Auf den Flößen der Filme – Versuch einer Abnabelung
Von Guido Rohm // 27. Juni 2012 // // Keine Kommentare
Filmen, bis das Leben zum Film wird, bis alles im Kasten ist, erleuchtet, erhellt, bis die letzte Klappe gefallen ist. Filmen, um sich im Material zu finden, um seine Gefühle zu lernen, um zu wissen, was man nicht sagen, sagen, wann man schwitzen, weinen, hungern, frieren, schreien soll.
Und dann ist er da, hört die Bomben noch im fernen Rücken der Zeit detonieren, und er beginnt zu laufen, von Schule zu Schule, unzählige Schulen, er wird mit dem Laufen, jetzt da er damit begonnen hat, gar nicht mehr aufhören, wird laufen, bis er irgendwann vor einem Fernseher zusammenbricht und stirbt, die Augen glasig, die Haare verklebt, mit einem Geruch nach zu viel Leben auf der Haut. (Ein Bild, das vor einem Bild stirbt. Gespiegelt bis in die Unendlichkeit, und doch kleiner und kleiner werdend.)
Einer wie er, der sah sich nicht im Spiegel, der filmte sich seinen Spiegel, seinen Lebenslauf, seine Gedanken, seine Erinnerungen, seine Kämpfe, seinen Frohsinn, seine Trauer.
Schon hetzt er zum nächsten Film, denn da ist wieder einer, wieder und wieder muss ein Film gefilmt werden, gelebt, ausgeschwitzt, ausgekotzt, gewürgt und in die Schüssel gesetzt werden.
Atmet Filme, Schauspieler, nimmt sie, notiert sie, platziert sie, weint mit ihnen, ejakuliert mit ihnen, schreit mit ihnen, mit ihnen , die seine Familie sind, seine Filmfamilie, weil am Ende, das weiß er ganz genau, ist alles Film, nichts kann dem Film entkommen, der Kamera, der Notwenigkeit, es mit der Kamera zu fangen.
Was?
Es?
Das Leben. (Das Leben ficken, um es zu spüren, direkt und voller Lust und Schmerz.) Nimm es und zwing es in diesen Kasten, der die Grenzen zeigt, der ehrlich ist, weil er die Grenzen aufzeigt. Leben ist nicht ehrlich. Leben tut so, als hätte es keine Grenzen, dabei läuft es über mit Grenzen. Es steht auf dem Herd der Gefühle und kocht über mit Grenzen, bald schon ist der Herd mit Grenzen überlaufen, bald schon kommt der Lappen, im Film der Schnitt, und wischt die Grenzen fort, indem er bricht, indem er Brüche benutzt, um zu springen, von Bild zu Bild.
Der Schnitt gaukelt uns ein Entkommen vor.
Fassbinder in Berlin. Liebe ist kälter als der Tod. Das Publikum buht – und nein, nein, nein, das will man nicht, und Fassbinder lächelt und weiß, er ist angekommen, denn jetzt hängt er in seinem eigenen Film.
Fassbinder. The Movie. Titelauswahl: Herd der Gefühle, Das Leben ist ein Salzkorn auf deiner Haut, Wehe dem, der sich aus dem Staub macht, ohne sich erklärt zu haben, Auf den Flößen der Filme, Die Angst vor dem Ende der Aufführung, Im Himmel der Drecksäcke, Macht ist ein scharfes Schwert, Gewürzhändler des Todes.
Sein Körper war eine Uhr, an der man ablesen konnte, genauer noch als an allen anderen Körperuhren, wo er gerade war, konnte seinen Verschleiß sehen, sein Dahingehen, Verwehen, sein Nichtwerden; sein Schritt (Schnitt), der ihn unablässig lenkte, der sich durch Deutschland schob, der die Geschichte mit dem Privaten verband, weil es nicht zu trennen ist, weil alles zusammenhängt, enger noch und enger, weil alles Politik und nochmals Politik ist, weil alle in einem Bett liegen und sich ficken und schlagen und sich bejammern und loben und weil es kein Entkommen aus diesem Bett der Geschichte gibt.
Die einen liegen dort, die anderen hier, mach Platz!, schreit eine Gruppe, schon werden Grundstücke verkauft, Teile des Bettes, denn am Bett, da kann man sich, man muss sich nur bemühen, eine Goldene Nase verdienen, nur draufhalten darf keiner, denn die Tränen sollen im Laken versickern, ungesehen.
Name? Fassbinder. Haben Sie das geschrieben?
Ja. Judenhasser, nannten sie ihn, Schwulenhasser, Bettnässer und Nestbeschmutzer, Feind der Gewerkschaften und der Mächtigen, weil einer wie er IMMER einen Grund fand, es in einen Film zu binden, zu weben, weil die Geschichten überall rumliegen, hier und dort, und ALLES, wirklich ALLES, ist eine Geschichte der Macht. Seine doch auch. Seine Geschichte ist es doch auch.
Warnung vor einer heiligen Nutte. Ein Film, jetzt einer über das Ende der eigenen Truppe, über sich als Berserker, über das Ziehen von Strippen, über das Puppenspiel, Theater und nochmals Theater, auch wenn da ein ANTI davor stand.
ALLES ist eine Geschichte der Macht, eine, wie sie funktioniert, im Kleinen, in den Familien, im Großen, im Überall, im Weltall, in der Zukunft, in der Vergangenheit, im Western.
Und er hatte sie ALLE im Blick, auch das Publikum, vergesst das Publikum nicht, zieht es rein, denn leere Kinosäle bringen uns nichts, sagte er und drehte und drehte, drehte das Publikum in seinen Lebensfilm, drehte und drehte, den fallenden Körper durch den Bildausschnitt schiebend, wuchtend, damit er wusste, ich bin kein Mensch, ich bin ein Film, bin das Kino. (Man muss viel wiegen, mit der Last so vieler Filmrollen auf den Schultern.)
Er war ein Sud, der überkochte, der sich verbrannte, der anbrannte, der Titel wie Kalauer schuf, Sprichworte, dessen Titel in aller Munde sind, wie ANGST ESSEN SEELE auf, ausgesprochen, aber ungesehen.
Er fehlt, weil es nicht das Werk war, sondern das Leben, dieses Schleudern durch den Raum, dieses Klagen und Ächzen, das er uns schenkte.
(Gab sich selbst hin. Rotzte sich vor unsere Schuhsohlen.)
Am Ende gab es kein Ende, weil er noch dort liegt, fern in der Erinnerung eines Films, der wieder und wieder im kollektiven Gedächtnis abgespult wird.
Er liegt dort und stirbt, wieder und wieder, bis sich einer findet, der ihn endlich erlöst, der ihn ins Grab hinab filmt.
Erst wenn das geschehen ist, wird es Zeit, sich WIRKLICH mit seinen Filmen und seiner Zeit zu beschäftigen.
Nicht ruhen, nicht rasten, denn schlafen können wir, wenn wir tot sind.
Rainer Werner Fassbinder (31. Mai 1945 – 10. Juni 1982)