Filmtagebuch einer 13-Jährigen #6
Von Silvia Szymanski // 19. Februar 2013 // Tagged: Deutsches Kino, Eherettung, featured, französischer Film, Inzest, Italien, Porno, Sexploitation, Western, Wilde Männer // 2 Kommentare
9. HOFBAUERKONGRESS unter dem Motto „UM MICH IST ES NICHT MEHR SCHADE“ (Zitat aus „Linda“, Jess Franco)
Der Hofbauerkongress ist ein R’n’R-Klassenfahrt-Intensivfilmgucken mit befreundeten Filmbloggern und -freunden im Land der Eskalierenden Träume. Vom 25. bis zum 28. Januar 2013 war ich zum zweiten Mal in Nürnberg dabei. (Hier hab ich über das erste Mal geschrieben). Die Texte sind chronologisch, auch wenn ich nicht zu allen gezeigten Filmen etwas geschrieben habe; mein Lieblingsfilm war EISENHANS.
1. Nacht
Der Porno-Graf von Schweden / For Men Only (Pete Walker, Günter Hendel, GB/BRD 1968) 7.0/10
Eine hübsch schäbige Parade von 70er Jahre Reizwäsche- und Bikinimode. Es ist unmöglich, der Handlung zu folgen, so dass man sich interessant gehirnamputiert fühlt. Aber man versteht, es geht um Playboys, Lords & Ladies, Girls & Ganoven, Swinging London. Besonders schön der von Günter Hendel verursachte Anfang – eine rührend kümmerliche Modenschau in miefigen Räumen mit unbeholfenen Dessous und Mädchen. Nachher wohnt man in einem ähnlich verblichenen Wohnzimmer noch dem sympathischen Versuch einer Orgie beim Filmegucken bei. Ich kam aber auch sonst auf meine Kosten, weil sich ständig jemand aus fadenscheinigen Vorwänden auszog – einfach weil er (meistens sie) dazu aufgefordert wurde, jemandem warm war oder jemand ins Wasser gefallen war und sich was Trockenes anziehen musste. Hübsche Mädchen busseweise, wie bei Benny Hill, gackernd und herumtollend, auf dem Rasen sitzend und sich sonnend. Eine trug einen strahlenden Bikini wie aus Platin oder Raumfahrtaluminium. Es erinnerte mich an die Sexkataloge unserer Nachbarn, die sie uns Kindern achtlos gaben, um unser Lagerfeuer zu füttern; ich sah wieder die zierlich flammenden, sich krümmenden und stumpfschwarz färbenden Fetzchen von Höschen, Büstenhaltern und Massagestäben in der Luft unter den Eschen schweben.
Joe Caligula – Abgrund der Nackten / Joë Caligula – Du suif chez les dabes (José Bénazéraf, Frankreich 1966) 8.0/10
Ich war sehr müde. Und betroffen, als ich mitten drin auf einmal richtig wach wurde und merkte, in was für einen schönen Film ich da geraten war. Es war eine Szene, die ganz einem berührenden, an Francoise Hardy erinnernden Mädchen gehörte, das irgendwie am Rande der Gangster, um die es geht, existierte. Sie spaziert nachts durch die Stadt, traurig und allein, zu ihrem Trost mit ihren Gedanken spielend, vorbei an Schaufenstern und Monumenten, Bars und Männern. Auch die Gangster sitzen währenddessen auf ihren Buden oder auf einem Abbruchgrundstück, ratlos, ruhig. Lange sieht man diese Tatenlosigkeit. Als hätte alles keinen Sinn. Stattdessen atmen die Dinge, weht die Luft, verstreicht die Zeit. Es war wie für mich; als umarmte mich das, weil es zu mir gehört. Auch den anderen ging es so. Ich würde das gern wieder sehen. Und dann vernünftig drüber schreiben und nicht so behindert.
