Lieblingsfilm: Rosen blühen auf dem Heidegrab

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Wenn in Heimatfilmen die moderne Welt in die althergebrachte eindringen will, gewinnt meist die behutsam um kleine Neuerungen bereicherte Tradition, und die forschen Städter müssen sich ohne Alpenimmobilien oder sauberes Gutsbesitzermädchen wieder nach Berlin zurückziehen. Immer ist mit dem Riss zwischen alt und neu für die Hauptfiguren die Entscheidung zwischen zwei Menschen verbunden.

Im „Heidegrab“ kommt das Neue aber rettend und bescheiden, nett und klein daher, im „neuen Auto“, einem VW-Käfer. Es hat den drahtigen, festen Körper des kriegsheimkehrerjungen Architekten Ludwig (Armin Dahlen). Ludwig stammt aus dem Heidedorf, wo der Film spielt, hat aber nach dem Krieg studiert und besucht nun seine Eltern. Dort begegnet er dem zu seinem großen Erstaunen zur schönen, jungen Frau gereiften Dorfmädchen Dorothee (Ruth Niehaus). Die beiden verlieben sich. Ludwig baut mit naivem, herzig harmlosem Enthusiasmus Gehäuse für die neue Zeit. Schwungvoll erläutert er Dorothee und seiner Mutter seine modernen „2-Zimmer-Kleinwohnungen“: keine Platz vergeudenden ehelichen Schlafzimmer; jeder schläft im eigenen Bett und Zimmer. Ludwigs Mama und Dorothee sind konsterniert, Ludwig findet augenzwinkernd den erlösenden Kompromiss: die Doppelcouch. Dorothees Frage, wo die Kinder schlafen, überfliegt er einfach: „Darauf kann natürlich nur eine Frau kommen!“ Am Abend sitzen alle einträchtig auf der Veranda, in ausgesucht dämmrigschöner, altdeutscher Lauschigkeit, und machen romantische Volksmusik. So ist es gut.

Aber da ist die andere Seite, dunkel, eigensinnig, machtvoll, penetrant, verfolgend. Es ist der große, massige und alte Körper Dietrich Eschmanns (Hermann Schomberg). Der lebt aussortiert und sexuell verbandelt mit seiner suspekten, ihm irgendwie zugelaufenen, nicht original ortsansässigen Magd, die ihn leidenschaftlich liebt und befriedigt. Doch Dietrich will mehr als das, was ihm so ähnelt und vom ganzen Dorf schräg angesehen wird. Er will sein Gegenteil, die „weiße Frau“ in Gestalt der lichten, makellos patent über den Dingen schwebenden Dorothee. Ihre verhärmten Eltern haben ihm, dem reichen Bauern, schon vor langer Zeit ihr adrettes, von allen hochgeschätztes, alle Erwartungen erfüllendes Qualitätsvorzeigemädchen versprochen. Seit sie nun volljährig ist, pocht Dietrich auf sein Recht. Massiv. Dorothee weicht ihm aus. „Wie ein Tier bist du“, stößt sie hervor. Dietrich ist unfähig, etwas außer seinem überbordenden Begehren anzuerkennen. Bärtig und bärig, ein Unhold, steht er hinter jedem Wacholder, wenn Dorothee durch die Heide geht oder mit ihrem so erotisch unsicheren Rad über die Wege fährt. Er erscheint ihr als Gespenst, aus einem Busch, im spiegelnden Wasser. Wie ein Fels steht er ihr überall im Weg, ein Baum, ein altmodischer Bauern-Waffen-Schrank, drohend, übergroß, ein Mahnmal des verdrängten Archaischen, dem man nicht entgeht und das man nicht vergessen kann. Der Kontrast seiner schwerfälligen Dunkelheit und ihrer hellen Zierlichkeit spiegelt sich in der grandiosen expressionistischen Schwarzweißmalerei der Kamera, in den von jähem Schlaglicht beleuchteten, düsterromantischen Landschaftsbildern.

Da haben wir ihn wieder, den wilden Mann, das alte Märchen. Er kann einem in so unterschiedlichen Filmen wie dem Letzten Tango in Paris oder The Trap begegnen. Immer mit der Frage: Was geschieht mit diesem alten Gott in „unserer“ Zeit?

Im Letzten Tango und als King Kong wird das Mann-Tier ermordet. Oft werden die männlichen Bestien aber auch gereinigt, verwandelt und ihrer gesellschaftsfähigen Partnerin angeglichen – Tarzan und Jane, la Bete et la Belle, Seal und Klum… Wahrscheinlich schwebt auch Dietrich eine solche Läuterung vor. In dem auch in dieser Hinsicht ungewöhnlichen The Trap lebt der wilde Mann – lädiert, aber erfüllt und unverändert – weit draußen in der Wildnis weiter, mit seinem Sex und seinem wunderlichen Mädchen, das sich zu ihm bekennt.

