Ms .45 – Die Frau mit der 45er Magnum
Von Silvia Szymanski & Maria Wildeisen // 14. März 2013 // Tagged: Rape 'n' Revenge, slider, Vergewaltigung // 6 Kommentare
Die 4. Filmbesprechung in unserer Reihe “Forced Entry – Vergewaltigung im Film”. Unser Einleitungstext zur Reihe findet sich hier.
Maria: Eigentlich wollten wir ja THE STENDHAL SYNDROME besprechen, haben aber rasch gemerkt, dass uns diese Woche nach etwas Knalligerem war, und was passt da besser als MS .45, ein Rape and Revenge Klassiker von Abel Ferrara aus dem Jahr 1981.
Thana, die schneewittchenhafte Protagonistin des Films, gespielt von der 17-jährigen Zoë Tamerlis, ist schön und stumm. In einem New York, wo jeder ständig plappert, fragt, lärmt und Körper sowie Psyche des Mitmenschen feindlich einzunehmen droht, wo Büroräume, Cafés und Straßen vor gierenden, lockenden und pfeifenden Männern nur so strotzen, bewegt sie sich zutiefst verunsichert und ängstlich, so, als wolle sie sich am liebsten in Luft auflösen oder im nächsten Erdloch verschwinden. Sie ist das Opfer per se, das an einem Tag – hallo Ferrara – zunächst eine Vergewaltigung auf offener Straße ertragen muss, um dann bei einer unmittelbar darauffolgenden Vergewaltigung in ihrer eigenen Wohnung zu einem rudimentären Selbstschutz, zur Verteidigung ihrer selbst finden und den Täter umbringen zu können. Und einmal von der inneren Leine gelassen, ist Thana nicht mehr zu halten. Vom Briefbeschwerer zum Bügeleisen hin zur .45er Magnum, von Notwehr hin zu siebenfachem Mord (pro Nacht), entwickelt sich das scheue Reh zum kalten Racheengel, der in jedem Mann genug Schlechtes sieht, um ihn erschießen zu können. Und das muss man sagen: Ferraras Männer sind auch alle irgendwie schlimm, wenn nicht gewalttätig, dann klebrig, nervend, erbärmlich.
Doch seine Frauen sind nicht besser, allen voran die penetrante, schrille Nachbarin Thanas, die in ihre Wohnung drängt und das Mädchen mit lauten Fragen und Ratschlägen unter Dauerbeschuss nimmt, ihre Grenzen und ihre Intimsphäre pausenlos verletzt. Die oberflächlichen Kolleginnen, die in ihrer Aggressivität und Unfreundlichkeit der feindlichen Männerwelt auf New Yorks Straßen in nichts nachstehen. Wenn Thana ihrer Kollegin auf ein Papier schreibt: „I just wish they would leave me alone“, glaube ich, sie möchte unisex von allen in Ruhe gelassen werden. Auch Cavett Binion schreibt, Thana habe einen latenten misanthropischen, also nicht nur männerfeindlichen Impuls in sich – der sich aber dann nur gegen Männer richtet, dort sein Ventil findet. Ich hätte mich stattdessen darüber gefreut, wenn sie auch ihre Nachbarin, ein paar Kolleginnen und vielleicht noch ein paar schimpfende Nutten über den Haufen geschossen hätte. Männer haben sie körperlich verletzt, sie hat die handlungslogische Rechtfertigung, sie zum Ziel ihrer Rachsucht zu machen – ein universaler, totalemanzipierter Amoklauf, der auf das Geschlecht keine Rücksicht mehr nimmt, für den die Vergewaltigung zwar den Auslöser darstellt, der aber nicht zwingend das Ablaufschema bestimmt, war offensichtlich nicht möglich. Das fand ich schade.
Silvia: Das bringt mich auf die Idee, dass vielleicht auch in der gegenwärtigen Sexismusdebatte einiges an allgemeiner Misanthropie ihr Ventil findet; das Leben ist anstrengend da draußen, die Leute sind nervös. Das New York in MS .45 ist zudem, wie in vielen Rachefilmen u. ä., paranoid verzerrt, befremdlich, verkommen, so dass das Gewaltbedürfnis psychologisch schön schlüssig wirken kann (ich glaube, dass Ferrara hier ironisch mit dem Genre spielt). Ich fände diese Stadt und ihre Bewohner trotzdem wohl eher anregend als schlimm, mit Ausnahme der Vergewaltiger natürlich. Der eine von ihnen, in Thanas Wohnung, ist allerdings wieder mal ein hübscher Mann, von einem strahlenden, verpeilten Selbstbewusstsein, das ihn zu Lebzeiten bestimmt beglücken konnte („Ist gut was? Vielleicht bringt dich das wieder zum Sprechen!“) Als Thana seine Leiche zur Badewanne schleppt und ihn bäuchlings über deren Rand hievt, lässt sie ihre Hand nachdenklich auf seinem halbnackten Hintern ruhen; es sieht für ein paar Augenblicke so aus, als überlegte sie, wie es wäre, ihn zu schänden. Aber das wünsche ich mir vielleicht auch nur. In Wahrheit ist sie vollkommen verstört und zu Tode erschöpft von dem, was sie erlebt und getan hat.
Maria: Genau, zu Tode erschöpft, in einem Zustand emotionaler Dauerbelagerung durch andere bleibt Thana gar kein Raum, kein Bedürfnis nach Körperlichkeit gegenüber Anderen, und sei es auch nur einem Akt der Schändung. Stattdessen werden die Überreste des Mannes zersägt und durch den Fleischwolf gedreht, und sie macht dabei ein Gesicht wie eine 15-jährige bei der Laubsägearbeit. Auch ihre Transformation zum männermordenden Vamp mit blutroten Lippen und Lycrahosen ist Fassade, ein reines Spiel mit den Erwartungen ihrer zukünftigen Opfer. Einziges semierotisches Bezugsobjekt bleibt die Waffe, die .45er Magnum, die sie vor ihrem letzten großen Fanal herzt und streichelt; jede Kugel wird einzeln geküsst.