Die nackten Superhexen vom Rio Amore / Linda (Jess Franco, BRD/Spanien 1981) 8.0/10
Das weiche Gesichtchen der sehr jungen Katja Bienert wirkt bei Großaufnahmen welpenhaft unfertig, aber ihre Figur ist toll – die hohen, spitzen Brüste, die langen Beine… eigentlich möchte sie an diesem Urlaubsort am Mittelmeer ihre Schwester besuchen, doch die erleidet heimlich oben im Sexclub auf dem Felsen ein Martyrium als Zwangsprostituierte. Während Katja unten am Strand auf die vermeintlich Verreiste wartet, erlebt sie eine unschuldige Liebesgeschichte mit einem süßen Jungen. Die ordinäre deutsche Synchro will sagen, dass man ruhig ein Wildschwein sein darf und nicht wegen der Frauen in dem Film sensibel sein muss. Aber ich hab schon Schlimmeres gehört, und es verdirbt die Bilder nicht, es ist sogar zuweilen amüsant. Und es sind schön viel Sex und Nacktheit da, andauernd, gleitend, schleimend, weiblich. Die Mädchen im Club müssen dauernd Orgien feiern. Und wenn sie weglaufen, werden sie zur Strafe von einem stämmigen Primitivling begattet. Menschen können so grausam sein! Die Männer sieht man, wenn sie nackt sind, meist von hinten. Aber ein gedrungener, kräftiger Typ gefiel mir; auch oben rechts war einer mit einem dunklen Bart, nach dem ich öfter guckte.
Man merkt: Ich war an diesem ersten Abend eine sehr unprofessionelle Filmguckerin. Manchmal bin ich intellektueller, aber diesmal war ich dumm. Der viele Sex – ich konzentriere mich manchmal sehr auf ihn bzw. meine, hm, Gedanken und krieg den Rest nicht richtig mit. Und dann darüber schreiben wollen!
Nach den Filmen fanden wir um die Ecke eine Bar, in der ein paar Gäste und die junge, elfenhafte Wirtin anscheinend schon seit Stunden feierten und tanzten; sie waren euphorisiert ohne Ende. Es lief ausgesuchte Musik, alte Soul-Nummern, was von Abba, dann was von Burt Bacharach, so wie ich es auch zusammengestellt hätte. Ich tanzte und trug die Haare offen und hatte die Jeans an, die manche Leute an mir loben, weil sie einen Hintern macht. Ich nehme an, was dann kam, lag daran: Die Sexfilme noch in den Augen, der Hintern und die Haare. Aber auch sonst ist dieser Jahresanfang seltsam. So offensiv haben sich noch nie die Jungs für mich interessiert, obwohl ich bin wie immer. Vielleicht ist das allgemein so, auch bei den anderen Frauen. Die ersten Zeichen der Apokalypse. Die Maya haben sich verrechnet. Brüderle war erst der Anfang.
Ein Junge kam verlegen von der Theke an unseren Stehtisch. „Ich will dir etwas sagen“, sagte er zu mir. „Mein Kumpel, Frank, ist zu schüchtern, deshalb sprech ich dich jetzt einfach an. Er will was mit dir machen. Er will es wirklich wissen“, betonte er.
Ich sagte belustigt, dass ich mich über den Mut und die Anerkennung freute. Aber ich müsse nein sagen, denn ich sei in festen Händen.
„Verstehe“, sagte er, „das find ich gut.“ Pause. „Ich finde das echt mutig von euch beiden.“
Mir ging auf, dass er glaubte, mein Freund, das sei Christoph/Eskalierende Träume, der neben mir stand und viel jünger ist als ich. Ich versuchte, das richtigzustellen, aber er hörte nicht.
„Du bist eine ganze Ecke älter als ich“, fuhr er nachdenklich fort. „Eine reife Frau. Scheinbar. Aber du bist heiß.“ Er schüttelte trunken den Kopf und schaute zu Christoph, „er auch. Und an der Theke sind jetzt insgesamt drei Typen, die was mit dir machen wollen. Es liegt alles bei dir.“
Von der Theke löste sich auch Frank und kam zu mir. „Lass es nicht zu, dass wir beide verzweifeln“, sagte er eindringlich. „Wir sollten jetzt hier weggehen und über einander herfallen. Ich meine das ernst. Du weißt nicht, was dir entgeht!“ (9.0/10)
Oh jee. Die Welt ist echt verbaut manchmal. Die armen Ungeheueren Gefühle. Der Buddhismus schimpft sie „anhaften“, Psychoberater „klammern“, es gibt ein Riesensortiment von Worten=Tipps zur Welt- und Fühlanschauung, und es hilft alles nicht. Hallo, Carrie Bradshaw des deutschen Filmbloggings! Nein, nein, ich höre ja schon auf. Aber Nürnberg ist wirklich feurig und verwegen.
