Das Deutsche Kettensägenmassaker
Von Jamal Tuschick // 7. Februar 2019 // // Keine Kommentare
Die Wiedervereinigung als kannibalischer Akt. Warum brave Kunst die Welt nicht retten kann – Ein Abend zu Ehren von Christoph Schlingensief zum Auftakt der Berlinale 2019.
Zwei künstlerische Großereignisse flankierten das Ende der Deutschen Demokratischen Republik. Heiner Müllers „Die Zeit ist aus den Fugen“-Hamlet-Mammut-Inszenierung 1990 am Deutschen Theater damals noch in Ostberlin, die als „beispiellose Anstrengung beschrieben“ wurde – „Was auf dem Theater gesagt ist, kann nicht zurückgenommen werden/Wenn der Journalismus im Theater stattfindet, ist das gut für das Theater und schlecht für die Kunst“ (H.M.) – und Christoph Schlingensiefs Schlachthausstreifen „Das Deutsche Kettensägenmassaker“, der zum Auftakt der Berlinale 2019 die Kritiker einstimmte. Der Film gehört zu einer Deutschland-Trilogie. Der Regisseur präsentierte ihn auf der Berlinale 1991. Jahrzehnte später erkennt man die Weitsicht, in der Schlingensief die Wiedervereinigung als Verwurstung des Ostens voraussah. Der Regisseur randaliert mit Einsichten. Er haut sie dem Publikum um die Ohren.
Auch Irm Hermann, Alfred Edel und Udo Kier spielen mit.
Die Handlung oszilliert satirisch-barbarisch zwischen Hitchcocks „Psycho“ und Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“. Schlingensief persifliert die Vorlagen im Rahmen beschränkter Mittel. Im Rahmen psychopathischer Erregungen wird ab der dritten Szene gestorben. Ein Mann (Susanne Bredehöft) kommt heim, irgendwo in Leipzig muss das sein. Er trägt Ruß im Gesicht. Ungewaschen will er seiner Frau Clara (Karina Fallenstein) beiwohnen. In einer Kollision der Bedürfnisse endet der Gatte in einem Blutbad, in dem bereits die Leiche des wüst hingerichteten Familienhunds schwimmt. Hochgestimmt und sichtlich nicht flüchtend, entgeht Clara den Folgen ihrer Taten in den Westen. Da erwartet sie ihr Liebhaber Artur (Artur Albrecht). Auch er verlangt Vollzug ohne Verzögerung.
Macht der Bilder
Schlingensief reagierte mit künstlerischen Mitteln auf den Vereinigungskitsch und das Pathos des Kohl-Managements. Helmut Kohl inszenierte Neunundachtzig als Familienzusammenführung. Er überging die Fremdheit unter Deutschen. Bilder und Parolen ersetzten die Auseinandersetzung. Schlingensief übermalte Kohls „blühende Landschaften“ mit Ketchup. Der Film zeigt, warum Schlingensief auch gehasst wurde. Er beherzigte Müllers Diktum: Was du dem Publikum nicht zumutest, das mutet es dir zu. Den Schweizern mutete er deutsche Vergangenheitsbewältigung mit einem irren Gedächtnistheater zu. Die Schweizer fragten: Warum kehrt er nicht vor seiner Haustür. Die Antwort ist einfach. In Deutschland sitzen die Charaktermasken perfekt. Die Leute haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie kennen die Formeln der Unangreifbarkeit. In der Schweiz deutschen Dreck auf eine Bühne zu bringen, bedeutete, Druck an der Schmerzgrenze aufzubauen.
Als blasphemischer Abgesang kam das „Massaker“ zu früh. Den Deutschen war 1990 noch gar nicht klar, dass die Übernahme der DDR alle in die deutsche Kontinuität zurückwerfen würde. Vor diesem Hintergrund erscheinen Leute, die mit Kettensägen hinter anderen Leuten herlaufen, allenfalls zurückgeblieben.
Schlingensief bringt im Film die Behauptung in Umlauf, „vier Prozent der DDR-Bevölkerung, die ihr ehemaliges Heimatland verlassen hatten, sind seitdem nirgendwo mehr offiziell registriert“ worden. Eine abgängige Bevölkerung, hineingerissen in den plötzlich beschleunigten Lauf der Welt. Clara und Artur begegnen einem westdeutschen Schlachterklan, der alles daransetzt, die Ossis ihrem Verwendungszweck als Masse im Kunstdarm zuzuführen. Schlingensief beschrieb die Wiedervereinigung als kannibalischen Akt. Die knallige Unterscheidung zwischen den historischen Subjekten und Objekten in Deutschland war 1990 auf jeden Fall subversiv. Am besten begreift man den Film wie den verwackelten Mitschnitt einer herausfordernden Theateraufführung.
Deutschland, 1990. Regie: Christoph Schlingensief