Eine offene Wunde – Notizen zum JOKER
Von Guido Rohm // 22. Oktober 2019 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Joaquin Phoenix studiert sein Spiegelbild, er zieht die Mundwinkel nach oben, nach unten, einer, der auf der Suche nach sich ist, der sich fragt, wer er ist. Ungeschminkt, gebändigt von Medikamenten, ist er ein gedemütigter Außenseiter, ein Fantast, der sich ein Leben erträumt, das ihm Liebe, Job, Erfolg vorenthält, die ihm, so mutmaßt er, von Geburt an zustehen. Phoenix spielt die Rolle perfekt, ein Drahtseiltänzer, mal als schüchterner Junge, der doch nur in die Arme genommen werden will, mal als ein bis auf die Grundmauern des eigenen Selbst ausgehungerter Körper, der im nächsten Moment zum Dirigenten eines imaginären Höllenorchesters wird, das er tänzelnd anpeitscht, dem Grinsen des JOKER auf der Spur, jenes diabolische grelle Lachen, das dem Zuschauer im Halse stecken bleiben soll. Der JOKER, eine sich krümmende verlorene Seele, ein Tagträumer, der, so seine eigene schreckliche Logik, keine Logik mehr bedient, ein außer sich geratener Hofnarr, der die Reichen und Schönen mit ihrem eigenen Untergang zu unterhalten gedenkt. Die Kamera stets nah an Phoenix, dessen Züge zu entkommen trachten, die ihm entkommen wollen, die ahnen, dass sie eine neue Person gebären werden, ein neues Wesen. Die Bilder, als würde in ihrem Hintergrund ein Feuer glimmen, eines, das schließlich auf Gotham übergreifen wird, um so zum Beleuchter einer neuen Zeit zu werden. Am Ende brennt die Stadt, der JOKER ist zum Schutzheiligen des Mobs geworden, zum Erlöser der gesellschaftlichen Verlierer, zum Heiligen des Chaos. Ein nihilistischer Diener des Todes, der mit einem blutverzieren Grinsen seine Philosophie des Terrors in die Gesichter derjenigen ritzen will, die ihn stets mit einem wegwerfenden Lachen übergingen, die ihn überschritten, bedrängten, die sich an ihm vergingen. Der JOKER ist überall, er ist der Nachbar, den wir so wohlweißlich übersehen, dass es nicht wundern muss, wenn er dereinst als waffenliebender Phönix aus unserer Asche auferstehen will. Ein Film, der einem mit offenem Mund zurücklässt, einem Mund, in dem das Lachen wie eine offene Wunde klafft.
USA 2019. Regie: Todd Phillips.