2. Nacht
Während des Kongresses veröffentlichte Lukas Förster, der diesmal leider nicht dabei sein konnte, diesen sehr guten Text über einen deutschen Film – Alfred Weidenmanns VERDAMMT ZUR SÜNDE. „Was ist das nur für ein sonderbares Land, in das ich hineingeboren wurde und in dem ich es nun trotz allem schon gut dreißig Jahre ausgehalten habe?“, fragt er darin am Ende. Die Frage beschäftigt auch mich beim Gucken alter deutscher Filme: Was war das, was ich hier erlebt habe? Was waren das für Leute, in meiner Kindheit/Jugend? Oft gibt es beim Hofbauerkongress Wichtiges dazu zu sehen.
Eisenhans (Tankred Dorst, BRD 1982) 9.5/10
Auch ihn würde ich gern noch mal sehen, aber es geht vielleicht nie wieder, weil der Film nur noch am äußersten Rande dieses Landes existiert. Das kann einen verrückt machen, es ist nicht mal nach konventionellen Maßstäben verständlich; auch dem Kanon gemäß wäre das eigentlich ein großer Film. Er spielt bei der Zonengrenze, bei einer Bahnlinie. Die Autos rauschen vorbei, so wie bei mir und an vielen anderen Orten Deutschlands. Da wohnt der Eisenhans (Gerhard Olschewski), dessen schwere, äußerlich konservative, im Inneren aber von Emotionen zusammengeballte Gestalt sehr an Hermann Schomberg in Hans H. Königs erregendem, dunklem Heimatfilm ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB erinnert.
Im HEIDEGRAB wie im EISENHANS geht es u. a. um das mir wichtige mythische Thema „Was wird aus dem wilden Mann (in diesem Land)?“. In Grimms gleichnamigem Märchen hält man den wilden Mann in einem Käfig; im Film ist er in ein Dorf, eine Ehe, eine Anstellung bei einem Freund eingesperrt. Im Märchen ist es ein Junge, den der Mann mit in den Wald nimmt, als er ausbricht, im Film ist es die eigene, geistig behinderte Tochter, mit der er im Hühnerstall verschwindet.
Die Schäferhunde in dem Zwinger draußen bellen; auch sie sind wilde Männer.
Eisenhans (Gerhard Olschewski) geht seine Tante besuchen, die noch abgelegener wohnt als er. Es ist für ihn wie in die Vergangenheit zu kommen, nichts hat sich hier verändert. Wie es der anderen Tante gehe? „Der geht es gut, die ist gestorben“. Ich kenne diese Atmosphäre. Der Film zeigt vieles, das ich auch empfinde, und das ist selten, und ich liebe ihn deswegen.
Eisenhans’ Tochter Marga (Susanne Lothar) ist ein seelisch peinlich nackter, ahnungsloser Engel, milchig leuchtend wie ein Opal, leer von Begriffen. (Die Schwester meiner Oma war auch solch ein Wesen, dem ein erbärmliches Leben widerfuhr.) Eisenhans will sie vor der Lieblosigkeit und Diskriminierung bewahren, die sie erwartet. Wenn sie auf der Kirmes keinen Tanzpartner findet, der gut zu ihr ist, dann wird ihr Vater eben ihr Tanzpartner. Und wenn ihre Sexualität sie dazu treibt, sich auf der Toilette der abbruchreifen Wirtschaft lieblosen Typen anzubieten, dann wird ihr Vater lieber ihr Geliebter.
