Fausto
Von Jamal Tuschick // 10. Februar 2019 // // Keine Kommentare
Goethe trifft Moctezuma
Der erste „Faust“-Wurf glückte Goethe mit fünfundzwanzig, siebenunddreißig Jahre vor jener Fassung, mit der Generationen ins Feld zogen. In der frühen Faustfassung schimmern sagenhafte Vorlagen durch, die im protestantischen Widerstand gegen den Obskurantismus des 16. Jahrhunderts und in zeitgenössischer Nähe zu Luther entstanden waren – und sich von der Biografie jenes Johann Georg Faust ernährten, der alle Gründe des Himmels und der Erde mit Magie erforscht zu haben glaubte. Goethe stand unter dem Einfluss von Shakespeare, als er, dem „Sturm“ näher als der Klassik, die frühe Fassung schrieb. Darauf wurde hingewiesen, von Brecht erst, dann von Heiner Müller, der einem Shakespeare des 20. Jahrhunderts Horrorfilme zutraute, diese Formerzwingung wie im Blutrausch, und Faust so charakterisierte:
„Da ist ein Mann, der fühlt sich alt und will gern jung sein.“
Er zieht den Teufel zu Rate und was an dessen Rat schlecht ist, bekommt einem Mädchen schlecht. Von der Mutter zur Magd gemacht, kann das Mädchen die Schönheit gar nicht haben, die der verblendete Faust entdeckt. Dass man sich im Schmerz vollendet, nicht in der Liebe, steckt als Kern im Stück.
Andrea Bussmanns anthropologisches Kammerspiel profitiert vom vorläufigen Faust-Phantasma im Sturm & Drang. Die Protagonisten bewegen sich auf dem emotionalen Grat eines „im Gebirg“ aus sich selbst herausfallenden Lenz. Ihr Gebirge setzt sich aus einer Kette von Findlingen an der Pazifikküste Mexikos im Bundesstaat Oaxaca zusammen. Die Mythen der Gegend, das Erzählgold der Azteken, die Verbrechen der Kolonisation und die klassischen Ordnungsbegriffe einer fiktiven chinesischen Enzyklopädie fusionieren in einer Abfolge von Schaubildern mit dem altweltlichen Sagenschatz einer neuzeitlichen Antike.
Goethe trifft Moctezuma … trifft Borges
In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung beherrschten Zapoteken Oaxaca. Ihnen folgten Mixteken, die endlich von Azteken überwunden wurden. Den Azteken nahm Hernán Cortés die Macht. Er führte dann den Titel Marqués del Valle de Oaxaca.
Bussmann verankert ihre poetische Untersuchung da, wo die ursprüngliche Geschichte Mexikos endet. Männer reden an Lagerfeuern oder bevölkern gamsbockig Felsvorsprünge. Stets haben sie den Pazifik im Blick. Der Film zitiert Foucaults „Ordnung der Dinge“. Foucault bezieht sich auf die phantastische Zoologie von Jorge Luis Borges. Borges erfand eine chinesische Klassifikation mit „Tieren, die dem Kaiser gehören, einbalsamierten Tieren, Milchschweinen und Sirenen“.
Bussmann arbeitete mit Leuten aus ihrer Umgebung. Sie probierte mit ihnen und an ihnen ihre Stoffe aus und traf ihre Besetzungsentscheidungen in diesem engen Pool. Familiär und unorthodox erscheint manches womöglich deshalb.
„Fausto“, Spielfilm, 2018. Regie: Andrea Bussmann. Mit Gabino Rodriguez, Fernando Renjifo, Victor Pueyo, Alberto Núñez, Ziad Chakaroun