Nymphomaniac (Volume 1)
Von Jamal Tuschick // 21. Februar 2014 // Tagged: featured, Seltsame Frauen, Skandinavien // 2 Kommentare
Chorgesang und Fliegenfischen.
Ein Mann, den bestimmt nicht erst das Alter bedächtig gemacht hat, findet eine Frau am Boden. Er offeriert der Gefallenen seine Gebrechlichkeit als Stütze und seine Wohnung als Asyl. So fängt „Nymphomaniac 1“ an, dieser Lars geht los mit Rammstein – „Führe mich“. Nicht in Versuchung, sondern erlöse mich mit deiner Geschichte. Ich denke, Seligman tickt so. So heißt der Alte, die verletzte Joe nimmt ihm seine zufriedene Einsamkeit. Stellan Skarsgård spielt Seligman voller Anglerbuddhismus, „entweder beißen alle oder keiner“, und Charlotte Gainsbourg spielt eine bösartige höhere Tochter mit plötzlichem Moral-Koller und katholischen Anwandlungen. Søren Kierkegaard kommt auch zu Wort, Seligman verschweigt die Quelle: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
Joe findet Seligmans Namen seltsam, das gibt ihm Gelegenheit zu erklären, was klar ist. Darüber geht Seligman hinaus, wenn er sich außerdem einen „jüdischen Antizionisten“ nennt. Die Demagogie verkleidet sich als karnevaleske Kino-Dämonie, die vorgibt in der Anderswelt eines Edgar Allan Poe zu ankern. Wer das glaubt, wird selig.
Stacy Martin spielt Joe in ihren Erinnerungen. Joe betont in ihrer Ich-Erzählung eine starke Vaterbindung, der Vater, ein Arzt, bemüht sich zumal um botanische Bildung mit Herbarium und Eschenkult. In der nordischen Mythologie steht die Esche für den Kosmos. Von Trier übersetzt antikes Vokabular in smarte Gegenwart. Die Götter wohnen zur Miete. Sie haben sich in der Mittelschicht eingenistet.
Joe vergleicht sich mit einem Sack Kartoffeln. Sie bittet Jérôme (Shia LaBeouf) um ihre Defloration, „dann drehte er mich um wie einen Sack Kartoffeln“. Bald beginnt für Joe die Zeit des seriellen Sexes, sie versteht das als Aufstand gegen die Liebe. Die Liebe erscheint Joe unnatürlich: „Auf hundert Verbrechen, die im Namen der Liebe begangen werden, kommt nur ein Verbrechen im Namen der Lust.“
Sie engagiert sich in einer Sex-Sekte, sie reißt im Akkord auf. Sie wettet und würfelt auf/um Männer. Den Zufall bestimmt sie zu ihrer Regierung.
Joe begreift wohl, was sie anrichtet. Sie gibt einem verheirateten Liebhaber den Laufpass mit der Formulierung (aus dem Textbuch für Verheiratete), die ihr immer dann gefällt, wenn der Würfel so gefallen ist, dass vier Augen aufschauen. Dann sagt Joe: „Da ich weiß, dass du deine Frau nie verlassen wirst, … .“
Eine halbe Stunde später beweist der Entflammte seine Liebe, indem er mit Sack & Pack vor der Tür seiner Geliebten steht. Uma Thurman spielt die auf dem Fuß folgende Ehefrau. In Joes Wohnung kehrt sie eine Furie heraus. Joe bleibt entrückt, der fremden Not schlafwandlerisch entfremdet.
Sie begegnet Jérôme wieder. Er ist vorübergehend Chef (als Vertreter seines Onkels) und Joe spielt seine Sekretärin. Nun weiß sie, was Liebe ist.
Schuld und Erlösung – So wie Joe auf ihre Schuld besteht, wird sie von Seligman wie am Fließband exkulpiert. Er scheint nicht ganz von dieser Welt, Seligman erklärt sie mit Anglerlatein, dem Diabolus in musica und Cantus firmus.
Von Trier schildert eine Mechanik. Er bildet Seligmans phantasmagorische Bezüge zwischen Tritonus, Chorgesang und Fliegenfischen konkret wie für den Volkshochschulunterricht ab. Mich beeindruckt diese in Plastik geschlagene Liturgie für den Hausgebrauch und alle Fälle, vom Gebet bis zur Gestik. Klar wird, Joe könnte Seligman einen Mord gestehen, er würde ihr besinnungslos und doch mit einem tröstenden Zitat Absolution erteilen. Seligmans Bedeutungsgewinn im Verhältnis zu Joe ist eine Geschichte in der Geschichte. Kein Zweifel an ihrem tragischen Ende. Aber erst im zweiten Teil.
Dänemark 2013, Regie: Lars von Trierr
2 Kommentare zu "Nymphomaniac (Volume 1)"
Yeah. Ein Meisterwerk! Habe die Langfassung zur Berlinale sehen können, ein Muss für alle Fans von ArtCore, was meint: Explizite Szenen mixed mit Arthouse. Hatte auch ein angeregtes Gespräch nach dem Kino mit anderen Zuschauern, die es auch in den Film geschafft hatten. Da erfuhr ich so manch weiteren guten Tipp in Sachen aktuellem ArtCore, z. Bsp. auch aus hiesiger Produktion. So hat der „deutsche Lars von Trier“ RP Kahl, der vor ein paar Jahren auf der Berlinale mit seinem SexArtSchocker „Bedways“ für einige Aufregung sorgte, eine Art Nachfolgeprojekt gemacht, dass noch expliziter und gewagter und auch ohne „Fake“, ist. Jedoch nur auf DVD in limitierter Auflage zu bekommen: „Rehearsals“ heißt das Werk! Weiterhin wurde auch der serbische Film „Klip“ benannte, den kannte ich bisher auch noch nicht. Auch absolut sehenswert! Nun freue ich mich schon auf Triers Teil 2, oder ich muss mal am Wochenende nach Dänemark fahren…
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