Filmtagebuch einer 13-Jährigen #10
Von Silvia Szymanski // 23. Februar 2014 // Tagged: Beat, featured, Große Hunde, Lehrer, Männer in den besten Jahren, Porno, Queer, Sexploitation, Sexualberatung, Tintenfische // Keine Kommentare
Das Hausmädchen schaut in SOVIEL NACKTE ZÄRTLICHKEIT heimlich im Haus ihrer Chefs einen Porno.
Heute Nacht hab ich mich im Traum danach gesehnt, einen Film zu gucken. Ich musste kurz in ein Kino, um etwas abzuholen, und ich sehnte mich, so wie die anderen in den dichten, dunstigen Rotweinton des alten Films getaucht zu werden wie in Musik oder in sexuelle Liebe. Dieser 12. Hofbauerkongress (vom 2. bis 6. Januar 2014) war besonders schön, und noch nie waren so viele Leute da, sogar aus Edinburgh, Wien und Berlin. Lukas Förster und Thomas Groh haben danach im „Freitag“ allgemein über die Kongresse geschrieben. Überhaupt haben viele über die Filme geschrieben; ich habe (s. u.) viele Links zu ihren Texten herausgesucht.
Vulkan der höllischen Triebe (Peter Hauser, 1968)
Der Film gehört für mich vor allem den Mädchen und Albert Hehn, dem Vater von Sascha. Die Jungs versuchen freilich, wenigstens diesen Film/ihr kriminelles Projekt lang die Mädchen für sich einzuspannen. Sie rekrutieren sie aus ihrem Bekanntenkreis und schaffen sie her aus Köln, einem Münchener Internat, einer Bude in Hamburg. Das Hamburger Mädchen, Karin, liegt gerade in der Badewanne, als sie abgeholt wird – eine leuchtende long cool woman, nackt und nass, himbeerweich und lasziv wie die junge Doris Kunstmann (mit ein bisschen Gisèle Bündchen). In diesem Ehrgeiz sind sich der Film und seine Jungen einig: Sie brauchen die schärfsten Frauen, um das Ding zu drehen, das alle finanziell sanieren soll.
Und zwar sollen die Mädchen einen Haufen willkürlich eingeladener Männer in den besten Jahren auf einer Beatparty in einer verwitterten Wochenendvilla skrupellos becircen und ausnehmen.
Das mit dem skrupellos wird ein Problem. Ältere Männer sind nämlich manchmal ganz schön nett. Karin und ihre Freundin gabeln am Vorabend der Party in einer rustikalen Gaststätte schon mal zwei von ihnen auf. Der eine sitzt, volksmärchenhaft wie eine Figur von Wilhelm Busch, bei Braten und Knödeln in einem großen Weinfass (der ganze Film liefert Beispiele für die Marotte der Seventies, überkommene Gegenstände originell zu zweckentfremden). Der andere ist ein Mann von Welt, Albert Hehn. Schön, wie er sich seiner Stimmung für Karin hingibt, schmelzend und doch souverän. Und wie er sie anstrahlt – gezügelt begierig, megainteressiert. Ein Junge schaut aus seinen Augen, beherrscht von einem auf Enttäuschungen gefassten, aber nicht entmutigten, älteren Ich.
Es abenddämmert tief rosa bei der Villa. Sie wirkt marode, wie schon länger verwaist. Der Swimming-Pool davor ist ein sehr schlichtes, tristes, altes Becken. Die Agaven in den hohen Tonkrügen: trocken, betagt, vernachlässigt. Als Deko und Partymöbel dienen Halfter, Sättel, eine Kutsche. Die Beat-Musik passt zu den jungen Gangster-Taugenichtsen: zum Herzerbarmen untrainiert und wund, voll Muskelkater und wehen Stimmbändern, getragen von einem kläglichen englischen Jungsgesang mit hartem, deutschen Akzent, der unfreiwillig an Nico denken lässt. (Nur „Coming home“ klingt unverletzt.) So ist der Sound des ganzen Films: rau, stimmgebrochen, sprunghaft, mit trockenen, schief sitzenden, minimalistischen Dialogen im oft reizvoll unpassenden Tonfall. Die Leute tanzen individualistisch, besonders ein abgedrehter, im eigenen Film eingesponnener Junge, der sonst hier nichts zu suchen hat (der blondbärtig-bärige der Gangster ähnelt meinem Aachener Kollegen Alex Barth, was absolut nichts Schlechtes ist.)