Auch im „Heidegrab“ deutet sich unterschwellig ein geheimer Hang des Mädchens zu dem wilden Mann an. Denn obwohl Dietrich ganz der sexbesessene, unkontrollierte Dämon ist, den Dorothee zu hassen vorgibt, geht sie ihm nicht aus dem Weg. Sie lehnt in seiner Gegenwart das Angebot einer Freundin ab, sie zu begleiten, und geht allein vom sonntäglichen Kirchbesuch durch die Heide nach Hause. Dietrich folgt ihr; in der perspektivischen Verkürzung wirkt er drei, vier mal größer als sie. Sie kommen zu dem Grab Wilhelminas, wo im Dreißigjährigen Krieg der Legende nach eine Ahnin Dorothees vergewaltigt wurde. (Der Film zeigt das zuvor in einer üppigen, stummfilmartigen Rückblende, mit Dorothee als Wilhelmina). Dort verlangt Dietrich die Aussprache, stur, wie im Traum, wie ein Waldmensch im Märchen. Als Dorothee sich weigert, fällt er über sie her, wie seinesgleichen in den mythischen Zeiten. Gerade in dem Moment als – im Gegenschnitt – Ludwig bei einem feinen Juwelier in Hamburg die Verlobungsringe kauft. In einer Großaufnahme verkrampft sich Dorothees von Dietrich auf den Heideboden gepresste Hand. Bevor sie sich löst und lockert.

In den Stunden danach ist Dorothee abwesend und unansprechbar. Als in der Nacht Dietrich wieder an ihrem Fenster steht, ihr Bekenntnis zu ihm fordernd, sagt sie tonlos „ich komme“, und sie gehen miteinander fort. Dorothee lockt ihn ins Moor, damit sie beide sterben, wie ihre Vorfahren in der alten Geschichte; in Trauma oder Trance, „kommen sie vom Weg ab“ und versinken bis zum Hals, fast bis zum Tod, im Urschmutz, der jenseits der Wege lauert. „Es gab keinen anderen Weg für uns, Dietrich, wir konnten nicht zusammen leben, jetzt müssen wir zusammen sterben.“ Aber die andern suchen nach ihnen, mit ihren Autos, ihren Lampen und beenden das todesnah intime Miteinander. „Ruhig, Dietrich, ruhig!“ sagt ein Retter mahnend zu dem um gegen das Versinken Kämpfenden wie zu einem Pferd.

Dietrich geht zurück zu seiner Magd, Dorothee zu Ludwig, der sie ehelichen wird. Das Moor hat ihre Körper nicht bekommen, der Bann des alten Mythos ist gebrochen. Und auch der Machtbereich des wilden Mannes ist eingeschränkt, durch eigene Einsicht. Für ihn sind jetzt die sexuell allzu wissenden, den Mann zu gut verstehenden Außenseiterinnen da. Da Dietrich, wie Rübezahl, Reichtümer angehäuft hat, kann er als abgedankte Majestät in der Peripherie, vom Vieh umgeben, sein obskures Lotterleben weiterführen. Er ist wie ein Gewitter, das weit weg ist und nicht mehr über diese Menschen kommen kann. VW und Zweiraumwohnung haben gesiegt. Auch wenn der wilde Mann (der ein Pferd führt, statt zu fahren) die Autoreifen in Eifersucht zerstochen hat – sie werden repariert, es geht weiter vorwärts.

Dieser Film hat mir viel gegeben. Er beherrschte ganze Tage; während ich mich mit ihm beschäftigte, hatte ich große Lust, alles andere liegen zu lassen. Das liegt nicht nur an seiner objektiven „Qualität“, obwohl er – teils bewusst, teils einfach so aus sich – auch in dem Sinne ein guter Film ist. „Dumpf“ nannte ihn das Lexikon des Internationalen Films damals, aber das ist ein gutes Wort. Dumpf. Und dampfend, rauschend, zugleich im Inneren minutiös und fein, als beschütze seine waldartige Schattigkeit etwas. Ich dachte viel nach über Dietrich, während ich das schrieb. Filme machen wirklich manchmal, dass man mehr liebt als zuvor.

