Waidmannsheil im Spitzenhöschen
Von Silvia Szymanski // 2. Mai 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Jürgen Enz, Sexploitation // 4 Kommentare
Ich glaub, ich bin von Haus aus ein dummer Mensch. Wenn man mich so gelassen hätte, wer weiß. Aber ich musste in die Schule, wo es als lebenswichtig galt, sich schlau zu machen und sich tierisch anzustrengen. Ich blieb in diesem Hamsterrad gefangen. Und dann kommt so ein Enz mit seinen Filmen und sagt: „Komm, steig aus. Bei mir muss keiner schlau sein. Kuck. Bei mir ist alles einfach. Hier kannst du sein, wie du früher warst.“ Und ich fresse ihm den Gnadenhafer dankbar aus der Hand.
Ich muss trotzdem zugeben, dass ich mich zwischendurch beim Kucken auch gelangweilt habe. Mir schien, Enz war hier nicht richtig bei der Sache. Er lässt den Film geschehen… nicht mal die Dinge an der Wand hängen so gerade wie es ihm sonst so wichtig ist.
Ich bin aber auch selbst nicht richtig bei der Sache. Ich habe eine leichte Filmkuckkrise.
Nun ja. Die süße, kecke Evi in unserem Film ist auch nicht so ganz glücklich. Eines Tages büxt sie deshalb von zu Hause aus. Beim Autoanhalten gerät sie an einen vorwurfs- und anspruchsvollen Rüpel („Nun hab dich nicht so. Ich kann es mir nicht durch die Haut schwitzen!“). Sie lässt ihn, nun, stehen und geht alleine weiter, durch den deutschen Wald der 70er Jahre. Wie so oft in der unberechenbaren Natur der Heftchen und der Seifenopern, verstaucht sie sich dort einen Fuß, so dass ihr jemand helfen muss – eine Begegnung, die ihr Leben verändern wird. Hubert, ein junger Jäger, kommt des Wegs, sie werden Freunde, er lässt sie in seinem Zimmer im Schloss übernachten. „Oh, ist der aber scharf!“, sagt Evi, als Hubert ihr dort einen Enz(!)ian einschenkt. „Das hat der Schnaps mit mir gemeinsam!“ pariert Hubert herzhaft. Ja, so versteht man sich. Evi schläft munter mit dem Junggesellen, und freundlich wie eine kluge kleine Katze integriert sie sich am nächsten Tag schon in den Schlossalltag.
Des Jägers Chef, Graf Reginald, ist ein weltfern integrer, auch mit kleinen Leuten scherzender, abgeschabter Mann, bei dem das Drehbuch vielleicht von Willy Birgel geträumt hat. Er steckt in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Seine ergebenen Angestellten bangen um ihn und ihre Arbeitsplätze. Da hat Evi die Idee, wie man das Schloss vor dem Ruin bewahren könnte: durch die Gründung einer Jagdschule für Touristen! Als Städterin kennt sie viele Leute, die das Walderlebnis auf dem Lande suchen. (In den meisten Heimatfilmen bedroht die Stadt das Land; hier hilft sie, das ist schön). Da kommen sie, mit ihren VW Käfern und Kapitänen und wie die Autos damals alle hießen. Wir sind unter lauter guten Leuten, wie in einer volkstümlichen Musiksendung im Fernsehen. Dazu spielt der für den Soundtrack verantwortliche Jack Kruppa in dem Alleinunterhaltersound, der auf den billigen Casios „Fantasy“ hieß.
Die Jagdschüler ziehen pärchenweise ein in ihre rustikalen Zimmer und schlafen unverzüglich miteinander. Da sind sie wieder, die für enzfilmtypischen, wie müden, zähen, ohnsorgtheaterhaften Nacktszenen. Es ist, als wären diese Filme eigentlich brave, kleine Schulkinder, die wider Willen und Natur von der Sexwelle ihrer Zeit ergriffen wurden und froh sein werden, wenn das endlich vorüber ist.
Doch diesem fast zum Erliegen kommenden Verkehr zuzuschauen macht auch Mut. Man darf sich sicher sein, das kann man besser.
Auch im Jagdunterricht am nächsten Tag haben die Schlossgäste nur Sex im Kopf. Was immer sich zweideutig verstehen lässt, heizt sie auf wie Elfjährige. Es gibt reichlich Eierwitze, die Jägersprache und der Doppelsinn von Wörtern wie „kommen“ oder „blasen“ sorgen für Fröhlichkeit. Dazu legen alle einen nicht zu den Situationen passenden, interessant verfremdenden euphorischen Nachdruck in ihre exakten Sätze. Wenn der Schlossherr zu seiner an Barbara Valentin gemahnenden Haushälterin sagt: „Übrigens, Anna, ein Kompliment! Ihre Schürzen sind immer adrett und sauber!“, worauf sie artig erwidert: „Danke, Herr Graf, das ist mein oberstes Gebot!“, dann wirkt das wie eine Geheimsprache. Als steckte hinter diesen Worten etwas viel, viel Wichtigeres, oder auch Schrecklicheres. Dann knutscht sie wieder mit ihrem Freund, dem Hausdiener. Die beiden stehen für deftigen und schnellen Knödelsex, der einen bei der Arbeit überkommt.
Indessen ist der Graf fasziniert von Evis rassiger Mutter. Auch die schöne, reife Frau ist hypnotisiert und funkelt ihn vorbehaltlos an. Vom ersten Moment an stehen die beiden für einander in Flammen. Sich ihrer distinguierten Liebe sicher wissend, schweben sie nachsichtig über den fickrigen jungen Leuten.
Der sanfte, kaum merkliche Höhepunkt am Ende ist die lange, lange Stehparty zur Feier der Doppelverlobung von Evi/Hubert und Evis Mutter/Graf Reginald. Sie feiern mit einem bunten Haufen von Komparsen, die ohne große Anweisung und Schnitte lustig essen, trinken und sich unterhalten, und der Film lässt sie in Ruhe. Vielleicht ist er verliebt, vielleicht nur voll von herbem Schlehenfeuer, dem Mann unter den Likören. Wie sich die Paare brav wie Teller auf der Stange drehen, wie aufgezogene Kreisel! Am Ende kriegen alle Blumen.
BRD/Österreich 1982, Regie: Kenneth Howard (alias Jürgen Enz)
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Erotik Classics: Waidmannsheil Im Spitzenhöschen
4 Kommentare zu "Waidmannsheil im Spitzenhöschen"
Und ob wir daran interessiert sind! Marco hat dir deshalb schon eine Mail geschrieben. Hoffe, die ist angekommen.
Liebe Silvia, Antwort an Marco ist gemailt, die erste Mail war tatsächlich nicht eingelangt.
Hallo, seid ihr noch immer daran interessiert zu erfahren, wer Jürgen Enz war und was aus ihm wurde? Ich habe eine Spur von ihm gefunden, und vor wenigen Jahren hat er jedenfalls noch gelebt und gearbeitet (aber nicht als Regisseur). Weiteres könnt ihr leicht recherchieren, wenn ihr wollt.
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