Toll ist das Schmusen zwischen den Mädchen und den Opfermännern, und dieses müde und bedröhnte Abhängen auf den Sitzmöglichkeiten sieht so echt aus. Alles quietscht und eiert, aber gerade weil es unbeholfen und nicht wie ein echter Spielfilm ist, wirkt es fast wie das wahre, unbeirrt durchzuziehende Leben. Als die Mädchen in ihrer Unterwäsche lästernd mit einander auf dem Bett liegen und ihre Rebellion gegen die Jungs planen, ist das so aus sich heraus, auf ungemachte Weise sexy. Dann ihre Flucht durchs Schilf und durch den Fluss, immer noch in BHs und Slips, und als die eine, fast nur mit der den Jungs geklauten Pistole bekleidet, wie ein spielendes Kind auf den Baum klettert und (nicht böse) über ihre Freunde lacht: <3
Den Jungs sind Autos wichtig. Aus unerklärter Quelle stehen ihnen zwei hübsche, kleine, gebrauchte Sportwagen zur Verfügung, mit denen sie schändlich fahrlässig umgehen. (Überraschend wusste keiner der Kongressjungen, die ich nachher fragte, welche Marke. In Thomas‘ Text (s. u.) stand es dann aber: Jaguar).
Ein kleines Auto wird sehr langsam in ein größeres geladen und zu einem seichten Fluss gefahren. Alles ächzt unter der Anstrengung, nicht nur das Auto, sondern den ganzen Film zu stemmen, bzw. zu versenken. Als es endlich unten ist, haben sie eine wichtige Tasche drin vergessen. Zum Glück hat aber zufällig jemand eine komplette Taucherausrüstung dabei und eine Unterwasserkamera – sie haben schön was aufgetrieben, und das dilettantische Scheitern dieses großspurigen Aufwands nehmen sie gelassen: 9/10
Außer mir schrieben über den Film: Oliver, Udo, Alex , Thomas
So viel nackte Zärtlichkeit (Günter Hendel, 1968)
Ein Mann von Welt und in den besten Jahren – solide, Trachtenjanker, weitgereist – hilft im Hotel einer Zimmernachbarin aus der Bedrängnis durch einen aufdringlichen Verehrer (lieber Gott, ich hoffe, ich erinnere mich richtig – es ist unfassbar, was ein müdes, reizüberflutetes Gehirn mit „Wahrnehmungen“ macht!). Er war lange in Kanada, kennt hier keinen mehr und nimmt sie in sein Leben auf. Im Anhang ihr schriftstellernder Bruder Jochen, für den sie sich verantwortlich fühlt, weil er angeblich krank ist. Der Herr hält dieses zynische Enfant Terrible von Anfang an zu Recht für einen Nichtsnutz.
Er zeigt ihr sein Haus – es ist, ähnlich wie im VULKAN DER HÖLLISCHEN TRIEBE, eine intensiv Abgekämpftheit ausstrahlende, an den Ecken abgestoßene Location, die sich im Film als chice Villa behaupten muss (ich mag so etwas sehr). Das neue Frauchen empfiehlt sich als pflegeleicht und gelehrig und staunt gebührend: „Aus dieser Küche will ich gar nicht mehr raus!“ Schon bald führen sie in Wohn- und Schlafzimmer (dem „Tattersaal“, so Jochen abfällig) eine Benimmbuchehe. Während er sich mit Pfeife und Tageszeitung in der Sesselgarnitur verwurzelt, trippelt die frischgebackene Hausfrau mit ihrem Popo im schlangenhautengen Kleid unter seinem wohlgefälligen Blick herum und richtet Blumensträuße hin… „Sie hat sich schnell eingelebt!“, sagt er besitzerstolz und anerkennend, mit schmunzelnder, viriler Behaglichkeit. Er ähnelt abwechselnd meinem Kindheitsnachbarn Rektor Pferdmenges, Curd Jürgens und Bernd Brehmer vom Werkstattkino München (!!! Bernd! Bitte entschuldige, falls du das liest! Ich meine das nur ganz leicht und oberflächlich! Nur, wenn du im Film so einen spielen müsstest!!!). „Es ist, als würde man Vater und Mutter beim Sex zuschauen“, stellte mein Sitznachbar Sebastian fest, als sie ihre Art der Liebe machten. Das stimmt ein bisschen, aber das ist gut. Sie sollen alle Sex machen. Ich will am Ende alles wissen.
Sie gehen in den Zoo, und sofort verhält sich die Kamera wie ein Kind und nimmt nur noch die Tiere auf; das Liebespärchen redet weiter, hinter unseren Rücken; er erzählt ihr gerade (wir schauen dabei einer Elefantin zu) von seiner gescheiterten Ehe: „Meine Frau war eine dieser Frauen, die nicht mal im Bett warm werden.“ Temperaturen sind dem Film auffallend wichtig; dauernd sagt jemand „Es ist kalt draußen!“ oder „Hier ist es aber schön warm!“, und tatsächlich bringt einem das die Leinwandleute näher, wenn sie einem sagen, wie es ihren Körpern geht, und ob sie in ihrer Welt schwitzen oder frieren.
