Veerana

Von  //  29. April 2011  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Die größte Filmindustrie der Welt, die indische, erlebte ihren Horrorboom in den 80er Jahren; in den Westen ist davon wenig gesickert (neuerer Bollywood-Mainstream-Horror wie Raat ist eine andere Sache, und wie es scheint, keine bessere). Federführend beim indischen 80er-Horror waren die Ramsay-Brüder, die mitten in einer Reihe erfolgreicher Filme auch Veerana produzierten, der in einer um 40 Minuten gekürzten Export-Version auch als Vengeance of the Vampire kaum bekannt ist. Also, mal sehen…

Warum sich jemand in ein Vampirmonster verwandeln muß, um das Opfer (das obendrein angekettet ist) dann einfach zu erstechen, ist die erste Frage, die sich – noch ehe der Vorspann, der eine eigene Seite „Timber supplied by…“, enthält, zu Ende ist – stellt. Aber wir schneiden in ein gutbürgerliches Heim, ein Mann steht da, seine halbwüchsige Tochter eilt auf ihn zu: „Daddy…“ (folgt ein Hindi-Satz im Tonfall von „wir haben keine Kaffeesahne mehr“); der Vater sagt etwas wie „Ach, wie ärgerlich!“ und sofort kommt ein Schnitt und, versorgt mit einem musikalischer Stinger, liegt da schon, hey presto, eine Leiche, um die das Hauspersonal bereits versammelt ist, zu welchem Vater und Tochter nun stoßen.

Man könnte nun die Plotbeschreibung nachlesen, aber wozu sich um den Spaß bringen? Die Bediensteten sehen so drein, als sprächen sie davon, daß Draculas Schloß einen Schatten auf ihren Haushalt würfe und einer hält einen langen Monolog, den ich mit „Habt Ihr vergessen, wie der Böse mir damals die zwei riesigen Gesichtsnarben beigebracht hat? Ich habe es nicht vergessen!“ übersetze. Worauf jemand, der der Held sein könnte, ernsthaft zugibt: „Ja, es ist Scheiße, wenn man so aussieht, aber ich überleg‘ mir mal was.“

In der nächsten Szene erhält der Held (ehemals indischer Tarzan) ein mystisches Gadget, das aussieht wie eine Zuckerstange in Form der Ziffer 30 an einem Stiel, mit Glasperlen verziert, und fährt in einem US-Cabrio durch mit bodennahe Rauchschwaden verziertes Wald/Wiesengeländer (das akkurat aussieht wie das alte, aus ungezählten Historienfilmen vertraute Hollywood-Backlot). Er hält an, heran tritt ein verführerisches, aber böses Weib (was wir nicht nur aus der Vorspannszene, sondern auch aus dem Fledermausumhänger an ihrem Hals schließen) und lehnt sich lässig an die Frontscheibe, was vermuten läßt, daß ihr Dialog etwa „Na, Süßer, wie wär’s mit uns zwei?“ lautet. Der Held: „Naja, Lust hätt‘ ich ja schon, aber so doll siehste auch nicht aus.“ Worauf das stets lauernde Zoomobjektiv in seine Rechte tritt und die Frau „Ich mach‘ dir ’nen Spezialpreis“ sagt.

Schnitt: grüne Cartoonblitze über einem finsteren Herrenhaus. Schmissige Musik. Held und Frau steigen aus. „Das soll ein Stundenhotel sein?“ – „Mein Vater war Uhrmacher, und es heißt doch: dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“ (Okay, okay, ich hör‘ ja schon auf.)
Innen: ausgestopfte Viecher, Stierkopfbüsten, Spinnweben und die Frau mit einem Kerzenhalter, den Helden in sein… could it be: Verderben? … führend. Während die Blitzmaschine Überstunden macht und jemand aus HK einen blauen Scheinwerfer mitgebracht hat, beginnt die Verführung, dann ein Schnitt und wir sehen den Helden in der Badewanne. Frau kommt, entkleidet sich (keusche Kamera), steigt zu ihm, etwas Geschmuse, er reißt ihr den Fledermausumhänger ab, sie ist auf einmal ein erschrockenes faltiges Weib (der blaue Spot kommt auch wieder ins Spiel), erblickt sich im Spiegel, beginnt zu lachen, der Held sagt auf Hindi „Get thee behind me“ und hält ihr die 30 hin, worauf in einem rasanten Schnitt das Monster gefesselt dasteht, während Dorfbewohner mit Fackeln planlos gröhlen. Es gibt indes keinen Scheiterhaufen, man zieht ihr (sie ist ja wirklich nicht hübsch) einen Sack über den Kopf und hängt sie auf. In einer Satanistenhöhle, wo einige Gestalten, die aussehen wie der Golem aus It!, unter Vorsitz eines bärtigen Zauberers irgendwas machen, gibt es Explosionen, der Zauberer ärgert sich und wir halten erst bei Minute 14.

In diesem Tonfall geht’s weiter: die Freundin des Helden wird vom Zauberer (bewehrt mit etwas, das wie ein gelber Gummiball mit einem Nagel durch aussieht) betreten, worauf sie besessen wird (die Tonspur bietet eine verballhornte Version der Big Ben-Chimes), die Fische im Aquarium böse anstarrt (bis es explodiert – eine Referenz an Chi sei? Kurze Zeit später gibt’s eine Bava-Anspielung) und was man noch alles so erwartet, incl. einen wegelagernden Riesen und einen Zwerg in Sherlock Holmes-Pose. Nach einer halben Stunde schleicht sich auch das comic relief ein (Schema: Schwiegermutter schlägt mit Besen auf Mann ein), und Songs gibt’s auch.

Es ist billig, nicht wirklich Neuland, aber trotz närrischer Elemente nicht eigentlich „schlecht“: die Schauspieler outrieren nicht, weil sie unfähig wären, sondern weil’s eben dazu gehört, und die indische Industrie sorgt für eine handwerkliche Grundlage, die doch einiges über „Wir stellen die Kamera irgendwohin und warten ab, was geschieht“-Mentalität steht; auf seine Weise ist es recht stylish, mit Nebel wird nicht gespart und wenn gegen Ende der Zauberer auf einem Pferdewagen losstürmt, während Held und Heldin ihn mit einem Jeep verfolgen, wirkt das nicht einmal besonders albern. Kaum ein Klassiker, aber ordentlicher Trash, der wünschen lässt, dass Green Card-Inhaber ein paar der wohl noch verborgenen Genre-Schätze mit ins Gepäck nehmen würden.

Indien 1985, Regie: Shyam & Tulsi Ramsay

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Über den Autor

Andreas Poletz (1185 bis 1231), aus Chorazin gebürtig, beschrieb seine Seele als »einen schrecklichen Sturm, umhüllt von ewiger Nacht«, und behauptete, dass er aus Verzweiflung begann, seine Hände und Arme zu zerfleischen und mit den Zähnen bis auf die Knochen zu zernagen (incipit manus et bracchia dilacerare et cum dentibus corrodere useque ad ossa). Ist aber nicht wahr.

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