus, manchmal bewusst zu wortwörtlich. Zum Beispiel denke ich gern darüber nach, wie schlecht es den Zügen in CARS wohl geht, oder warum ein Mensch sich eine Katze hält, die so gemein und hasserfüllt ist wie Garfield.
Man kennt dich vor allem für deine Arbeiten zum Actionfilm, besonders für dein Buch über die Filme von Steven Seagal, das – nur nebenbei – wunderbar ist. Ich mag es, wie es dir in deinen Texten gelingt, die Filme gleichzeitig Ernst zu nehmen und doch Spaß mit ihnen zu haben. Man merkt, dass sie dir viel bedeuten. Kannst du mir erklären, was sie für dich so wichtig macht?
Es ist einfach ein Genre, das ich liebe und das meines Erachtens nicht den Respekt oder die Wertschätzung erfährt, die es verdient. In “Seagalogy” versuchte ich unter anderem zu zeigen, dass es nicht etwa ein Mangel ist, wenn ein Film absurd und idiosynkratisch ist, im Gegenteil. Man kann seine ganz eigene Persönlichkeit zu schätzen lernen, anstatt darüber die Nase zu rümpfen. Es gibt viel an HARD TO KILL, worüber man lachen kann, ohne dabei leugnen zu müssen, dass er absolut badass ist und ein großartiger Rachefilm. Ich hatte kürzlich einen der besten Tage meines Lebens, als mich das Cinefamily Theater in Hollywood dazu überredete, bei der Präsentation von HARD TO KILL, ALARMSTUFE: ROT 2, DEADLY REVENGE und AUF BRENNENDEM EIS zu helfen. Die Vorstellungen waren ausverkauft, vollgepackt mit einer Menschenmenge, die applaudierte und die Filme genauso genoss, wie ich das tue. Wenn meine Texte dabei helfen, Menschen in jenen Bewusstseinszustand zu versetzen, ist das gut für die Welt.
Du scheinst dich sehr gut mit typisch männlichen Actionhelden identifizieren zu können. Du zeigst eine Schwäche für Schauspieler wie Steve McQueen, Bruce Willis oder Clint Eastwood. Da du Details deiner Biografie geheim hältst, stelle ich mir Vern immer als schweigsamen, steingesichtigen Typen in den späten Vierzigern oder frühen Fünfzigern vor. Warum identifizierst du dich mit diesen Kerlen? Wie entsteht diese Verbindung zwischen ihnen und dem heutigen Publikum, das gleichzeitig nur Spott für jemanden wie Chuck Norris übrig hat?
Meiner Meinung nach kommt Norris’ Werk an das der anderen Genannten nicht einmal annähernd heran. Seine schönsten Filme sind seine albernsten und absurdesten, wie etwa INVASION U.S.A., in dem er eigenhändig die kommunistische Invasion der USA stoppt, die von einem Schurken angeführt wird, dem Chuck einst solche Angst eingejagt hatte, dass er deswegen immer noch an Albträumen leidet. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob die Menschen heutzutage McQueen, Eastwood oder Charles Bronson noch so sehr zu schätzen wissen. Aber diese Schauspieler waren dazu in der Lage, als Künstler zu reifen, mehr als Norris. Sie machten immer hochwertigere Filme, anstatt billigere und dümmere. Dennoch gibt es viele Menschen, die sich über Clint lustig machen, vor allem seitdem er diese Rede bei der Republican National Convention gehalten hat. Mir hat es beinahe das Herz gebrochen, weil das nicht meine Politik ist, aber dass deshalb sein unvergleichliches Werk in Frage gestellt wird, ist einfach lächerlich.
Was macht Seagal für dich zu einer solch speziellen Person? Er spielt in einer ganz anderen Liga als die eben Genannten, er ist weniger greifbar und es ist schwieriger, ihn sympathisch zu finden …
Sein Werk ist absolut einzigartig. Zunächst einmal gehört er zu den ganz wenigen Schauspielern, die ausschließlich Actionfilme gemacht haben. Wahrscheinlich wird er niemals in einem Drama mitwirken und kaum mehr als einen Cameoauftritt in einer Komödie absolvieren. Außerdem bringt er mehr von sich in diese Actionfilme ein als die meisten anderen. Er spielt fast immer den geichen Charakter. Man erkennt all diese wiederkehrenden Themen und Motive in seinen Filmen: Seine Liebe, andere Kulturen anzunehmen, seinen Respekt für Tiere und Umwelt, seine Ansichten zu korrupten Geheimsdiensten, solche Sachen. Ich nenne das die “Badass Auteur Theory”, die Idee, dass man seine gesamte Filmografie als ein einziges Kunstwerk betrachten kann, so wie man das normalerweise mit Regisseuren macht.