Die Kamera schaut auch wieder woanders hin, als Jochen das Hausmädchen (die zauberhafte Doris Arden, die ich schon in Walter Boos‘ DIE JUNGEN AUSREISSERINNEN gesehen habe) mit einer Pornovorführung verführen will: Wir sehen nicht die aufregenden Dinge auf der Zimmerleinwand, sondern die Gesichter der beiden. Besonders ihres, das sich immer mehr errötet und erweicht.
Das Mädchen ist nicht nur Hausmädchen. Gleich am Anfang sehen wir „ihre Brüste, die über das eingeseifte Autofenster reiben und damit eigentlich die Leinwand selbst einseifen“, wie Lukas in seinem schönen Text (s. u.) treffend schrieb – als zappte sich der Film kurz zu einer Tankstelle in Russ Meyers Amerika. Sie arbeitet auch in einer Stripteasebar, wo diese zweideutige VAT 69 Flasche mit der Tropfkerze im Hals auf einem Tisch wartet, wie in so vielen deutschen 60erjahrefilmen. Unterhalb ihres schönen Dekolletees kann das flexible Mädchen aber auch gut Schreibmaschine schreiben und in der Amtsstube aushelfen. Der junge Polizist sieht ihr dabei animiert und anerkennend zu. Die untergeordnet berufstätige, adrette Frau an der Schreibmaschine ist ein zeittypischer Fetisch, auf den mich die Texte von Klaus Theweleit aufmerksam machten.
Der Polizist spielt manchmal Karten mit dem coolen Pfarrer (Regisseur Hendel), einem kernigen Schlitzohr mit Durchblick, der die kleinen Jungs beim Straßenfußball hart rannimmt und sie – wohlwollend und daher streng – zurechtweist. Dieser Pfarrer und unser Mann aus Kanada sind sich ähnlich wie zwei Eckpfeiler. Von ihnen aus gesehen, ist dieser Film ein Festsaal gestandener, konservativer Männlichkeit. (Und natürlich (SPOILER!) ist die Liebe der perfekten Hausfrau nur vorgespielt. Sie und ihr „Bruder“ sind in Wirklichkeit ein Paar mit niederträchtigen Plänen… na, sie dürfen sich auf was gefasst machen.)
Ein starker Film, fern meiner eigenen Mentalität, schön miefig, seltsam struppig, unerwartet gestrickt. Man fühlt sich fremd und wohl in ihm, wie in einer Männerstrickjacke mit wildledernen Ellbogenschonern, die einem der CDU-Kandidat auf dem Dorffest gegen die Kälte geborgt hat. (In einer ihrer Taschen ertatstet man, eng zusammengefaltet, ein altes Fix und Foxi Heft, s. Link zu Thomas). Jetzt hätte man gern noch einen „Scharlachberg Meisterbrand“, oder was es sonst noch gab an kranken Spirituosen. 9/10
Es schrieben: Oliver, Michael, Udo, Lukas, Thomas, Alex
Die Klosterschülerinnen (Eberhard Schröder, 1972)
Bei diesem Film steckten wir uns gegenseitig an mit unserer Müdigkeit im Kino und bedauerten es sehr, denn er war einer der besten des Kongresses. Unter der Schulmädchenreportebene hatte er eine große Tiefe und Ernsthaftigkeit; in den notgedrungen kurzen Geschichten der einzelnen Mädchen blitzte trotzdem vieles, vieles auf. Ich finde nicht die richtigen Worte. Ich würde den Film gern noch mal sehen, um das besser schreiben zu können.
Ich sehe vor allem noch den Schlafraum der vier Hauptpersonen vor mir. Ihre Betten waren an einer Wand aufgereiht, und jede hatte ihren Teil der Wand und ihr Schränkchen mit Dingen dekoriert, die ihr wichtig waren. Sie waren wie die vier Prinzessinnen eines Kartenspiels. Eine hatte in der Kirche Kerzen geklaut und bot sie den anderen an, für unter der Bettdecke. Es gab eine Vergewaltigung durch einen LKW-Fahrer, der auch seine Kollegen herbeiwinkte; ein abgehalfterter Haufen erschreckend Erwachsener machte sich über das Mädchen her. „Was nicht geht, das wird gefahren“, sagte jemand, anderswo im Film. Und Sascha Hehn war da, dessen Vater wir im VULKAN beim Knutschen und Flirten belauert hatten.
Einmal saß eine Erzieherin allein am Bett eines Mädchens, das ihr gestand, glühend sexuell in sie verliebt zu sein. Das ließ die junge Frau nicht kalt. Sie sagte ernst und einfach, sie sei auch nur ein Mensch, aber nicht wankelmütig. Und dann ließ sie es zu, dass das Mädchen ihre Hand hielt, während es sich unter der Decke mit der anderen Hand befriedigte. Das war sehr schön, das Mitgefühl, und die Erschütterung. Wie wenig doch manchmal nur geht, wie schief und schräg nur, wenn. Aber toll, dass irgendetwas geht. Null lustig machte sich der Film darüber.
