Forced Entry

Von  //  19. Dezember 2012  //  Tagged: , ,  //  1 Kommentar

Die erste Filmbesprechung in unserer Reihe „Forced Entry – Vergewaltigung im Film“ gilt dem Film, der ihr den Titel gab: „Forced Entry“ – einem umstrittenen Hardcoreporno aus dem „Golden Age of Porn“. Unser Einleitungstext zur Reihe findet sich hier.

Maria: Der Vergewaltiger in „Forced Entry“ ist Tankwart, aber vor allem auch ehemaliger Vietnam-Soldat und als solcher schwer traumatisiert. Wir erfahren schon zu Beginn des Films mit Hilfe der Einblendung psychiatrischer Gutachten, dass Vietnamveteranen häufig auf der Suche nach einem Feind sind, und klar, für unseren Helden sind das die Frauen. Der erste Blick auf Harry Reems, der in diesem Film die Hauptrolle übernimmt und mir noch aus „Deep Throat“ in zärtlicher Erinnerung ist, macht mir klar: Das funktioniert so nicht. Harry Reems hat dieses braune, dichte 70er-Jahre-Amerikanerhaar, ein wirkliches schönes, weiches Gesicht, einen großartigen Körper, der sich so vielversprechend unter seinem ölverschmierten T-Shirt und den Jeans abmalt – dessen Feind will ich gerne sein. Und das ist es, was ich meinte mit „nicht wollen wollen“, als ich in der Einleitung zu dieser Reihe von der Paradoxie weiblicher Vergewaltigungsphantasien sprach: Bei Harry Reems würde ich gerne nicht wollen. Er funktioniert als Phantasie, aber nicht als Abbild eines Vergewaltigers. Ich weiß, dass es schöne, attraktive Vergewaltiger gibt, aber in einem Film, der mit dem Vergewaltigungssujet nicht zuletzt auch schocken und verstören will, funktioniert das psychologisch nicht. Da kommen der Schrecken und der Ekel, die ich als Frau vielleicht beim Betrachten eines Pornos mit dieser Zielrichtung erwarte, nicht auf; ich freue mich stattdessen darauf, den Mann bald nackt zu sehen. Selbst in den Szenen, in denen man seine Paranoia und seine Perversität sehen soll – wenn er grimassierend über die Dächer von New York hetzt und bei der Beobachtung eines Pärchens seine Messerklinge ableckt – finde ich ihn viel zu attraktiv, um da irgendwas Störendes zu empfinden. Kannst Du das nachvollziehen, Silvia?

Silvia: Oh ja. Mir ging das u. a. so mit Jeff Goldblum in „Death Wish / Ein Mann sieht rot“ – leider kein Porno natürlich ;-). Unter den Pornomännern ist Harry Reems mir zwar nicht der liebste, aber ich mag ihn doch ganz gern; besonders als warmherzigen Liebhaber des gestörten, einsamen Mädchens in „Memories within Miss Aggie“. Ich habe gelesen, dass er sich für die Rolle in „Forced Entry“ später geschämt hat. Vielleicht lag das ja gar nicht daran, dass er den Film nicht gut fand, sondern sich als bösen Mann. In „Forced Entry“ sieht er aus wie ein freundlicher, humorvoller Mensch, der darum kämpfen muss, ein grimmiges, bedrohliches Gesicht zu machen, wenn er seine Opfer ausspäht. Wenn er sich aber – du sagtest „alert“ (ich mag das Wort) – durch die aufregend sinistren Großstadtgegenden auf ihre Häuser zu bewegt und ihre Feuerleitern hoch klettert, kauft man ihm zumindest den mit seinem trainierten Körper gut befreundeten Einzelkämpfer ab.
Sein erstes Opfer, deren ehelichen Sex er unbemerkt beobachtet, wirkt dagegen, als fühlte es sich unwohl und nicht eins mit sich und dem Film. Schon beim anfänglichen „Trockenschwimmen“ ist das so (du sagtest, dass ihr das früher so genannt habt – ein lustiges, die wirklichen Körperzustände meist eklatant verkennendes Wort. ;-)) Das wird kurz anders, als sie den Schwanz ihres Partners bläst. Aber gleich danach gibt es wieder diese ratlosen Berührungen der beiden an den oft nicht ganz richtigen Stellen. Das sieht uninspiriert aus; sicher ist das so auch oft im Leben. Auch ihre Missionarsstellung: Es ist üblich, aber in Pornos sehe ich sie nicht gern. Man kann das Eindringen dann leider nicht anders filmen als von hinten, und die Hoden wirken aus dieser Perspektive so bommelig und verloren; auch das Rein und Raus wirkt zu mechanisch, vielleicht weil man dem Penis so nicht gut bei den wichtigen, kleinen Veränderungen seiner Bewegungen zuschauen kann.
Seltsamerweise bleibt der Sex auch unentschlossen, als der Vergewaltiger mit seinem Opfer allein ist. Er weiß mit der Situation sexuell nicht zwingend etwas anzufangen, nachdem er sich die Macht über sie verschafft hat. Er gibt der Frau schlappe, gewollt „gemeine“ Anweisungen – z. B. beim Blasen so zu tun, als mache es ihr Spaß. Und sie macht recht willig mit. Es ist, als glaubte sie bis zum Schluss (ich glaubte das mit ihr), er meine es nicht richtig ernst mit der Gewalt; sie könne sich mit ein bisschen üblicher Männerbefriedigung aus der Affäre ziehen. Er redet viel leeres Zeug auf sie ein, so wie man das im Leben machen mag, um sich nicht allein zu fühlen, und damit die Situation einem nicht zusammenfällt. Es ist bestimmt ja sehr eigenartig, dieses Alleinsein von Vergewaltiger und Opfer; die Situation ist nicht stark genormt; es gibt keine Gewohnheiten; sie ist für beide ungewöhnlich und alarmierend.