Ihr gemeinsamer Gang nach der Tanzveranstaltung, durchs nächtliche Dorf zurück nach Hause, sieht fantastisch lebendig aus. Sie gucken durch die Fenster der Leute, wie die vor ihren Fernsehern sitzen, es läuft eine Farbfernsehshow, und die Luft draußen ist so echt dagegen, sprechend, fühlbar. Sie vandalisieren durchs Dorf wie freie Jugendliche. Es endet im Hühnerstall, wo Eisenhans mit seiner Tochter schläft.
So geht das weiter, bis im Fenster zu Eisenhans’ Souterrain-Wohnstube Irm Hermanns hagere Gestalt erscheint und penetrant leutselig hineinblickt. Sie muss mal nach dem Rechten sehen, die Fensterhexe im zeitgenössischen Gewand einer Sozialhelferin.
Das Gegenteil zu den Verhältnissen beim Eisenhans findet sich bei seinem alten Schulfreund Feininger, für dessen Bierfirma er arbeitet. Feininger und seine Frau (Hans-Michael Rehberg, Angelika Milster) glänzen in der Öffentlichkeit als modernes, hohes Paar und stellen ihre Musterehe aus. Sie haben ein glänzendes Auto, einen präzisen Rasen und eine Veranda mit Säulen, die wie eine Vision schimmern.
Einmal schenkt ihm Eisenhans treuherzig Steinpilze, die er im Wald gesammelt hat. Und Feininger geht damit auf eine unbeschreibliche Art lässig zu seinem Auto, wo seine Frau schon ungeduldig sitzt, lässt den Beutel mit den Pilzen vor dem Fenster baumeln und sagt „Steinpilze!“. Und ich könnte niederknien davor, wie Dorst damit – ich kann nicht sagen wie – die schlimme Spannung der Beziehung Feiningers zu Eisenhans zum Klingen bringt. Wie die Feiningers gewollt gutherzig und mit herablassendem Erbarmen das schlichte Geschenk anerkennen, eingedenk der alten Gefühle, sentimenal, und stolz, dass sie so etwas empfinden können; man spürt wie eine Pein, wie sie im Auto drüber reden werden. Alles überträgt sich in diesem Detail, und davon gibt es eine Fülle in dem Film, alles ist transparent. Man könnte dauernd aufschreien davon. Das macht mich fertig, wie diese sehr deutschen Personen so luzid, so treffend, so unheimlich fein gearbeitet sind; nur indem der Film sie anschaut, bekommen ihre Selbstverständlichkeiten etwas durchdringend Fragwürdiges. Als blickte ein sehr intelligenter, sehr verwunderter und mit furchtbar scharfer Poesie geschlagener Ausländer oder Außerirdischer hier hinein. Die großen, guten, lappigen Blätter im Waldunterholz, unter denen Eisenhans und seine Tochter miteinander schlafen, wie am Grunde des Sees des im Märchen.
Ich hab von Tankred Dorst in Aachen ein Theaterstück gesehen, MERLIN, das mich schon damals ziemlich weggehauen hat. Und auf der Wikipedia Seite zum Film gibt es unten einen Link zu einem Interview mit ihm, dem ich mich zu Füßen legen will. Auch Heike Hurst schrieb bei „revolver“ schön über Dorsts Filme.
Häschen in der Grube (Roger Fritz, BRD 1969) 8.5/10
Der zweite Film mit Inzestthema beim Kongress. Tief, atmend und lebendig. Und fast ganz in heidekraut-rosarot, weil die Kopie schon platt, am Ende ihres materiellen Lebens war. Aber auch dieses Verbleichen und sich Aushauchen stand ihm gut, dies Blumige, Sandsteinrosige, Himbeersaftleichte. Francoise Prevost spielt die traurigschön-kaputte, elegante Gattin eines angespannten Jet Set Dirigenten, die schockstarr die sich entwickelnde, inzestuöse Beziehung ihres Mannes zur gemeinsamen Tochter wahrnimmt. Das eigentlich Unerträgliche und Absurde wird zur Regel und zum Alltag, den man sich trotzdem schön/anspruchsvoll-unterhaltsam zu machen versucht: ein Erfolgsgeheimnis bürgerlichen Lebens. Sie sind in Umbrien, während eines Musikfestivals, und das Mädchen (Helga Anders) wird von ihnen künstlich wie ein Kind gehalten, damit der Inzest als rein väterliche Zärtlichkeit durch- und weitergehen kann. Der Film erzählt das wie eine leichtfüßige, einspinnende, vieldeutige Geschichte. Rätselhaft, und nicht beschönigend; auch Märchen und Mythen sind ja voller grausam triebhafter, egomanischer, verblendeter Könige. Ich fand die mythologische Sicht schon bei EISENHANS dem wirklichen Seelenleben ziemlich angemessen. In EISENHANS sehen wir es eher durch die Augen des Vaters, in HÄSCHEN IN DER GRUBE durch die der Tochter.
Während des Kongresses bekam ich die Nachricht, dass ein Mann mich in einem Amazonkommentar zu meinem DVD-Booklet-Text über Pasolinis TEOREMA (bei cmv-laservision) scharf kritisiert hat. Er schrieb, meine Formulierung „universelle Zärtlichkeit“ (über das unorthodoxe Verhalten des jesusartigen jungen Mannes in TEOREMA und auch in L.A. ZOMBIE von Bruce LaBruce) sei genau das, womit Kinderschänder ihr Tun sanktionierten. Ich habe „universelle Zärtlichkeit“ daraufhin gegoogelt; ich dachte, vielleicht ist die Formulierung tatsächlich ein einschlägiger Code. Das scheint sie aber nicht zu sein. Und Kinderschändung kommt in beiden Filmen und in meinem Text überhaupt nicht vor. Seltsam. Kinderschändung ist so ein großes Aufregthema geworden, obwohl sich eigentlich ja alle einig sind. Aber irgendwie kriegen manche nicht genug von ihrer Empörung und suchen blind nach frischen Gründen. Ich wüsste gern, warum.
Scavengers / The Scavengers (Lee Frost, USA 1969) 6.0/10
Ein Haufen schmutziger, verrotteter Südstaatensoldaten will bloß noch saufen, plündern, ficken. Der Obersoldat verschweigt ihnen, dass der Bürgerkrieg zu Ende ist, damit seine Machos weiter andere Machos massakrieren; die Frauen sind ein bisschen besser, aber ihnen kann man auch nicht trauen. Scheinbar ist das ein Western, aber eigentlich ein deftiges Exploitationding, und so gibt es ausgiebigen, groben Saloonsex; große Brüste platschen ins Bild, alles ist hemmungslos plakativ und pappig, abgefuckt und matschig. Der Zynismus dieser kräftig miefenden Gestalten ergibt so was wie einen Grog aus Strohrum, ein Dose Westerneintopf mit Gammelhack. Ich mochte das ganz gerne, weil es so schön übertrieben war. Vielleicht auch was für die Kollegen Barstardos aus meiner Heimat-Rockkneipe Outbaix, die als Band ironisch mit einem ähnlich verkommenen Westernheldenimage spielen.