Eberhard Schröder war gut, auch mit den ersten beiden Hausfrauenreporten, die ich von ihm gesehen habe. Er hat sich leider nach einem für ihn besonders krassen Misserfolg umgebracht. Georgio Moroder machte die starke Musik zu dem Film. Das Titelstück „Es war ein Traum“ war leider nicht zu finden, aber in der Disco tanzen sie zu dem knackigen „Son of my father“ – hier in der Originalversion von „Chicory Tip“ und hier in der Coverversion von Michael Holm. 10/10
Es schrieben: Alex, Michael, Lukas.
Barbara (Walter Burns, 1970)
Der selfmade Hippiefilm mit Vintage Outdoor-Atmosphäre, Sand und Super-8-Charakter (in Wirklichkeit auf 16mm) ist angelehnt an den pornographischen Roman „Barbara“ von Frank Newman (Danke an Florian Bülow, der das aufgespürt hat).
Lukas rief in seinem Blog: „Nehmt den Hippies die Kamera weg!“ ;-) Das ist verständlich. Ich weiß noch wie es war, ich war ja auch einmal ein Hippiemädchen. Der paradoxe Zwang, sich von Zwängen zu befreien, verkrampfte uns. Dass aus der Sehnsucht nach sexueller Gemeinschaft und Freiheit eine strenge, politisierte Gesundheitslehre wurde, war sehr schade; es war besser, als alles nur ein rebellierendes, inspirierendes, weltweit strömendes Gefühl war.
Wir sehen also überspannte und sich zu ihrer eigenen Ideologie zwingende Hippies beim demonstrativen Liebemachen. Doch wenn sie in Fahrt kommen, sind auch sie einfach nur zu Lebewesen beim erregten, selbstvergessenen Sex, und das sehe ich gern. In Erinnerung blieb mir besonders eine vollschlanke, nackte Frau, glatt wie Böcklins Fischweib, groß wie eine Riesin, die den Mann, mit dem sie schlafen will, mühelos hochhebt und ins Bett trägt. 7,5/10
Es schrieben: Alex und Robert.
Das Paradies (Jacques Scandelari, 1971)
Im Gedächtnis zerbröselte dieser Film leider, den ich beim Gucken durchweg mochte. Er spielte in einem dekadenten Lustschloss voll ziemlich guter, echter Kunst (aus einer realen Kunstsammlung). Ich weiß besonders noch ein Boudoir – ein überaus weißer, flaumig puscheliger Angorahäschenraum. Es war überhaupt eine Orgie überspitzter Raumausstattungen und Sexverhaltensweisen, mit dem manipulativem Etepetete-Sadomaso jener Marquis-Libertinage, die mir oft zu herrenmenschlich rüberkommt. Aber das wurde in solcher Vielfalt zum Exzess getrieben, dass es zum puren Märchen wurde. Der prächtigste Moment war eine Kameraparade entlang der Schlossfenster; in jedem Raum sah man eine andere sexuelle Absonderlichkeit. Ich war überrascht, es sehr sexy zu finden, als sich eine Frau in ihrem Bett nackt mit Meerestieren herumwälzte und mit diesem grauen Tintenfischsekret einschleimte. Sahne will ich nicht, aber Salz und Glitsch? Man lernt nicht aus über sich.
Und wieder Schäferhunde. Große Hunde machen sich gut in Filmen, besonders, wenn sie bellen; sie drücken etwas aus, das Menschen unterdrücken. Es waren auch schon welche in BARBARA, auch später in Roger Vadims LA CUREE. Das ist ein interessanter Nebeneffekt der Kongresse, die zufälligen Muster. Wir hörten auch oft Männer verzweifelt nach Frauen rufen. Im VULKAN DER HÖLLISCHEN TRIEBE rief einer wieder und wieder den Namen Karin, als er sie, eher versehentlich, getötet hat und alles aus dem Ruder läuft. Und hier im PARADIES war es ein anderer Name: Xenia! Xenia!. Zwei durch die Unterwelt irrende Orpheuse. 9/10
Udo schreibt in seinem Text viel Interessantes über die Hintergründe und über Scandelaris Zusammenarbeit mit José Benazeraf. Außerdem schrieben Thomas, Oliver, Alex und Robert.