Silvia: Ja, das ist dieses katholische Küssen von Heiligtümern ;-) Die Magnum und ihre Kugeln werden zu Thanas Mund, mit dem sie sprechen kann und den sie wie einen Spiegel küsst. Sie hat sie ihrem Vergewaltiger abgenommen, sie ist auch ihr narzisstisch besetzter Phallus – sie ist die Organe, die ihr fehlen, um sich stark zu fühlen, könnte man phantasieren.
Aber das stimmt, das hatte ich nicht gesehen: Ihre „Verwandlung“ vom verhuschten Mädchen zur coolen Frau im Laufe ihrer Mordserie ist im Grunde nur ein Spiel, nur eine Kostümierung. In den 80er Jahren hatte die Femme Fatale eine Renaissance im Film, in der New Wave Musik, dann überall. Ich habe mich immer darüber gewundert. Es wirkte aufgesetzt; die geheimnisvollen Frauen des Expressionismus oder des film noir passten nicht in diese materialistischste, karrieregeilste Zeit seit langem. Aber gerade weil alles so plastikartig, platt und geheimnislos wurde, kam wohl die Sehnsucht nach dem Dunklen, Irrationalen auf. Die Regisseure ließen die Schatten dabei oft aus den unschuldigsten, wie du sagtest schneewittchenhaftesten Mädchen kommen – Mädchen wie Beatrice Dalle, Mathilda May, Isabelle Adjani, oder hier Zoe Tamerlis. Sie waren knospend, schwellend, wie von einem Schmelz überzogen. Hormonell-sexuelle und doch unschuldige, unfertige Lebewesen. Kälbchen oder Vogelküken mit weit auseinander stehenden Kinderaugen. Man setzte sie allein in eine böse Welt, als gejagtes Wild, in „kuhäugiger Trance“, wie du so schön sagtest. Ferrara lässt aus seiner Kindfrau Thana einen Fetisch werden, mit Cape und schwarzen Knautschlackhandschuhen. Wie ein kleines Mädchen bewundert sie sich im Spiegel in ihrem sexy Nonnenkostüm, bevor sie auf der Halloweenparty Männer erschießen geht.
Maria: Die Art, wie sie in diesem Nonnenkostüm auftritt, gibt ihr etwas von ihrer anfänglichen Unschuld zurück. Mit großen Rehaugen, weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz gleitet sie mit vorgestreckter Magnum durch den Partysaal, wie eine anmutige Jägerin, eine tödliche Fee. Ich habe nie eine schönere Amokläuferin im Film gesehen, nicht mal Sissy Spacek in CARRIE kommt da heran. Die Gesichter und Bewegungen von panischen Männern und Frauen hingegen wirken in der Zeitlupe verzerrt, grotesk, abstoßend. Ihre Schreie, ebenso verfremdet, fließen in einem amorphen Klangteppich zusammen, in dem männliche und weibliche Stimmen untrennbar werden; man hört nur noch ein einziges dumpfes Tier, man sieht den häßlichen Menschen an sich. Thanas Tragödie ist, dass sie auch hier ihrem Männerfeindbild verhaftet bleibt, selbst in der absoluten Eskalation so sehr darauf achtet, keine Frauen zu treffen, dass sie schließlich einer Frau die Möglichkeit gibt, sie hinterrücks (oder sogar in den Schritt? Ich konnte es nicht genau sehen) zu erstechen. Sterbend stößt sie ein einziges Wort hervor, „sister“. Doch der Appell verhallt ungehört; man sieht keine Reaktion des Gegenübers, es gibt keine weibliche Solidarität. Selbst wenn diese Frau sie nicht getötet hätte – der Zuschauer weiß, dass zu Hause die Polizei auf Thana warten würde, herbeigeholt von der schnüffelnden Nachbarin. Von einer Frau verraten, von einer anderen Frau getötet. Das feministische Konzept geht nicht auf: Das Problem ist nicht männlich, sondern menschlich.
Silvia: Stimmt, das Massaker in CARRIE. Vor kurzem hab ich das wieder gesehen. Es wäre interessant, die Protagonistinnen zu vergleichen. Während Thana ihren Blutrausch noch lenken kann, geht in Carrie etwas von alleine los, vegetativ-dämonisch, sie kann es nicht stoppen, und auf ihrer Party müssen alle sterben, egal welchen Geschlechts. Dieses finale Körperchaos erinnert mich auch an die Golden Age Pornos, die oft in einer Orgie enden. Nur ist Eros hier nicht der Herrscher; dir fiel auf, dass Thanas Name abgeleitet ist von „Thanatos“, dem Todestrieb… oh, wir werden da bestimmt noch öfter drüber reden. Und verabschieden uns für heute von diesem präsenten, kräftigen, oft unterschwellig witzigen Film.
USA 1981, Regie: Abel Ferrara
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6 Kommentare zu "Ms .45 – Die Frau mit der 45er Magnum"
Ich habe zu danken für all die harten Sensationen die ich dank eures wundervollen Blogs erleben durfte. Danke, danke, danke!
Als unterschwellig witzig haben wir den auch empfunden. Hier ein Versuch vom maskulinen Standpunkt aus:
http://multi-film.blogspot.de/2012/10/ms-45-1981.html
Danke für den Link zu deinem Text, Bartel! Sehr fein, das.
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