Intime Affären / Intimo profondo (Salvatore Bugnatelli, Italien 1989) 8.9/10
Ein an der wasserfesten Oberfläche säuberlich geordneter Film, reklameweiß, reklamebunt, aber bald merkt man, er hat einen Vogel – eine mechanisch beharrliche, kleine Meise mit einem ausgewachsenen, fetischistischen Sextick. Die properen, wohlgemuten Büromänner in diesem putzigen Film haben ein glückliches Talent, eigentlich durchschnittliche Reize unendlich hochzujubeln und mit ihrer Übererregbarkeit die Handlung schwungvoll hoch zu halten. Jedes simple Frauenbein in Nylons, jeder Schuh und Strap, jedes stoffreiche, kniebedeckende 80er-Jahre-Schulterpolsterkleid wird von diesen überspannten, nervösen Männern als superraffiniert und ungeheuer erotisch beklatscht und aufgeregt mit Komplimenten überhäuft. Wenn ihnen etwas wirklich Außergewöhnliches widerführe, sie würden uns vor Nervosität auseinanderfallen, in kleine, wacker weiter vor sich hin klimpernde Playmobil-Einzelteile. Ihr Revier ist eine billig, aber intensiv designte Second World; eine ganze Reihe clean dekorierter Boutiquen Mailands gewährte dem Film zur eigenen Reklame Unterschlupf, wofür er sich im Nachspann lieb bedankt. Entzückend karg ist auch das neo-triste Spaßbad im Ausschnitt unten. Und die Frauen, die mich, obwohl dramatisch geschminkt, in ihrer aufreizenden Leichtigkeit und Leere ein bisschen an die Frauen bei Rohmer erinnern (vielleicht sind es aber einfach nur die seltsamen 80er Jahre, an die sie mich erinnern; ich habe damals nur wenig aktuelle Filme gesehen und vergleiche alles, was ich jetzt aus dieser Zeit sehe, mit dem bisschen, was ich kenne). Oft stehen vor ihnen bunte Mixgetränke, aber sie nippen nur daran. Und machen Seitensprünge nur, weil sie versehentlich Drogen genommen haben. Zu dem atomar strahlenden Verfremdungseffekt trägt, neben der verrückt dahintickenden Handlung, auch die bestrickend und schockierend synthetische deutsche Synchro bei. Auch wenn mein Text vielleicht jetzt nicht so klingt, weil Worte zerstören, wo sie nicht hingehören: Ich war begeistert.
(Mit einer vorbildlich geordneten Inhaltsangabe und vergnüglichen Kommentaren empfiehlt sich amazon. hier).
3. Nacht
Vor den Filmen setzte sich im Café ein Junge zu mir und erzählte, eines seiner Augen sei fast blind, infolge von Bakterien. Er hatte Angst, das greife auch aufs andere über. Er war Alkoholiker und versuchte, seine Ex-Freundin zu erreichen, die sich mit ihm verabredet hatte, aber nicht kam. Sie habe gesagt, sie habe sich neu in ihn verliebt, aber nun habe sie das anscheinend wieder vergessen. Sie nimmt schwere Psychopharmaka gegen ihre Angst.
Das darf doch nicht wahr sein (Reginald Puhl, BRD 1973) 6.5/10
Eine heiter beknackte Unterhaltungskomödie über die Verwechslungsgefahr der beiden verschiedenen Arten von Hostessen und über Menschen, die mental nicht fähig sind, Irrtümer zu erkennen. Das gipfelt darin, dass eine Hostess sich umziehen will und dabei die Tür zu einer Bühne für die Tür zu der Toilette hält. So gerät sie vor die Augen eines Kongresses (!), aber, ganz verfangen in ihr Vorhaben, merkt sie nichts und zieht sich einfach auf der Bühne um. In meiner Lieblingsszene leiert eine Hostess, die sich von einem Mann als Fremdenführerin engagiert wähnt, wie ein Roboter ihren Text herunter, während der Mann sie wie ein Roboter in sein Zimmer schleust und sie bumst. Schön auch der Mann, der, trüb wie ein Nebelhorn, vom Dachfirst „Hilfe, Hilfe“ ruft.
Der Wilderer vom Silberwald (Otto Meyer, BRD 1957) 8/10
Ich war der Handlung gegenüber sträflich unaufmerksam, begrüßte aber mit Wonne die ungewöhnlich vielen Genre-Standards dieser Heimatfilmperle, liebevoll arrangiert, kadriert wie Kitschpostkarten: Die bezaubernde Alpenlandschaft. Die resolute, urteilsstarke, mittelalte Mutti, millimetergenau in ihr besticktes Kleid geschossen. Der Wildfang – eine arglos kecke, burschikose Heranwachsende. Der unbeherrschte Triebling, der der sich sträubenden Raubkatze die Lippen auf die Schultern presst. Die fröhlichen Pferdchen vor der Kutsche. Putzmuntere Tierkinder in freier Wildbahn. Das dicke Kind in Lederhosen. Musik, Musik, Musik. Und Rudolf Lenz, einfach geschnitzt und nichts als wohlgeraten. Die eisig schöne, kristalline, heimlich böse, weil von Leidenschaft besessene Blondine (Traute Wassler). Ihr erster gemeinsamer Abendspaziergang über Heimatwege, voller Spannung und scheu keimendem Vertrauen. Der Strohhut sieht aus wie eine Brust und wird verschiedenen Leuten scherzhaft zärtlich aufgesetzt.
