Geschichtsunterricht
Von Jamal Tuschick // 14. Februar 2014 // // Keine Kommentare
Berlinale und historischer Materialismus
„Seit grauer Vorzeit verteilten dreihundert Familien unter sich alle hohen Ämter Roms. Der Senat war ihre Börse. Dort handelten sie aus, wer von ihnen auf der Senatsbank, wer auf dem Richterstuhl, wer auf dem Schlachtross, und wer nur auf dem Landgut sitzen sollte.“ Bertolt Brecht
Das Wesen jeder feudalen und aller bürgerlichen Ordnung ist Repräsentation. Nach Stuart Hall ergibt sich im 20. Jahrhundert „eine kulturelle Revolution mit dem Einzug der Marginalisierten in die Repräsentation“. Bertolt Brecht zeigt in die andere Richtung. In dem Fragment gebliebenen Roman „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“ analysiert er eine Karriere mit dem Besteck des historischen Materialismus’. Brecht nimmt Caesar sämtliche heroische Attribute. Die Plünderung von Völkern, der Sklavenhandel und die Korruption konstituieren die Macht des Tribuns. Brecht konstatiert Imperialismus ohne Zweifel (an seiner Rechtmäßigkeit).
1972 adaptieren Jean-Marie Straub und Danièle Huillet die „Geschäfte des Herrn Julius Caesar“ unter dem Titel „Geschichtsunterricht“ in sechsundfünfzig Einstellungen. Das Brechthaus zeigt den Film in einer Sonderschau der Berlinale. Der englische Germanist Martin Brady besorgt die Einführung. „Ist alles Marx“, erklärt er vergnügt. Das Publikum ist auch guter Dinge, man kennt sich von gymnasialen Brechtinszenierungen in Lörrach und Freiburg Anfang der Sechziger. Ich bin unter süddeutsche Theaterpädagogen gefallen. Manche haben sich als Ernst Thälmann verkleidet. Sie lärmen wie eine Schulklasse.
„Geschichtsunterricht“ ist eine Deutschstunde in Rom. Der Film beginnt vor einem Standbild. Eine römische Weltkarte zeigt dem Geschehen das Jahrhundert an. Ein Mann fährt Fiat. Minutenlang verfolgt die Kamera den Fahrer. Mehr geschieht nicht, gefühlte Stunden lang. Brady spricht „von einer lapidaren Lenkung des Blicks.“ Die Kameraführung sei „zugleich dokumentarisch und metaphorisch“.
Die Route wird immer labyrinthischer und lausiger, der Fahrer hat die Hauptstraßen verlassen. Die Regisseure nannten die inszenierte Ereignisarmut „automobile Spaziergänge“. Sie wählten solche Stellen im Fragment, die materialistische Geschichtsschreibung exemplarisch erscheinen ließen.
Der Fahrer hängt an visuellen und akustischen Ketten – „ein Gefangener der Kamera“, wie Brady zitierend sagt. Ich kriege nicht mit, wer zitiert wird. In der nächsten Einstellung spricht ein gewesener Bankier so wie Brecht schreibt. Er erklärt „den Kampf der City mit dem Senat. Der Senat will „die City“ mit Gesetzen kontrollieren. Doch „kann man mit Gesetzen alles, nur nicht den Handel aufhalten“, weiß Mumilius Spicer, von Gottfried Bold wie auf dem Theater im historischen Kostüm gespielt.
Der Fahrer fährt, die Bundesrepublik singt „Hoch auf dem gelben Wagen“. Rolf Dieter Brinkmann ist Stipendiat in der Villa Massimo“, der Zuschauer vermutet im Fahrer einen Biografen, der Zeitzeugen abklappert. Er fährt unangeschnallt durch das Rom der Malavita. Er heißt übrigens Benedikt Zulauf.
Vielleicht soll man es besonders gelungen finden, dass die Brecht’schen Essenzen deklamiert werden als würden in Ben Hur die Pferde losgelassen, während Benedikt sonst immer nur Auto fährt.
Caesar ist der kommende Mann, als Rom den Sklavenhandel monopolisiert. Da liegt der Zusammenhang zwischen Imperialismus, Ökonomie und Verelendung der Landbevölkerung auf der Hand. Der Fahrer trifft einen Anwalt (Henri Ludwigg). Der tischt so was auf: „Nicht nur der Hunger tötet, auch der Appetit nach Austern.“
Den Senat erklärt er so: „Man muss bestochen haben, um sich selbst ordentlich bestechen lassen zu können.“
Seine Funktion im Film ist der Transport von Handelsinformationen: „Der Handel tötet wie jeder Krieg.“
Der Fahrer besucht einen Ex-Legionär, Bauer im Jetzt vergangener Tage. Johann Unterpertinger referiert Gallische und Punische Kriege: „Beispiel Punischer Krieg. Wir hatten ihn aus dem besten Grund geführt, nämlich um die afrikanische Konkurrenz niederzukämpfen, aber was wurde daraus? Man machte Karthago dem Erdboden gleich. Unsere Feldherrn sagten stolz: Wo meine Legionen hintreten, da wächst kein Gras mehr. Aber genau auf dieses Gras waren wir eben aus. Es gibt ein Gras, daraus wird Brot gemacht. Was mit immensen Kosten erobert wurde, das waren Wüsten.“
Diese Geschichtsstunde ist nach 88 min zu Ende, die ollen Theaterpädagogen schlafen mit mahlenden Kiefern. Kaum zu glauben, dass der Film von englischen Germanisten kultisch betrachtet wird. Ich glaube, Brady behauptet das nur, um besonders germanistisch zu wirken.
Frankreich 1972, Regie: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet