W.R.: Mysterien des Organismus
Von Alex Klotz // 23. Oktober 2012 // Tagged: Avantgarde, featured, Pornfilmfestival 2012, Skandalfilm // Keine Kommentare
Die wilde Struktur dieses Films zu unterteilen, wäre ein Thema für eine längere wissenschaftliche Arbeit, grob abgesteckt lassen sich aber zwei Hauptstränge ausmachen: Der eine beschäftigt sich dokumentarisch mit dem Leben, den Ideen und dem Tod von Wilhelm Reich, der andere mit der jungen Serbin Milena, die, von dessen Ideen inspiriert, dem Sozialismus in Jugoslawien neue Energien verpassen möchte. Quasi im Vorbeigehen werden dabei in zahlreichen satirischen Miniaturen sowohl der „American way of life“ als auch der Sozialismus seziert und verkrustete Strukturen offengelegt. Ein Film, dessen aberwitzige Bilderflut sich nicht ohne weiteres in einer schnöden Handlungssynopsis bündeln lässt.
Laut eigenen Aussagen (die man in seinem Falle aber nicht immer unbedingt ernst nehmen sollte) wollte Makavejev mit dem durch die Forschungen Wilhelm Reichs inspirierten Aufruf zu freier Liebe und grundsätzlich mehr Sex tatsächlich dem Sozialismus eine Frischzellenkur verpassen, das sahen aber einige Leute anders – der Film wurde verboten, der Regisseur bekam ein Berufsverbot und ging ins Exil. Die Darstellung der spießigen Kleinbürgerlichkeit von Wilhelm Reichs ehemaligen amerikanischen Nachbarn, die ihn auch schon mal in größeren Mengen nachts besuchten und „Out with the commies!“ riefen müßte den sozialistischen Machthabern eigentlich gefallen haben – daß am Schluß ein russischer Eiskünstler namens Wladimir Iljitsch eine Frau mit seinem Schlittschuh enthauptet aber vermutlich weniger – von der Szene, in der von einem erigiertem Penis ein Gipsabdruck gemacht wird, mal ganz zu schweigen. Dieser Film ist gleich auf mehreren Ebenen subversiv (nicht verwunderlich, daß ein Standbild daraus das Cover der englischen Ausgabe von Amos Vogels Buch zierte), bricht politische und sexuelle Tabus und durchschüttelt beherzt die Sehgewohnheiten, in Bildgestaltung und Montage dem hier unlängst besprochenem Tausendschönchen nicht unähnlich. Vor allem aber macht er auch noch unheimlich viel Spaß.
Die seltene Gelegenheit, den Film als 35mm-Projektion zu sehen, gibt es dieses Jahr auf dem Pornfilmfestival in Berlin, wo der Film in der Retrospektive gezeigt wird.
WR: Mysteries of the Organism / W.R. – Misterije organizma, Jugoslawien/Deutschland 1971, Regie: Dušan Makavejev