How to Undress in Front of Your Man (Gary Graver, USA 1970) 8.0/10
Was wird aus Doris Day, wenn sich die Schlafzimmertür hinter ihr schließt? Die Welt des amerikanischen Reihenhauses der 70er Jahre ist mir vertraut aus „Das Beste aus Reader`s Digest“, das ein Freund meines Vaters abonnierte und uns sonntagvormittags ins Haus zu bringen pflegte. Darin standen viele bieder-bunte, brav-gewitzte Eherettungstipps. Dieser kuriose, kurze Porno spielt damit, dass vieles, was sonst verboten ist, erlaubt ist, wenn es gilt, eine Ehe zu retten. Sogar durchsichtige Negligés, Sexspiele, Pornos. Verständnisvoll, offen und adrett setzt sich der Film zu der jungen Frau und erklärt ihr ihren Mann. Das Problem, das er konstruiert, ist aber selten: Die zwei kommen von einer Party nach Hause, sie will Sex, aber er ist zu müde – umgekehrt gibt es das häufiger, oder? Sie, ein schönes, brünettes Hippiemädchen, wäscht sich vorher achtsam mit ausdrücklich ph-neutraler Seife und trimmt ihr dunkles, weiches, intimbespraytes Fell. Dann geht sie in das hübsche, kleine Schlafzimmer, dimmt das Licht, sie haben es gemütlich. Ihr Mann sieht unauffällig und okay aus. Und hat einen Riesenschwanz. Seltsamerweise wundert mich das. Weil er in dieser Puppenstube liegt und ein Ehemann ist. Als würden Männer mit großen Schwänzen nicht heiraten. Was denke ich da nur. Ich bin oft deutlich dümmer als mein Ruf.
Killing Devil – Die gefährlichste Waffe: Ihr Körper / Too Hot to Handle
(Don Schain, USA/Philippinen 1977) 8.0/10
Ich mag die sexy Abenteurerinnen in Siebzigerjahrefilmen mit ihren fancy Klamotten. Caroline Munro in STARCRASH, Patricia Rhomberg bei Hans Billian… hier haben wir Cheri Caffaro, die ich noch nicht kannte, eine Amanda-Lear-artig wangenknochige, hager-elegante, androgyne Frau, in jeder Einstellung neu eingekleidet mit phantasievollen, feschen, fashionablen Stücken von „Lily of the Valley“. Hugo Montenegro, ein König des Retroradios („Musik zum Träumen“/WDR4 z.B.) schuf den Soundtrack. Dazu gibt es die leichte, süßlich-cinzanohafte Mondänität von Bars, Autos und Facilities in Manila, das genießerische Raubtierlächeln der Auftragsmörderin, ihre drolligen Stunts (s. u.), die spannungsgeladenen, fein gegen einander gesetzten Farben und die bizarr künstliche deutsche Synchro voller Sätze, die man zitieren will, aber nicht kann, denn es war sechs Uhr morgens, und der Sandmann strich durch die Stuhlreihen und setzte sich zu dem und dem.
Es war toll, mit diesen Leuten diese Filme zu sehen. (Robert, der auch dabei war, hat in seinem Sehtagebuch auch über die Filme geschrieben.) Nürnberg hat jetzt viele Steine bei mir im Brett. Das ist sehr subjektiv. Ich kenne diese Stadt nur durch die Kongresse und eigentlich nur als Hauptbahnhof und bisschen drumrum, und auch nur, wenn es dunkel ist und viele Reklamen ausgeschaltet sind. Dann wabert und leuchtet sie, schattig und schummrig, altgolden, geheimnisvoll, mir seltsam wohlgesonnen.
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