12 Years a Slave

Von  //  21. Januar 2014  //   //  Keine Kommentare

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Call & Response – Steve McQueens „12 Years a Slave“ bringt den Blues ins Kino und in die Herzen.

Wisconsin, Vermont, Pennsylvania. Illinois, Indiana, Iowa. Rhode Island. Kalifornien, Kansas. Connecticut. Maine, Massachusetts, Michigan, Minnesota, New Hampshire, New York. Ohio und Oregon. Ich rufe die Staaten bei ihren Namen, die vor dem Sezessionskrieg die Sklaverei abschafften. Der abolitionistische Impuls kam aus dem Pietismus, das sieht man im Kino in einer Hypotaxe. Brad Pitt spielt den kanadischen Zimmermann, (Bob Dylan grüßt über den weiß gestrichenen Lattenzaun) der den verschleppten Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) der Freiheit näher bringt. Brad redet in Louisiana auf einer Plantage von farbenblinder Menschenwürde. Er redet nach seinem Verständnis der Bibel so. Sein sklavenhaltender Arbeitgeber liest die Bibel anders. Man möchte sie ihm aus der Hand und um die Ohren schlagen. Man möchte ihm die Ohren abschneiden, so sehr wird man Partei in „12 Years a Slave“.

Der Prenzlauer Berg ist spiegelglatt, ich sitze allein in einer Spätvorstellung. Ein gewaltiger Film in einem geräumten Saal: kein König könnte fürstlicher Kino kriegen. Eben war ich bei einer Lesung von einem Infantilz. Das bärtige Gummibärchen sprach über Musik als sei es dazu verdammt, für immer drei zu bleiben. Gegen das Erbrechen hilft Earl Hooker, „Two bugs and a roach“.

Eine „Society for effecting the Abolition of Slavery“ wurde 1787 von Quäkern gegründet. Brad Pitt spielt den Quäker. Er kommt kurz und spät ins Spiel. Er hält Northups Eigentümer vor, dass Sklaverei Sünde sei. Während der Plantagenbesitzer seine Sklaven für Geschenke hält, die Gott persönlich verteilt. Nach seinen Begriffen hat der Herr im Himmel selbst die schwarze Haut zum Gerben mit der Peitsche an das Kreuz der Untertänigkeit genagelt.

Northup wird schließlich wieder in seine Rechte gesetzt und trifft seine Familie in New York. Er unterstützt die Fluchthilfe-Organisation „Underground Railroad“. Zu ihren Kampagnen gehören verdeckte Mitteilungen, eine Art Informations-Capoeira. Man singt die Geheimschriften.
Call & Response. Blues & Subversion – Regisseur Steve McQueen schildert eine wahre Geschichte. Solomon Northup ist bis zur Verschleppung 1841 ein freier Musiker und Familienmann in Saratoga im Staat New York. Menschenhändler organisieren seine Ohnmacht. Sie nehmen Northup den Taufnamen und erklären ihn zu einem entwichenen Pat aus Georgia. Diese Degradierung dient gerichtsfest ihrer Legitimation. Sie schaffen Northup in Ketten unter Deck eines Schaufelraddampfers, und dann gibt es eine Weile nur noch den Mississippi im Film. Der Fluss singt sein Lied in den Farben des Südens. Der Süden vor dem Sezessionskrieg. Zukünftige Gegner sind noch Kadettenkameraden in West Point.

Verschleppte unterhalten sich über Fluchtchancen. Sie sind in der Überzahl, doch bleibt das bedeutungslos. „Die meisten Nigger wurden in der Sklaverei geboren, die können sich gar nicht erheben“, sagt einer und erscheint mit der Feststellung als ein anderer. Doch dann entdeckt er seinen Herrn im Hafen und fällt ihm um den Hals. Er legt seinen Kopf an die weiße Schulter, als kehrte er erleichtert zurück in eine Obhut. Raffiniert erleuchtet Steve McQueen den Betrachter. Erst das selbstbestimmte Reden, dann die vollendete Regression, und vor all dem der Mississippi in voller Breitseite. Der Master will dem Weggelaufenen wohl. Ein Menschenfreund, den auch die Fauna rührt. Er packt seinen Nigger ein und ab geht die Post zur Plantage.

