Viva la Libertà
Von Jamal Tuschick // 27. Februar 2014 // // Keine Kommentare
Tango mit der Kanzlerin. In „Viva la Libertà“ spielt Toni Servillo eine Doppelrolle.
„Sie sehen, ich bin auf Besuch nicht eingestellt.“
Giovanni Oliveri schiebt den bescheidenen Verhältnissen seiner zwischen Philosophie, Psychiatrie und Poesie schillernden Existenz den Bildungsriegel vor. Er prahlt mit seiner einzigen Veröffentlichung. Er bietet pompöse Formulierungen auf, während die Kamera ein Leben im Sperrmüll sondiert. Man sieht einen närrischen Intellektuellen (intellektuellen Narren), der in gewendeten Sachen auf Gelegenheiten spekuliert. Er bestimmt den Gast zum Gastgeber in einem Restaurant. Nun kehrt Giovanni den Genießer hervor.
„Viva la Libertà“ erzählt von einander entfremdeten Zwillingsbrüdern auf entgegengesetzten Laufbahnen. Enrico führt unterkühlt und spröde eine Oppositionspartei in die Krise miserabler Umfragewerte. Alles liegt im Argen, nur der Anzug sitzt noch. Man setzt Enrico so zu, dass er sich absetzt. Der Anrufbeantworter verkündet die Unerreichbarkeit des großen Vorsitzenden. Enrico verpisst sich nach Paris, wo eine Geliebte vergangener Tage mit ihm den Kreis ihrer Familie erweitert. Sie ist mit einem Regisseur verheiratet, am Ende dient Enrico, vom Ehrgeiz wie vom Eise befreit, dem Regisseur als Requisiteur. Er grinst so heiter dement wie ein verblödeter Epikur.
Enricos rechte Hand greift nach dem inspirierten Zwilling, als letzte Chance, ein öffentliches Debakel zu vermeiden. Andrea Bottini spielt den Politprofi als bewaffneten Sympathisanten des Absurden. Seine klare Härte, eine Schroffheit, die er für sich behält, schickt den Zuschauer in die Erholung von zu vielen Einladungen zum Schmunzeln. Bottini ist der beste Schauspieler im Film. Als eiskalter Engel organisiert er die Täuschung, er zieht Giovanni aus seinem Loch ans Licht Italiens. Allerdings interpretiert der Doppelgänger seine Rolle nach Belieben. Der Eigensinn nimmt seinen Lauf mit einem Interview. Es suggeriert die plötzliche Illumination eines Politikers. Der exaltierte Giovanni findet in der Rolle des Bruders seine Hochform. Er verkörpert eine Mischung aus Heilsbringer und charismatischem Kasper. Er verzaubert Enricos persönlichste Parteigenossin am Klavier und den Staatschef mit Späßen aus dem Kindergarten. Giovanni tanzt Tango mit einer thatcherisierten Angela Merkel (überzeugend gespielt von Saskia Vester). Die Kanzlerin schmilzt in dieser europäischen Gemeinschaft. Klar, hier soll in Fellini-Manier die große Verzauberung stattfinden. „Viva la Libertà“ ist aber kein Fest der Verwandlung. Der Film hat die Tiefenschärfe eines Fotoromans.
Italien 2013, Regie: Roberto Andò