Die Nonne
Von Jamal Tuschick // 25. Dezember 2013 // Tagged: featured, französischer Film // Keine Kommentare
Sex im Kloster. Isabelle Huppert als geile Äbtissin
Frankreich im 18. Jahrhundert. Ein Aristokrat verkürzt sich eine Schlossnacht mit Lektüre. Flackernde Flammen im Zug – die handschriftlichen Aufzeichnungen der Suzanne Simonin entfesseln den Leser. Er halluziniert den Roman eines Lebens in großen Bildern der Epoche. Denis Diderot lieferte die literarische Vorlage, Guillaume Nicloux adaptiert sie mit Pauline Étienne in der Rolle einer stürmischen Ordensschwester.
„Mein Vater war Buchhalter. Er war bereits fortgeschrittenen Alters als er meine Mutter heiratete.“ So steigt Suzanne in eine Fallobst-Geschichte ein. Der Hintergrund erscheint bürgerlich. Eine Bürgerlichkeit am Limit. Oben glänzt der Apfel, unten fault er – man hat Suzanne in ein Kloster abgeschoben. Um nicht noch eine Mitgift aufbringen zu müssen. Suzannes soziale und seelische Konturen verkanten sich nicht in der herrschenden Ordnung. Das gibt der „Nonne“ den Drive: Suzanne ist konventionell und mit allem so weit einverstanden. Schwebend unterwirft sie sich.
Suzanne erwartet wenig, noch nicht einmal einen Gatten, den sie lieben darf. Sie zeigt sich zu jedem Arrangement bereit, das ihre Klasse schicklich findet. Sie will bloß nicht Nonne werden.
Suzanne fühlt sich nicht berufen. Sie bekennt das aus Liebe zur Wahrheit. Sie hat aber auch noch von keinem Gott gehört, der ein Mädchen zwingt, seine Braut zu werden.
Man quatscht sie madig, am Tag des Gelübdes bricht es aus ihr heraus. Rien ne va plus. Ein Skandal – das Mädchen wird heimgeschickt. Es rechnet mit familiärer Aufnahme und stößt auf konsterniertes Schweigen. Zwei Schwestern wurden teuer unter die Haube gebracht, noch eine Hochzeit kommt überhaupt nicht in Frage.
„Was unterscheidet mich von meinen Schwestern?“ fragt Suzanne. Die Antwort zerlegt ihre Fassung. Sie sei das unerwünschte Ergebnis einer verbotenen Liebe: „Du bist meine einzige Sünde. Bitte hilf mir, sie zu büßen.“
Martina Gedeck spielt die Mutter als Botschafterin der Ratlosigkeit. Sie kennt auch nichts anderes als die Lieblosigkeit in einer arrangierten Ehe. Sie verkauft Schmuck für die verlorene Tochter. Mutter ist kein Monster.
Die Gesellschaft bietet so einer semi-legitimen Suzanne nur das Kloster als Zuflucht. Einmal gibt man der Rebellin zu bedenken: „Du weißt nicht, was Armut bedeutet.“
Der Subtext: Du bleibst in deiner Klasse, wenn du im Kloster auf die Welt verzichtest. Sonst fällst du unter deinen Stand. In die Gosse. Geschockt von der Offenbarung, kein Kind dieser Familie wie jedes andere zu sein, galoppiert Suzannes Willfährigkeit mit schnaubenden Rossen zurück in die Glaubensburg. Zurück zu einer verständnisvollen Mutter Oberin. Françoise Lebrun singt heimlich das Lied der Aufklärung. Sie erkennt die trägen Herzen und den hysterischen Eifer ihrer Schwestern als Ergebnisse von Abrichtungen. Sie schleift das Drakonische. Sich wirft sie vor, nie gezweifelt zu haben an ihrer Berufung.
Dann tritt an die Stelle der guten Mutter Oberin eine Sadistin. Louise Bourgoin spielt sie mit der gebotenen Bigotterie. Sie bringt die Schwestern dazu, auf Suzanne herum zu trampeln: „Die Abtrünnige ist nur noch ein Leichnam. Schreitet über sie hinweg.“
Die Schwestern schreiten, das muss man gesehen haben. Sie spucken auch. Suzanne ins Gesicht. Der Film zeigt, wie Ausgrenzung funktioniert. Wie man Vernichtungswillen in vorgeblich sanften Geschöpfen weckt. Die Stigmatisierte kämpft nun um ihr Leben. Suzanne schaltet einen Advokaten ein und erreicht ihre Verlegung in ein freundlicheres Gefängnis. Dem steht Isabelle Huppert vor: in der Rolle einer lüsternen Chefin. Suzanne gerät vom Regen in die Traufe körperlicher Liebesdienste. Auf dem Programm steht Unzucht mit Abhängigen. Alle buhlen um die Gunst der Mächtigen.
Frankreich 2013, Regie: Guillaume Nicloux