Actionfilme genießen eine schlechte Reputation, vor allem bei der sogenannten seriösen Filmkritik. Aber auch für ihre Fans sind sie manchmal kaum mehr als guilty pleasures. Betrachtest du deine Arbeiten zum Actionfilm als ein Mittel, das Publikum weiterzubilden und zu erziehen? Ihnen beizubringen, mehr als das Offensichtliche zu sehen?
Manchmal ganz sicher. Besonders, als ich für AICN schrieb, oder in meinem Gastartikel für The Village Voice. Aber auf meiner eigenen Webseite hege ich eine anhaltende Beziehung zu meinen Kommentatoren und ich weiß, dass die meisten von ihnen absolute Action-Buffs sind, die mehr über diese Filme wissen als ich. Also muss ich ihnen nicht mehr das Genre näherbringen, sondern nur noch den jeweiligen Film.
Du hast über die Jahre einige wertvolle Beobachtungen gemacht und Theorien wie die der “Badass Juxtaposition” aufgestellt. Oder du hast gängige Strukturelemente wie den “Oh shit, it’s on”-Moment identifiziert. Kannst du unseren Lesern erklären, was es damit auf sich hat?
Nun, die Theorie der Badass Juxtaposition besagt, dass ein Badass-Charakter noch härter scheint, wenn er eine Leidenschaft für etwas Sinnliches oder Emotionales hegt. Zum Beispiel, wenn er ein Musikinstrument spielt oder sich um ein Tier kümmert oder sowas. Clint Eastwood ist etwa sowohl im echten Leben, aber auch in IN THE LINE OF FIRE, ein noch größerer Badass, weil er Klavier spielt. Der “Oh shit, it’s on”-Moment ist jener Moment eines Films, in dem das Publikum zum ersten Mal eine Ahnung davon erhält, dass es bald ganz übel zur Sache gehen wird. Ein Lieblingsbeispiel von mir stammt aus ERBARMUNGSLOS, wenn Clints Charakter William Munny, der vor vielen Jahren sowohl der Gewalt als auch dem Alkohol abgeschworen hatte, erfährt, dass der Sheriff seinen Freund umgebracht hat, und darauf anfängt, Whisky zu trinken. Man weiß in diesem Augenblick sofort, dass das bedeutet, dass er Gene Hackman nachjagen wird, und dieser Moment der Ruhe vor dem Sturm ist fast besser als der Sturm selbst.
In den letzten Jahren gab es ein Wiedererstarken des Actionfilms auf dem DTV-Sektor. Doch plötzlich scheint dieser Brunnen wieder ausgetrocknet. Teilst du diese Beobachtung und wenn ja, was ist für diese Entwicklung verantwortlich?
Ich glaube, das liegt im Sterben der Videotheken begründet. Wann immer Jean-Claude Van Damme oder Dolph Lundgren oder ein anderer einen neuen Film auf den Markt brachten, wurde eine gewisse Anzahl von Kopien automatisch an die Filialen der Blockbuster-Läden [Anm. d. Verf.: Blockbuster Video, eine große US-Videothekenkette, die vor Kurzem pleite gegangen ist] verkauft. Es war für den Profit egal, ob die Filme dort tatsächlich ausgeliehen wurden, also wurden sie in großen Mengen auf den Markt geschmissen und darunter gab es immer auch einige sehr bizarre Vertreter. Dieses Geschäftsmodell gibt es heute nicht mehr. Einiges davon wird von Redbox (ein Leihautomaten-Service, den es hier gibt) und Video on Demand aufgefangen, aber ich fürchte, das wirft nicht genug Geld ab, um die Industrie, die es mal gab, zu retten. Piraterie spielt auch eine große Rolle. Es gibt einige sehr beliebte Titel, wie die UNDISPUTED–Reihe, aber sie bringen nicht viel Geld, weil sie illegal heruntergeladen werden. Dieser Faktor spielte zu VHS-Zeiten kaum eine Rolle.
Manchmal, wenn ich deine Rezensionen lese, glaube ich, dass du insgeheim an einer großen Actionfilm-Enzyklopädie arbeitest, das Buch, in dem du das Genre vom Fundament aus erläuterst – oder das zumindest versuchst. Wäre das eine Aufgabe, die dich reizen würde?
Ja, das würde ich wirklich gern, aber bislang habe ich leider nur wenig Fortschritte gemacht. Das wäre wirklich viel Arbeit.
Gibt es weitere Buchpläne? Ich weiß, dass du einige Fans in Deutschland hast, die Neuigkeiten in dieser Richtung mit Freude hören würden.