Maria: Ich glaube, dass das Skript wahrscheinlich schlecht war und Reems sich nicht wohlgefühlt hat in seiner Rolle. Der Effekt ist aber der Gleiche, und das sehe ich ähnlich wie Du: Die Situation wirkt unbeholfen und hochgradig unerotisch. Damit zerschlägt sich auch meine Phantasie, die ich so willig um Harry Reems aufgebaut habe. Ich habe mir brutale Szenen mit schönen Körpern gewünscht, die ich angesichts der Tatsache hätte genießen können, dass es sich um einen Porno und nicht um eine Dokumentation handelt. Alles Mögliche habe ich antizipiert, aber nicht diese unmotivierten Sprüche, diese Unentschlossenheit, die alles, was er macht, begleitet. Da habe ich selbst schon viel Krasseres hören müssen wollen, und da war kein Vergewaltiger dabei. Nicht mal ein konsequenter Sadist.
Vielleicht rutscht der Film so wirklich (unfreiwillig) an die Realität von Vergewaltigungen heran, in denen nichts sexy oder glamourös ist.

Dem Porno jedenfalls ist es höchst abträglich, und das ändert sich auch nicht bei der zweiten Vergewaltigung. Die Darstellerin schafft es zwar tatsächlich stellenweise, ängstlich und verletzt auszusehen, doch Reems kann nicht das Tier sein, und daran ändern weder Analverkehr noch ihre nachsynchronisierten Schreie noch die Radikalisierung seines Vokabulars („You don’t know what bleeding is – I wanna show you a lot of bleeding“) etwas. Zu lasziv, zu sinnlich und ja, zärtlich, bewegt er sich in der Frau; ich dachte an eine Stelle in T.C. Boyles „The Inner Circle“, „this sliding in and out of the female orifice with the slick rhythm and balance of a seal riding a wave ashore“. Das ist eine sehr schöne, auch ansprechend gefilmte Sexszene, aber nicht das, was man sich unter der pornographischen Umsetzung einer Vergewaltigung vorstellen würde. Du siehst, Silvia, meine Vorstellungen werden hier aus unterschiedlichsten Gründen enttäuscht.

Silvia: Ich fand diesen sinnlichen Analverkehr auch schön. Mir war Harry Reems in dieser zweiten Episode aber böse genug, um ihm die Rolle abzunehmen; das lag vor allem daran, dass diese Schauspielerin die Angst des Opfers vor ihm wirklich besser spielte. Da gab es einen Moment, in dem sie sich fast hilfesuchend an ihn schmiegte – ausgerechnet an den, der sie bedroht. Dieses paradoxe Verhalten, dieser hilflose Kurzschluss, kam mir psychologisch schön schlüssig vor. Da sehe ich mich. Ich wäre ziemlich sicher eine typische Vertreterin des Stockholm-Syndroms. Und ich fand auch hier wieder den unsexuellen Teil der Gewalt unendlich viel schlimmer als den erzwungenen Sexualakt. Das Aufschlitzen der Frauen erschreckte mich; so etwas ist die eigentliche Horrorvorstellung für mich.

Ja, und dann gerät er an diese lesbischen Mädchen. Der traumatisierte Kriegsheimkehrer – nun „Fremder im eigenen Land“, wo er ausgerechnet bei „Joe`s Friendly Service“ als Tankwart landet – ist ja vielleicht auch in diesen sexuellen Privatkrieg gezogen, um sich, wie in Vietnam, in dieses Land hinein- bzw. zurückzuficken, wie du sagtest; „forced entry“… Plötzlich sind da aber diese total bekifften, albern kichernden, so was von entspannten Woodstock-Hippiemädchen, die die Situation, die er zu schaffen glaubte, gar nicht anerkennen. Die ihm freie Liebe anbieten und nichts ernst nehmen, was Männern wie ihm ernst ist („Das ist doch der Typ von der Tankstelle, bruaahh! Hör mal, ich würde gerne deinen Schwanz mal sehen.“) Die ihre Arme, Beine, Brüste nach ihm ausstrecken. Als sie näher kommen, kommt alles mit ihnen näher. Der Film wird hier so bekifft wie die Mädchen und so chaotisch und infernalisch wie das Innenleben des Mannes – psychedelisches Synthiewabern, Loops, Sitar, sich wiederholende Sätze, Überblendungen, überhandnehmende Geräusche, Chaos, Inferno. Das nun geballt hineingeschnittene Doku-Material aus dem Vietnamkrieg (das umstrittene Stilmittel gibt es auch schon vorher in dem Film) sehe ich nicht nur als Exploitation um der Schockwirkung willen. Es ist auch etwas Wahres dran. Aufruhr, Angst und Panik, Verwirrung, Verlust des Ichgefühls, Gewühl, Auflösung der Körper, Leben und Tod zur gleichen Zeit: Da sind sich Krieg und „Liebe“ manchmal ähnlich. Besonders auch in diesem Mann. Wir haben uns ja nach dem Film gefragt, warum er sich nach Vietnam ausgerechnet Frauen als Opfer ausgesucht hat…