Northup muss erst noch für den Verkauf fertiggemacht werden. Über ihn verfügt ein Geschäftsmann (Paul Giamatti), der sein steinernes Herz rühmt. Er reißt eine Familie auseinander, die Ergebenheitsbekundungen der verzweifelten Mutter enerviert überhörend. Adepero Oduye spielt die unglückliche Eliza. Minuten später wird die Episode auf ihren Punkt gebracht. Frau Epps, (Sarah Paulson) eine vertrackte Herrenmenschin, die nachts Puppen tanzen lässt, sagt in ihrer Eigenschaft als Elizas aktuelle Eigentümerin: „Gebt ihr zu essen und lasst sie sich ausruhen, dann sind die Kinder schnell vergessen.“

Dieses Wohlwollen reißt einen auf. Es schreit nach Bewaffnung. „12 Years a Slave“ bietet Entladungen keine Gelegenheit. Man kann sich mit dem kaum mehr als widerborstigen Intellektuellen Northup nicht identifizieren. Chiwetel Ejiofor spielt einen musikalischen Trauerkloß. Eine Riesentrantüte mit Glubschblick. Jamie Foxx, übernehmen Sie. Am liebsten würde ich mit Jamie zusammen einreiten. Der Film lässt zerfetzte Rücken in Serie gehen. Northup gerät an einen besonders bigotten William Ford. Benedict Cumberbatch spielt den Kenner der Künste. Feinsinnig verleiht Ford seinen talentierten Nigger zur Unterhaltung der weitläufigen Nachbarschaft. „Was dir der Master gibt, das darfst du behalten.“
Schließlich gibt er ihn ab an Edwin Epps (Michael Fassbender). Dessen Sadismus ist religiös grundiert.

Northup krümmt sich, er will nicht bloß überleben. Aber genau das widerfährt ihm, die totale Demontage seiner geschliffenen Persönlichkeit. Die Stadien der Deformation sind beflaggt von den Attitüden degenerierter Aufseher (Nachfahren des sonnenköniglich-absolutistischen Abschaums) und den Emanationen einer allgemein porösen Moral. „12 Years a Slave“ lädt zu der Deutung ein, dass sich Northup für was Besseres hält als die in Sklaverei geborenen Genossen. Er lebt mit einem Vorbehalt unter ihnen, vielleicht sogar mit mehr als einem Dünkel. Northup betrachtet seine Biografie als eine von allem anderen getrennte Angelegenheit. Vergeblich versucht er mit Leuten aus dem Norden in Kontakt zu kommen. Bis der christliche Schreiner Brad mit seinen pietistischen Brettern auftaucht.

Northups Lage ist nicht hoffnungslos. Seine Verschleppung in den Süden verstößt auch gegen Gesetze eines Sklavenstaats. Northup braucht bloß einen weißen Gewährsmann für die Richtigkeit seiner Herkunftsangaben. Auch das führt den Zuschauer an eine Erträglichkeitsgrenze. Für alle anderen auf den Plantagen im Delta gilt die Rechtmäßigkeit ihrer Rechtlosigkeit.

Northup schneidet Zuckerrohr und pflügt Baumwolle. Er ist ein mieser Pflücker, ein Plansollverweigerer voller Heimlichkeiten. Ständig kriegt er die Hucke voll. Epps bricht ihn in Raten. Ja, Northup wird gebrochen. Wenn einer behauptet, dieser Sklave könne seine Würde bewahren, dann sage ich, so denkt ein Rassist. Epps vergeht sich an Patsey. Pat & Patsey – Namen aus der Spielzeugkiste. Lupita Nyong’o spielt die verlorene Louisiana Belle. Es kommt soweit, dass Patsey Pat bittet, ihr beim Selbstmord behilflich zu sein. Doch fehlt Northup dazu die Charakterstärke. Allerdings bringt er es fertig, Patsey auftragsgemäß zu züchtigen. Epps sucht mit dieser Delegation im Fundus der Alternativen zur Liebe nach einer Möglichkeit, seine Gefühle für Patsey mit seinem Machtanspruch zu harmonisieren. In gewisser Weise löst Northup das Problem für ihn. Die Peitsche in der Sklavenhand zeigt die Zukunft an. Die Ächtung der Sklaverei schafft ihre Voraussetzungen nicht ab. Mit dieser Beunruhigung geht der Zuschauer heim. Als Soundtrack für den Weg rate ich zu „I put a spell on you“ (Screamin’ Jay Hawkins), „Walking by myself“ (T-Bone Walker), und so viel Howlin’ Wolf wie möglich.

USA/GB 2013, Regie: Steve McQueen


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