Die jungen Ausreißerinnen
Von Silvia Szymanski // 26. März 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Sexploitation // Keine Kommentare
Sexabenteuer deutscher Mädchen in aller Welt heißt sein zweiter Titel. Wir zeigten ihn im letzten Jahr in der ersten Staffel unserer „Alternative Movie“-Reihe im Aachener Apollo Kino. Er kam sehr gut an, es kamen richtig Leute zu dem weitgehend unbekannten Film, angelockt vom tollen Trailer. Ich freute mich, weil das bedeutet, dass wir vielleicht noch mehr solcher Sachen zeigen dürfen. Direkt vor uns saßen vier Mädchen, die sich regelrecht beömmelten. (Mein Begleiter litt allerdings, als sie, angesichts einer Darstellerin mit großem, dunklem Haardreieck auf der Leinwand, entsetzt aufstöhnten und „Das geht ja gar nicht“ sagten.)
Ich bin also nicht allein mit meinem Spaß. Auch wenn es mich wundert, dass mich von den deutschen Sexfilmen der 70er Jahre ausgerechnet die des desolat leeren Jürgen Enz („Aus dem Tagebuch einer 17-Jährigen“, „Liebesvögel“) und dieser des so streng konservativen Walter Boos besonders ansprechen. Er macht was mit mir. Ich werde plötzlich aufmerksam, entspannt, genießerisch. Das ist selten. Kollege Marco meinte, vielleicht fühle ich mich ja von dem Film „verstanden“.
Von irgendetwas in dem Film, ja. Das hängt damit zusammen, dass ich die Perspektive der Männer – der angepeilten Zuschauer und der Macher des Filmes – ausblende. Stattdessen schlüpfe ich in die Mädchen und schließe mich gefahr- und niveaulos ihren Abenteuern an. Dass ihre Erlebnisse als Unglück oder Folge moralischer Verworfenheit dargestellt werden, während sie zugleich doch sexuelle weibliche Wunschphantasien sind, macht für mich den trivialen Extra-Kick aus.
Wie in einem pädagogischen Märchen ergeht es jeder von ihnen schlecht. Der Film verschleppt sie zum Beispiel auf einen Tisch zwischen den Etagenbetten eines Gastarbeiterwohnheims, wo sie tanzen müssen – schrecklich, schrecklich, räusper. Ich hab als Kind schon gelesen, dass Frauen in besonderen Momenten auf Tischen tanzen. Die verruchte Vera Brühne tat das, oder auch die italienische „Wilde Gräfin“, deren geheimes Tagebuch sie abdruckten. Diese Yellow Illustrierten, die ich bei meinen Tanten mitlas, missbilligten natürlich die von ihnen beschriebenen Exzesse zum Schein. Aber ich hatte schon verstanden. Ich konnte mir den Tischtanz jedenfalls immer nur als Gipfel des glücklichen Party-Remmidemmi-Ausgelassenseins im Leben einer Frau ausmalen. Klar, dass einen die umstehenden ausgehungerten Männer mit den dunklen Bärten danach zum Sex zwingen. Und dass dann alles finster wird und schrecklich, so dass selbst die Skandalreporter uns die Bilder ersparen wollen. Zum Glück ist man es nicht selber schuld. Auch nicht, wenn einem behaarte Hände in Beirut gierig Geldscheine vom nackten Körper reißen. Und man dann in einem Wüstenzelt (in Boos’ berüchtigt „trockenem“ Rhythmus) zögernd und gemächlich rudelvergewaltigt wird. Zum Abschluss stellen sie einen dann noch mit dezent „grausamem“ Lachen einem ausgedienten „Negersklaven“ zur Verfügung (dieser Film ist sehr stereotyprassistisch, das gehört zu seiner grellen Reißermentalität). Am Ende ist man wirklich ausgepowert, leer wie eine Puppe und zerstört vom „Rauschgift“, verheiratet mit einem reichen arabischen, rührend um einen besorgten Geschäftsmann…
Die Ausstattung ist auch duftend und richtig. Die barocken Strukturtapeten der deutschen Zimmer kontrastieren erregend mit dem weltoffenen, naiven Flair kosmopolitischer Flughäfen und Metropolen der 70er Jahre. Und Gert Wildens intensive, ambitioniert ideenreiche Begleitmusik wächst und wächst über sich hinaus. Wir haben eine belustigend belehrende Aktenzeichen XY-Reporterstimme, die, in angeblicher Zusammenarbeit mit internationalen Polizeistationen, allen Vorwürfe macht, weil sie so verkommen sind. Und aus dem Nichts hereinknallende, haarsträubend moralische Textzeilen, die den Film wie Banner schmücken. Leider hab ich sie mir nicht aufgeschrieben.