Maria: Da passt der Krieg auf den ersten Blick nicht als Motivation. Es gibt zwar diese Theorie, dass Männer im Krieg auch deshalb die Frauen des Feindes vergewaltigen, um dessen Nachkommenschaft zu dezimieren und durch diese gewalttätige Infiltration sein Land zu zersetzen. Doch macht das wenig Sinn im eigenen Land. Wenn unser Veteran sich also sein Land zurückzuficken versucht, ist es vielleicht eher eine Vorstellung von Sex und Männer- und Frauenrollen, die er in Amerika nach seiner Rückkehr nicht mehr findet und die er gewaltsam zu re-etablieren sucht. Das Pärchen redet nur von „I want to make love to you“ – mir wurde selbst schon ganz elend dabei -, sie, offensichtlich eine erfolgreiche Frau, fährt alleine im teuren Cabrio durch die Gegend, die zweite Frau kifft, überall sind Hippies, die Lesben kiffen UND haben Sex ohne Mann; vielleicht fickt er dagegen an. Das alles ist der Feind, den er sucht und findet. Und in diesen lesbischen Mädchen, die ihn nicht brauchen, ihm dennoch aktiv begegnen und seine körperlichen Grenzen nicht respektieren, kommt das alles zusammen: Alles ist plötzlich möglich. Frauen werden in seinen Visionen, vor denen er sich schließlich nur durch Kopfschuss retten kann, zu übermächtigen, lüsternen Wesen. Weibliche Geschlechtsteile, ich würde sagen, nicht aus der Frosch-, sondern aus der absoluten Küchenschabenperspektive, drohen ihn zu ersticken. Ich fand es spannend, dass man in diesen Visionen stellenweise Einstellungen aus den Vergewaltigungsszenen unverändert übernehmen konnte, in denen die Frauen nun allein durch die etwas veränderte Rahmung erregt und lustvoll wirken. Was meine These stützt, dass am Sex an sich in diesem Film wenig Vergewaltigung ist.

Silvia: Am Ende ist der böse Mann es, der sich vergewaltigt fühlt. Die Angst vor weiblicher Sexualität ist immer ziemlich rätselhaft für mich. Aber ich nehme an, sie ist eigentlich die Angst vor Sexualität schlechthin; die Schuld an ihrer empfundenen Dunkelheit wird dabei einfach den Frauen zugeschoben (das gibt es auch andersherum). Ich habe bei Klaus Theweleit darüber gelesen, wie diese mit Fasziniertheit vermischte Angst vor weiblicher Sexualität monströse, grandiose Bilder erzeugt – von Kraken, ungeordnetem Menschengewühl, blutigem Durcheinander, der roten Flut. Und wie sehr solche Bilder den Feindbildern ähneln, mit denen die Soldaten oft in die Kriege ziehen. Das geordnete, einige, rigide gedrillte Heer der Soldaten, das einer ungeordneten, wuselnden, wabernden Masse von Rebellen und Partisanen gegenübersteht… aber das führt jetzt weiter als ich selber denken kann ;-)
Aber wie ist das, Maria, fandest du den Film denn eigentlich gut? Ich selber finde ihn unter den „Golden Age“ Pornos, die ich bisher kenne, einzigartig. Stark, schlüssig, hart und eigen. Unser Kollege Eckhard Heck hat ihn wohl aus diesem Grund immer besprechen wollen.

Maria: Ich mochte den Film auch. Es gibt eine Masse von fast betörenden Bildern, wie man unten auszugsweise hoffentlich sieht, kunstvoll arrangierte Einstellungen, gelungenen Einsatz von Hintergrundmusik und Geräuschen – am schönsten fand ich den Lärm von Helikopterflügeln vor dem Bild der aufsteigenden Tauben. Die Sexszenen fand ich stellenweise wirklich ansprechend, auch wenn sie so gar nicht das waren, was ich erwartet habe. Das Ganze funktioniert für mich weder als ernsthafte Darstellung von Vergewaltigung, noch kann es eine Vergewaltigungsphantasie adäquat umsetzen, hat aber, wenn man es aus diesem Kontext löst, die künstlerischen und stellenweise auch psychologischen Qualitäten eines guten Spielfilms, was ich ja auch an anderen „Golden Age“ Pornos so gerne mag. Und Harry Reems, ach, Harry. Ich mag den auch als widerwilligen, zärtlichen Gewalttäter.

USA 1973, Regie: Shaun Costello


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