NEW YORK CITY INFERNO (Jacques Scandelari, 1978)
Dieser schwuler Porno von Scandelari ist völlig anders als sein „Paradies“: dokumentarisch, natürliches Licht, realistische Inszenierungen. Aber in der Schlussszene, einer Orgie im New Yorker Club Warehouse, war wieder diese gefräßige Lust am exzessiven Durcheinander, an fetischisierten Rollen… und nackte, behaarte Körper, die sich wie Früchte obszön aus ihrer dunklen, zähen Lederkleidung schälen. Eine experimentelle Underground-Noise-Band mit einer ekstatischen, an Patti Smith erinnernden Sängerin spielte live in dem entfesselten Gewühl. Ich mag so etwas sehr, die wilde Atmosphäre, es ist ansteckend. 9/10
In dem Film erzählte eine Frau dem Interviewer, warum sie sich gern in der Schwulenszene aufhält: die Männer seien (u.a.) so gut gelaunt, nie depressiv… Das klingt ein bisschen ahnungslos, und ich glaube, so etwas meinten die schwulen Männer, deren Diskussionen ich in den letzten Monaten verfolgte, als sie kritisierten, dass manche Frauen ihnen bestimmte positive bzw. exotische Eigenschaften zuschreiben (so wie manche Leute das mit Ausländern tun) oder sich touristisch daran delektieren, sie küssen zu sehen.
Das mit den Zuschreibungen trifft auf mich nicht zu, Küsse sind mir nicht so wichtig, aber ich bin noch zweifelhafter, indem ich die offensiv sexuelle Stimmung im Warehouse erregend finde. Als ich bei Hard Sensations anfing, hab ich mit naiver Leidenschaft und Zärtlichkeit über schwule Pornos der Siebziger Jahre geschrieben. Aber seit ich weiß, wie parasitär dieser Blick aufgefasst werden kann, bin ich nicht mehr unbefangen. Ich versuche seitdem, mehr schlecht als recht, mich aus diesem sexuellen Paradies, in dem ich nichts verloren habe, zu vertreiben. Bei NEW YORK CITY INFERNO versenkte ich mich in meinen Sitz, wie die Männer in den alten Pornokinos, und wollte nicht, dass man mein Gesicht sah. Denn sie lassen mich nicht kalt, und ich kann mir manche Pornos nachher nicht mehr aus dem Herzen reißen. Von dem, was ich besprochen habe, liebte ich am meisten BIJOU, BOYS IN THE SAND, WANTED: BILLY THE KID, THE BACK ROW und vor allem DRIVE. Wenn ich sie sah, war ich ein schwuler Mann. Oh, Identität! Wenn ich sterbe, sollst du bitte endlich auch weg sein.
Es schrieben: Oliver, Alex, Michael und Robert.
Mysterien der Pornographie / It‘ all for sale (Alexander Maxwell, 1969)
Aus seinem Hobby-Studio in einem Reihenhauskeller blickt schalkhaft ein charmanter Mann in unsere Kamera. Er hat schöne Muskeln, einen dunklen Vollbart, feurig warme Augen. Es ist fast zu viel, diese penetranten, leuchtend präsenten Reize, man möchte sich vor ihnen mit klopfendem Herzen im Schrank verstecken. Er geht als investigativer Reporter Sexkontaktannoncen nach und hat dazu einen Koffer mit versteckter Kamera, den er schelmisch stolz präsentiert. (Es ist der gleiche vergnügte Blick, mit dem unser Biolehrer Herr Jagd das Skelett aus dem Hinterzimmer holte, hast du den noch kennen gelernt, Alex (Klotz)?)
Good-bye, Sam – hello, Samantha
Und los zieht er, zu einer Swingerparty, an der er natürlich (ich hatte das heimlich gehofft) selbst teilnehmen muss, um nicht aufzufliegen. Schön macht er das. Die anderen auch. Ihr angedeuteter Sex kommt ungekünstelt, herzlich und empfunden rüber. Bei anderen Recherchen lässt er sich amüsiert von einer Dame Strap-Ons erklären und geht zu einem schwulen Masseur, gegen dessen Avancen er sich jovial und angstfrei sträubt. Sehr lax, es gibt viel Verhandeln, Foppen und Scherzen, so dass vielleicht auch schwule Zuschauer sich darüber freuen könnten. (Dass der frustrierte Masseur allerdings am Ende weint… nun ja.)
Ich musste immer wieder an den Keller denken, in dem die Eltern meiner Schulfreundin in einem ausrangierten Schrank komplette Jahrgänge des trügerisch braven Reader’s Digest Magazins aufbewahrten. Da gehört dieser besondere, herzerwärmende, kleine Schuhschachtelfilm sehr hin. Da wär ich gern mit diesem Mann allein gewesen, intensiv und unverbindlich. Ach, „intensiv und unverbindlich“ – ein großer Grund fürs Filmegucken. 10/10
Es schrieben: Oliver, Lukas,Alex,Thomas und Robert.