Deutschland 1952, Regie: Hans Heinz König

P. S.: Der neueste deutsche Heimatfilm, den ich gesehen habe, dürfte „Barbara“ von Christian Petzold sein. Ich glaube, es war Christoph/Eskalierende Träume, der auf dessen Heimatfilmartigkeit hinwies. Auf jeden Fall verdanke ich Christoph die Empfehlung „Heidegrab“. Ich sehe Ähnlichkeiten. Der wilde Wind in den Büschen und im Gras. Und auch die züchtig-reizvolle blonde Schönheit, die ihr Fahrrad wie zwischen zwei Welten über die Feldwege schiebt und sich zwischen einem Mann der alten Heimat und einem Mann des „neuen“ Lebens anderswo entscheiden muss… Ronald Zehrfeld ist in „Barbara“ aber nur noch vielleicht in seinen Träumen und seiner Statur nach ein mythisch wilder Mann. Sein Verhalten ist gezähmt, beinah gelähmt. Traurig, ritterlich, geduldig liebend wartet er, ob die Frau nicht doch noch auf ihn zukommt. Sich für ihn und die romantische Landschaft zu entscheiden, hätte wohl auch Dorothee geschafft.
In einer unruhigen Nacht hab ich mir mal Maria Furtwängler als „Barbara“ vorgestellt. Was für ein Film das hätte werden können. Es ist sein kunstvolles Verdienst, entgegen seiner nicht unbedenklichen Handlung die Kurve zu etwas Lebhaftem und ungewöhnlich Schönem hingekriegt zu haben.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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8 Kommentare zu "Lieblingsfilm: Rosen blühen auf dem Heidegrab"

  1. Peter Sagawe 17. Juli 2017 um 14:22 Uhr · Antworten

    suche eine komplette Fassung von ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB

  2. Peter Sagawe 17. Juli 2017 um 14:20 Uhr · Antworten

    Ich suche den Film ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB in einer kompletten Fassung

  3. Sarah 12. August 2016 um 15:47 Uhr · Antworten

    dank dir für diesen Text, die Gefühle, die solche Filme heute auslösen, sind auch für mich immer wieder überarschend und berauschend, ein wenig guilty und verstörend ebenfalls
    ich möchte diesen Film jetzt unbedingt sehen, schon die Stills beeindrucken sehr
    in den USA bekam der Film übrigens den Titel „Rape on the Moor“
    mich hat ein deutscher Heimatfilm von 1953 von Gerhard Lamprecht einmal ähnlich in den Bann geschlagen: „Meines Vaters Pferde“; ein 2-Teiler, der auf DVD in der kompletten Fassung erhältlich ist
    mit Curd Jürgens, Martin Benrath, und der legendäre Reinhold Schünzel ist auch dabei
    Lamprecht ist im Programm von Locarno mit „menschen im Werk“ auch vertreten, allerdings scheint dies mit 27 Minuten ein Kurzfilm zu sein

  4. Andreas Poletz 25. Juni 2012 um 19:18 Uhr · Antworten

    Grandioser Text! Vielen Dank!

  5. Christoph 25. Juni 2012 um 16:38 Uhr · Antworten

    Was für ein berauschend schöner Text, Silvia, so absolut „spot on“, auch wieder dieser letzte Absatz, wie so oft bei dir. Ich bin gelb vor Neid.;)

  6. Silvia Szymanski 25. Juni 2012 um 16:23 Uhr · Antworten

    Ja, Whoknows, an Hatheyer/die Geierwally hab ich bei dem Filmgucken auch ein bisschen gedacht. Etwas an den beiden Filmen ist vielleicht ähnlich, dachte ich. Aber es ist schon zu lange her, mit mir und der Geierwally, um das wirklich sagen zu können. Ich war noch sooo jung ;-) Und das Griffithzitat ist schön, Marco :-) Und der Amazonkommentar erstaunlich. Der User folgt den im Film gesprochenen Worten getreulich in ihr „Happy End“, nachdem die Verirrten wieder in trockenen Tüchern sind. Das kommt mir trügerisch linear vor; die Bilder in dem Film singen ein anderes Lied.

  7. Marco Siedelmann 25. Juni 2012 um 15:14 Uhr · Antworten

    “What the modern movie lacks is beauty. The beauty of the moving wind in the trees.”
    D.W. Griffith

    „Der Film zeigt auf, dass die Liebe mehr ist als Leidenschaft und letzten Endes siegen wird trotz aller Hindernisse und Hemmnisse.“
    Amazon-Userkommentar zum Heidegrab. So kann mans auch sehen. :)

  8. Whoknows 25. Juni 2012 um 15:02 Uhr · Antworten

    Endlich weiss ich den Titel! Ich wurde nämlich schon von diversen Bloggern und Leuten in Foren gefragt, ob alle Heimatfilme der 50er dem brühmten Klischee vom Ultra-Kitsch entsprächen. In diiesem Zusammenhang dachte ich an einen Film, der in einem verschwundenen Buch über den deutschen Film zu den Ausnahmen gezählt wurde, aber nicht erfolgreich war, weil er dem damaligen Publikum zu schwerblütig war. Ich wusste, dass im Titel die Heide vorkam, assoziierte das Ding aber immer mit der Hatheyer. Da ich aber einfach nicht auf den in meinem Kopf herumschwirrenden Titel kam, musste ich immer generalisieren und meine Antworten mit einem „Es soll auch …“ beginnen. – Dank dir und deiner ausserordentlich spannenden Besprechung wird der Titel sich nun fest in meinem Gedächtnis verankern, und ich kann in Zukunft stolz auf „Hard Sensations “ verweisen. Vielen Dank für deine Erinnerung an diese Perle!

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