Ich habe viele Ideen für weitere Filmbücher, aber keine, die mich so sehr gepackt hat, dass ich mich gleich in die Arbeit werfen wollen würde. Ich hatte viel Spaß an meinem ersten Roman “Niketown”, deshalb werde ich damit weitermachen. Ich versuche derzeit mein Wissen über Slasher- und Actionfilme in einen weiteren Roman einfließen zu lassen.
Ein wiederkehrendes Thema deiner Rezensionen ist deine Unzufriedenheit mit derzeitigen Inszenierungstrends Hollywoods. Du hast oft “Avidfürze”, “Shakycam” und andere Stilmittel kommentiert und kritisiert. Hast du den Eindruck, dass du nicht mehr zur von den Studios angepeilten Zielgruppe gehörst? Dass sie sich mehr an jüngere Zuschauer richten, die mit diesen Stilmitteln aufgewachsen sind? Und hast du die Hoffnung, dass Hollywood sich am sprichwörtlichen Riemen reißen und wieder Filme produzieren wird, die auch Erwachsenen Freude bereiten?
Meine Antwort auf diese Frage fällt wahrscheinlich jeden Tag anders aus. Ich bin ein Horrorfilm-Fan und habe in den vergangenen Jahren miterlebt, wie das Genre mehrfach zwischen verwässertem, jugendfreiem Teeniehorror und brutalstem Gore hin und her pendelte. Ich sollte also wissen, dass Trends Zyklen unterworfen sind. Aber ich fürchte, dass die Filme, die ich mag, immer unwahrscheinlicher werden, je mehr Regisseure mit inkompetenter, unverständlich inszenierter Action davonkommen. Doch dann kommt plötzlich ein Film wie THE RAID daher und wird zum Phänomen. Offensichtlich gibt es dieses Publikum da draußen und ich kann nur hoffen, dass sein Hunger auch in Zukunft gestillt wird.
Etwas, das die Cinephilen-Gemeinde in Europa betrübt und beunruhigt, ist der kürzlich erfolgte Wechsel von Film zu digitaler Technologie, vor allem, weil er mit der Zerstörung alten Filmmaterials einhergeht. Viele Filme werden vielleicht für immer verloren gehen oder zumindest nicht mehr in ursprünglicher Form zu sehen sein. Hast du eine Meinung zu diesem Thema? Machst du dir Gedanken darüber?
Absolut. Ich habe Digitalprojektion mittlerweile zu akzeptieren gelernt, da die Technologie besser geworden ist, und ich mag es, dass manche Ketten sie dazu nutzen, alte Filme in Revival-Vorführungen zu zeigen. Aber dennoch bevorzuge ich echte Filmprojektion und habe sowohl über die Probleme gelesen, die die Archivierung digitaler Master bereitet, als auch über Studios, die sich weigern Kopien von Filmen herauszugeben, obwohl sie diese selbst nicht konvertieren wollen. Es freut mich zu hören, dass ihr euch darum sorgt, denn hier scheint das nicht allzu viele Menschen zu interessieren.
Worüber ich mir jedoch noch mehr Sorgen mache, ist der Zustand der Home-Video-Kultur und der bevorstehende Tod physischer Medien. In Seattle gibt es eine Videothek mit einem Bestand von über 120.000 Titeln. So lange sie im Besitz der DVDs sind, können sie verliehen werden, da die Verleihrechte daran nicht verfallen. Ich mag es, Zugang zu diesem Archiv zu haben, aber je mehr Menschen sich mit der kleinen Auswahl von Titeln zufriedengeben, die ihr Computer ausspuckt, umso schwieriger wird es für solche Einrichtungen, sich zu halten. Selbst wenn man diese Sammlung halbierte – hast du eine Ahnung davon, was es Netflix oder eine beliebige andere Firma kosten würde, dauerhaft 60.000 Titel via Stream verfügbar zu machen? Dazu wird es nie kommen. Allein aus Kostengründen und Bequemlichkeit haben wir uns mit einem System arrangiert, mit dem dieser Bestand, der für uns bislang selbstverständlich war, unmöglich wird. Der Idealfall besteht im Moment absurderweise darin, dass die Rechte an jedem verfügbaren Film in die Händen eines einzigen Riesenkonzerns fallen. Für jemanden, dem es reicht, sich anzuschauen, was immer diese Woche herauskommt, ist das kein allzu großes Problem, aber für jemanden wie mich, der es liebt, sich durch alte Ninja- und Slasherfilme zu arbeiten, ist es die Apokalypse.
Danke für Deine Antworten, es war mir ein Vergnügen!
Ich danke dir.
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