Anatomie des Liebesaktes (Hermann Schnell, 1971)
Eine liebreizende, überaus gesammelte Dame vollführt mit einem Herrn (Wolfgang Reinhard), der dem schwulen Pornostar Calvin Culver angenehm ähnelt, im luftleeren, flokatigedämpften Raum extrem stilisierten, sich nur langsam erwärmenden Sex. Dazu läuft Maurice Ravels „Bolero“, der immer wieder von Liebeskundlern benutzt wird, um einem den vorbildlich allmählich eskalierenden Rhythmus eines perfekt ekstatischen Aktes vorzuhalten. Mich ärgert das manchmal ein bisschen, denn eine so zwingende, lückenlos spiralische Erregungskurve krieg ich selbst nie richtig hin. Mein Sex ist disparat und polymorph, mit Stellen zum Verschnaufen, wie eine… räusper… Mahler-Sinfonie? Eine eiernde Mix-Kassette?
Der Regisseur und auch der Leiter der anschließenden Gesprächsrunde sind hingegen Vertreter der modernen, sexuellen Klassik. Das Pärchen von vorhin erzählt und stellt interessierte Fragen. Besonders die Dame wendet dem Moderator ihr blütenhaft gleichmäßiges, rundum bereites Fernsehansagerinnengesicht zu und beteiligt sich vorbildlich. Ich stelle mir vor, ihr kultivierter Sex-Diskurs ist sein Fetisch; sie ist nämlich mit ihm, Günther Kieslich, in ihrem wahren Leben als Henriette Gonnermann, verheiratet (eine Information, die ich Olivers lustig zutreffendem Text verdanke). Wir fanden Kieslich löblich uneifersüchtig, bis jemand sagte: Kunststück, wenn sein Rivale keinen Penis hat. Und tatsächlich sieht man nichts. Aber was heißt das schon, in dieser Welt aus Licht und Schatten!
Anfangs ist das Gespräch entzückend gesittet und aufgeschlossen, und ich freute mich darauf, was alles zur Sprache kommen würde. Doch bald kommt man zu den „Stellungen“, und von da an hängen sie da fest, und alles wird und endet wie in der Schule: Ausgerechnet das am wenigsten interessante Detail des großen, tollen Themas wird ausgewalzt und ausgetrocknet, bis man die Wände hochgehen und den Lehrer vergewaltigen will. Alle, ich glaub 13, „Grundstellungen“ werden durchgenudelt. Das Pärchen stellt sie nach, dann werde sie zu einer Grafik und dann röntgenartig, um zu überprüfen, ob Winkel und Lage von Penis und Skrotum geeignet sind, die wichtigsten Vaginalregionen zu stimulieren. Als das Pärchen wieder eine neue Stellung vorführte, zeigte Bennet amüsiert auf und sagte: „Können wir das bitte auch noch mal als Grafik sehen?“ Auch Robert erzählt (s.u.) Lustiges über die Reaktionen auf den Film in seinem Tagebuch. (Inspirierend fand ich aber wirklich, dass sie in dem Film sagten, noch nie sei ein Mann allein durch die Stimulation des Skrotums zum Orgasmus gekommen. Das weckte sofort meinen Ehrgeiz.) 7/10
Es schrieben: Oliver, Michael, Robert, Lukas und Alex.
Cover Girls (Josè Benazeraf, 1964)
Als ich von meinem Hotel auf der Nürnberger Straße „Frauentorgraben“ zum Kino ging, kam ich an einem großen, chinesischen Restaurant vorbei, es brummte, alle Tische waren besetzt. Die eine lange Wand wurde ganz von einem schmalen, leuchtenden Aquarium eingenommen. Darin trübten diese großen, flachen, runden, bleichen, glitzernden Fische, die so traurige Münder und Augen haben. „Man hat sie eingesperrt, weil man sie schön findet“, dachte ich, „es ist ihr Fluch, dass man sie ‚liebt‘.“ Ich stellte mir vor, ich wäre sie. Das nackte Grauen. Ich würde sterben wollen.
Vor der Vorstellung unterhielten wir uns über Ideale weiblicher Schönheit, anlässlich des Films vom letzten Abend, der für viele ein Liebling dieses Kongresses war: „Die Ernte der sündigen Mädchen“, von Louis Soulanes. Eine der Arbeiterinnen auf einer Pfirsischplantage, Kissa, war sehr schön und herausfordernd faul – man sah sie immer nur in der Fabrik herumstolzieren und große Reden schwingen. Aber ihr Stolz, ihr spitzer Busen, ihre Lust auf Sex! Eine Rolle zum Aufblühen.
Beinah das erste, was man in COVER GIRLS sah, war ein Aquarium. Dahinter lag eine Frau, so dass sie aussah wie gefangen. Sie hieß Carlotta und gehörte (buchstäblich) einem sadistischen Star-Macher und Regisseur (in meiner Erinnerung vermischt er sich mit dem Schlossherren in „Das Paradies“), der diese Szene immer wieder, variiert, von ihr verlangte. Das war, in absurder Verdichtung, das, worum es ging.