Ein solcher Genuss seiner Filme durch freudige Identifikation mit den lasterhaften Protagonistinnen wird kaum Boos` Absicht sein. Ich stelle mir vor, er hasst das an „seinen“ Mädchen (und überhaupt an weiblicher Sexualität), was er da zugleich ganz richtig wahrnimmt. Er will das anprangern. Zugleich aber erregt es ihn, unter den Anzughosen seiner Moral. Er wäre gerne auch diese von seinem Film verurteilten haarigen Ausländer oder europäischen „Glücksritter“, die sich alles, was sie wollen, nehmen. Er würde auch gern mit diesen lebendigen, zu ihrem Glück gezwungenen Mädchen schlafen; vielleicht wäre er sogar selber gern eine von ihnen.
Das alles aber kann und darf er nicht. Und so muss er das alles verätzen. Er ist ein Mann der vorletzten Jahrhundertwende. Dauernd winden sich bei ihm Mädchen nackt vor Männern auf dem Boden; der Film ist gierig nach dieser Perspektive von oben. Einmal fleht eine von ihnen den widerwärtigsten der alten Herren über ihr an, mit ihr zu schlafen, endlich mit ihr zu schlafen. Sie ist mit Tollkirschenextrakt so voll gepumpt, so außer Rand und Band, dass sie weißen Schaum vorm Mund hat. Das ist kein ritualisierter Kontrollfreak-Sadismus, der dahinter steckt, sondern etwas Stärkeres, Schmutzigeres; Boos ist wirklich angewidert von geilen Frauen. Er möchte sein reines, zartes Bild von Mädchen vor diesem furienhaften Entfesseltsein bewahren und die Ausreißerinnen unter Polizeischutz zurück in ihren Heimathafen führen, damit sie dort durch Heirat wieder in Ordnung kommen. Am Ende, wenn der Erzähler triumphierend knarzig tönt, die wahre Liebe sei international, ist man völlig durchgerüttelt, satt, zufrieden wie ein Baby von dem Epos.
BRD 1972, Regie: Walter Boos
P.S.: Einen meiner Freunde machte der Film allerdings traurig. Er sagte mir, er sehnte sich weg, nach einem „richtigen“ Film. Hm. Morgen bin ich vielleicht auch wieder erwachsen, ernster Freund. Aber das innere Teenieferkel muss auch unbedingt manchmal was gucken.
P. P.S.: Leider gibt es von diesem Film nur noch wenige Kopien und wohl gar keine DVD?, so dass ich unseren Lesern keine Beweisfotos oder Tipps, wie und wo man ihn sehen könnte, präsentieren kann. Ich wäre ja dafür, wir zeigen den einfach irgendwann noch mal. „Unsere“ 35mm-Kopie hatte uns sehr dankenswerterweise das mit uns befreundete Kommkino in Nürnberg geliehen. Von dort wird auch der zweite Boos-Film zu Besuch kommen, den wir am 11. Juni um 22:30 Uhr als „Alternative Movie“ im Apollo Kino Aachen zeigen: „Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo“. Bestimmt wieder voll von dieser knallharten Sozialkritik am Verhalten haltloser Jugendlicher.