Footnote in History? East German Writers
Von Jamal Tuschick // 10. Februar 2014 // Tagged: Berlinale, Dokumentation // Keine Kommentare
„Footnote in History? East German Writers“ – Vorläufiger Höhepunkt der Berlinale ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1990.
Der im Berlin dieser Tage unvermeidliche George Clooney geht Matt Damon voran über den roten Teppich vor der Rumbalotte. Damon geleitet Holly Aylett. Die Regisseurin trägt etwas, das, so sagt es eine CNN-Journalistin, „nach totalem Understatement aussieht“.
Eben wurde „Monuments Men“ gezeigt, der Film handelt von Kunstkennern im Krieg, die Protagonisten mussten sich von der Premierenparty eisen. Aber im Augenblick gibt es nur einen Platz to be in Berlin. Das Blitzlichtgewitter erschlägt einen Reporter des kanadischen Schülerkanals „Green Mountain Globe“. Hoffentlich ist er nur ohnmächtig geworden. Eben hat er sein Publikum noch an Stefan Heym erinnert, der im März 1990 mit der Behauptung an die transatlantische Öffentlichkeit ging: „The German Democratic Republic will be nothing more than a footnote in world history.“
„Footnote in History?“ – So heißt der Film von Holly Aylett. Er beginnt und endet mit einer Mauerszene. Am Anfang heben Souvenirjäger Brocken an einer zerschlagenen Stelle auf. Geschichte zum Greifen – history to go. Man sieht im Verlauf den Alexanderplatz und die Schönhauser Allee bei Sonne und im Regen und einmal auch im Nebel. Zum Schluss überwinden die Eingeschlossenen von Berlin die besungene Barriere in einem kollektiven Anlauf. Sie helfen sich gegenseitig auf die Krone. Sie lassen Beine baumeln. Jeder Kamera zeigen sie das V ihres Sieges. Clooney summt in der Zwischenzeit „Born in the USA“, vielleicht ein ironischer Kommentar. Christa Wolf tritt auf und erzählt das, was sie immer erzählt hat. Wie furchtbar der Faschismus war und wie groß die Hoffnungen waren, die „wir“ in den Sozialismus gesetzt haben. Sie steht im Zenit ihrer Bedeutung, der Film sagt es: „Christa Wolf is a leading writer in the GDR and an outspoken critic of East and West blocs.“
Immer wieder strafft sie ihre Pulloverarmen, immer noch möchte sie die Ärmel hochkrempeln und Aufbaueifer beweisen. Bald wird es ihr an den Kragen gehen und die Rede „von der Beschädigung der Literatur durch ihre Urheber“ wird in Umlauf kommen als noch eine Gemeinheit der Sieger. Gefühlssozialist Clooney stellt das klipp und klar in „Monuments Men“: „Man kann eine Gesellschaft bedrängen, sie wird immer einen Weg finden, sich zu behaupten. Wenn du aber ihre Kultur kaltmachst, dann wird es so sein, als hätte es sie nie gegeben.“
Ja, Clooney ist nicht zum Spaß am Start, er weiß, die DDR-Bevölkerung richtete auf Literatur höchste Erwartungen. Schriftsteller dienten der freien Presse in ihrer Abwesenheit als Ersatzspieler. Leser fanden Konterbande zwischen den Zeilen. Clooney erklärt das Damon: „Literatur war die Agora der DDR.“
Das hätte ich nicht besser sagen können. Helga Königsdorf erinnert im Film daran, wie wichtig Bücher waren: „Jeder Satz wurde um- und umgewendet.“ Christoph Hein erinnert an Zensur. Er beschreibt den heroischen Akt einer poetischen Produktion ohne Aussicht auf zügige Publikation am Beispiel des „Fremden Freunds“ („Drachenblut“).
„Das ging nicht, dass ein Mann ein Buch aus der Perspektive einer Frau schreibt“, sagt Hein. Ging doch. (Das erzählende Ich versammelt seine hangarounds in der Ärztin Claudia.)
Regisseurin Holly Aylett folgt Bert Papenfuß in Donnerkuppeln des Prenzlauer Bergs. Rauchende Karos. Eine Jeunesse dorée gibt sich da als Papenfuß’ Publikum zu erkennen. Der Dichter deklamiert: „Man soll die Auseinandersetzung da fortsetzen, wo sie angefangen hat.“
Papenfuß besteht auf seine Biografie, er hat von Weggängern gelernt.
In DEFA-Einspielungen sieht man junge Menschen aus ihrem sozialistischen Überschwang Kunst für das Volk schöpfen. Eine Springbrunnenverkleidung wird ausgewalzt und auf dem Alexanderplatz montiert. Holly Aylett bringt die Repräsentationen eines hoffnungsvollen Anfangs in Abhängigkeit von den beinah DDR-postumen Aussagen der Schriftsteller. Sie legt eine anekdotische und episodische Lesart nah, weit weg von Symbolismus und aufrauschendem Staatsbegräbnis.
Auf den Skalen der Distanzierung äußert sich keiner im roten Bereich. Die neue Gesellschaft – „der Kommunarden Traum vom Ich zum Wir“ – wird zwar nicht gelingen, doch schreibt man noch Lieder für einen Hochzeitstanz. Demokratie & Sozialismus sollen im eigenen Deutschland unter die Haube und so glücklich werden wie in einem gerechten Eigenheim.
Hein steht auf dem Alexanderplatz, der Wind zerrt an Schößen und Schöpfen. Wind gehört zu den Stilmitteln des Kalten Krieges. Hein redet über „einen einsamen alten Mann“. Die Menge ist von sich selbst ergriffen und Honecker vermutlich immer noch überrascht. Tage zuvor hat er noch eine Ewigkeitsgarantie für den Sozialismus „im Vaterland von Marx und Engels“ abgegeben. Holly Aylett blendet Marx und Engels im Original ihrer Monumente ein, als Kaventsmänner verankert im Arbeiterparadies. Dann sieht man Christa Wolfs „Geteilten Himmel“ im Ausschnitt. „Der Himmel wird immer zuerst geteilt“, heißt es in der Verfilmung von Konrad Wolf aus dem Jahr 1964. „Habt ihr gehört“, heißt es weiter, „die Russen haben einen Mann im Kosmos.“ Ein Zug hält auf offener Strecke, die Notbremse wurde gezogen, um den Bremsweg zu testen.
„Zu lang“, sagt der Mann mit der Stoppuhr lakonisch. So klang die Aufbau-Prosa. Das war sozialistischer Realismus – wir müssen den Bremsweg verkürzen. Die Verzweiflung des Durchhaltens kannte man aus Stalingrad und von den Trecks. Mit dem Abstand eines Vierteljahrhunderts beantwortet sich die Frage in Holly Ayletts Filmtitel von selbst. Die DDR-Literatur wird zu dem gehören, was von der Bundesrepublik in ihrer historischen Betrachtung übrigbleibt. Clooney sieht das auch so. In seinem Fazit spielt er mit Hemingway: „Winner take nothing“ – Der Sieger geht leer aus.
GB 1990, Regie: Holly Aylett