Carlotta war jemand, die sich/der man für ihre Schönheit viel versprochen hatte und die sich von diesem nicht eingelösten Versprechen nicht trennen konnte. Sie küsste den Spiegel, um etwas zu fühlen und sagte sich die Liebesworte, die sie hören wollte von der Welt und deren Männern; sie sehnte sich nach einer großen Rolle, um darin wieder lebendig zu werden. Als ihr das verweigert wurde, wollte sie nicht mehr leben. Ich dachte an das Mädchen in Pietrangelis „Io la conoscevo bene“, an Mädchen (auch Jungen) bei Castings, Daniel Küblböck, oder auch Amy Winehouse, deren langsamem, unfreiwilligem Selbstmord man zusah. Und an E.T.A. Hoffmanns hellsichtige Wahngeschichte „Der Sandmann“. Darin verliebt sich ein Mann obsessiv in eine mechanische Frauenpuppe in einem Fenster, und jemand namens (ausgerechnet) Coppola verkaufte ihm, um sie näher zu holen, eines dieser optischen Perspektive, die er als Kind für Augen hielt…
Benazerafs Film denkt über die tiefenpsychologische Bedeutung dessen, was er und seinesgleichen tun, sehr kritisch nach und hört trotzdem nicht auf, es zu tun. Das macht ihn so erschütternd vielschichtig. Manchmal verkrampft er sich kurz in jener speziellen Francointellektualität, aber das macht nichts, weil etwas sehr, sehr stimmt an ihm und immer weiter fließt. Die Erstarrung, wenn sich etwas selber reflektiert, geschieht hier nicht. Stattdessen wird ein Prisma draus. Unendlich viel.
„Sie haben vor irgendetwas Angst!“, sagt ein Mann im Film ohne Verständnis über die Cover Girls, und ich murmelte grimmig „Ja, vor euch!“, ob vieler Männer offen boshafter, abgebrühter Misogynie in dem Film. Mit welcher Genugtuung sie sagen, dass sie die Frauen in ihrer Film- und Modeszene nur als Flächen und Reklameschilder sehen. Es klingt wie eine Rache. Alle Männer in COVER GIRLS beschäftigen sich viel, viel mehr mit Bildern als mit den realen Frauen, die nur als Modelle ins Spiel kommen.
Wir sehen Cover Girls während ihrer (Selbst-)Zerstörung, aber sie sind nicht einfach Opfer. Es ist komplizierter, diese Frage, warum sich Menschen mit solcher Verve als Modell zur Verfügung stellen und was aus ihnen dadurch wird. Niemand zwingt sie, aber alles lockt sie dorthin. Der Glamour wirbt um sich, als wäre er die Liebe und das Leben selbst – oder ein noch besserer Ersatz. Und weil die Mädchen auch so aussehen, als wären sie, was alle wollen, dürfen sie eintreten. „Sie sind durch ihre Schönheit in eine Welt geraten, die nicht die ihre ist“, sagt jemand, „nun verlieren sie sich in Reisen, Terminen, falschen Namen“. Sie blicken auf die entscheidenden Männer mit der Sehnsucht von Käfigtieren nach einem Dompteur. Der wichtige Mann soll allem seinen Sinn geben, auch wenn er sie quält.
Die schönste von ihnen ist ein Mädchen mit hellen, grünen Augen und einem kindlich leichten Gang, das seine Sätze mit großer, atmender Ruhe spricht; der Film hebt sie hervor. Sie hat noch ihre alte Welt im Kopf, die sie bewahren will, die Kunst, die Bäume. Das erzählt sie einem aufstrebenden, schon fast zum Zyniker gewordenen, jungen Fotografen, der in sie verliebt ist; ihre schwebenden Sätze wirken schon in der Gegenwart wie bedeutsame Erinnerungen. Sie gehen spazieren; er möchte ihr – wie Benazeraf uns – seinen verzauberten, zärtlich eindringenden Blick auf Paris zeigen. Zum Weinen. Man hält den Atem an. Es steckt so viel in dieser Art von Schönheit. Alles spricht, tiefsinnig, jenseits kommerzieller Funktion. Man muss wahnsinnig verliebt sein, um es so zu sehen. Und das ist die Seelenlage dieses Films: verliebt, dem Wahnsinn nah und voller Angst vor der schon beginnenden unguten Verwandlung seiner selbst und aller Dinge, die er liebt.
Er will sie zum Star einer Modefotoserie machen. Sie wären zusammen, würden reisen, er würde sie mit dem Glanz umgeben, der in seinem Blick liegt. Aber sie sehnt sich zurück nach ihrer Heimat Schweden.
Schweden ist die andere große Enklave unter dem Einfluss starker Verliebtheit. Das ist ganz seltsam gefilmt, die unglaubwürdige, märchenfilmische Natur. Wie Einschlüsse in einem Bernstein. Ihr anderer Freund lebt hier im Wald an einem See. Er ist ein religiöser Holzbildhauer, ein nordisch ernster Bergman-/Barlachtyp. Auch hier wirkt alles verzaubert, aber bös, als hätte sie hohes Fieber oder stünde unter starken Medikamenten, die alles bedrängend wirklich-unwirklich machen. Es gibt eine bestürzende, dampfend feuchte, nackte Saunaszene, wo er sie mit Birkenreisern schlägt. Ich weiß, das tut man so, es ist normal. Aber es sieht nicht normal aus.
Sie fühlt sich anfangs wohl, ein Mädchen, das seinem Vater beim wichtigen Arbeiten zusieht. Auch er stellt Bilder her, die ihn vereinnahmen, und sie merkt, sie hat in seinem Leben nichts verloren. Es ist hier fast wie dort, nur in sakraler Hochkultur und Pullover statt in Film und eleganter Mode. In Paris hat sie sich auch manngemachte Bilder angesehen, die Abzüge ihres Fotografen, aber mit ihm war sie auf gleicher Ebene, er war näher, aufmerksamer, und sie kehrt zu ihm zurück, wenn auch…
Am Anfang und am Ende singt eine Sängerin auf halber Treppe ein trauriges Chanson. Sie ist eine der als mittelmäßig eingestuften Frauen, verliebt in den Fotografen, der das nur zerstreut hinnimmt, aber ihr Lied sticht ins Herz. Viele von uns versuchten, es irgendwo im Netz zu finden, aber leider hat das bisher nicht geklappt. 9,5/10
P. S.: Es gibt diesen Film auch in einer brutal gekürzten italienischen Version. Die, die wir auf dem Kongress gesehen haben, ist leider sehr selten. Über COVER GIRLS schrieben: Lukas in der TAZ, Oliver, Michael, Lukas, Robert und Alex.
Ich habe mir für diese Filmtagebuch nur die Filme herausgepickt, die mir besonders viel sagten. Eigentlich hätte dazu auch unbedingt GEHEIME LÜSTE BLUTJUNGER MÄDCHEN von Jürgen Enz gehört, aber darüber hat schon Oliver alles, was ich auch denke, gesagt, und besser als ich es könnte.
Und hier noch mal – ich hoffe – alle Links zu den Blogs der Freunde und Kollegen, die über den Kongress geschrieben haben: Lukas: 1. Nacht 2. Nacht 3. Nacht Alex: 1. Nacht 2. Nacht 3. Nacht letzte Nacht, Oliver, Robert, Thomas, Udo, Michael (critic.de), Michael Brodski.
Die Live-Screenshots verdanke ich Herrn Bülow, Herrn Rotenberg und Herrn Glimm Stengel!
Und ich danke sehr dem Hofbauerkommando und allen, die diese Kongresse möglich machen! <3
Hier die Liste aller bei diesem Kongress gezeigter Filme (* in 35mm/16mm-Projektion):
12. Kongress (02. – 06. Januar 2014)
…soviel nackte Zärtlichkeit (Günter Hendel, BRD 1968)*
Hemmungslos der Lust verfallen (Joe D’Amato, Italien 1972)*
St. Pauli zwischen Nacht und Morgen (José Bénazéraf, BRD/Frankreich 1967)
American Angels – Baptism of Blood (Beverly Sebastian, Ferd Sebastian, USA 1989)
Ernte der sündigen Mädchen (Louis Solanes, Frankreich/Italien 1960)*
Barbara (Walter Burns, USA 1970)*
Das Paradies (Jacques Scandelari, Frankreich 1971)*
Skater Dater (Noel Black, USA 1965)*
Mysterien der Pornographie (Alexander Maxwell, USA 1969)*
Die Klosterschülerinnen (Eberhard Schroeder, BRD 1972)*
Cover Girls – Die ganz teuren Mädchen (José Bénazéraf, Frankreich/Italien 1964)*
Farbige Liebelei (Kurt Baum, BRD 1957)*
Quelle der Erotik (J.P. de Carvalho, Brasilien 1965)*
Die Liebesquelle (Ernst Hofbauer, Österreich 1965)
Anatomie des Liebesakts (Hermann Schnell, BRD 1970)*
Via Erotica 6 (Frits Fronz, Österreich 1967)
Die Beute (Roger Vadim, Frankreich 1966)*
Erotische Tempelfeste in Japan (???, 19??)*
Ungezähmte Erotik (Shinya Yamamoto, Japan 1965)*
New York City Inferno (Jacques Scandelari, Frankreich 1977)
Geheime Lüste blutjunger Mädchen (Jürgen Enz, BRD 1978)*
The Devastator (Cirio H. Santiago, USA/Philippinen 1986)