One-Eyed Jacks
Von Jamal Tuschick // 9. Oktober 2018 // Tagged: featured, Western, Wilde Männer // Keine Kommentare
Der väterliche Feind. Revolverkino im Berliner Gropius Bau – Über den Feminismus im frühen Spätwestern.
Sein Gesicht hält dem erdgeschichtlichen Budenzauber stand, der in dem frühen Spätwestern „One Eyed Jack“ (Der Besessene) 1961 als Kulisse herangezogen wurde – all die Tafelberge, Schründe, Kegel, Dolmen, Gipfel, Canyons, Reliefs, säulenförmige Mammutsukkulenten, Dünen, Kämme und Grate – sowie der kalifornisch-pazifische Brandungsschick unter einem dramatischen Himmel. Die Oberflächen halten lange Betrachtungen aus. Marlon Brando, der die Kamera als Schauspielerregisseur zu seinem willfährigen Spiegel machte, wusste, dass sein Gesicht dem Raum ebenbürtig war.
Zur Handlung. Im Prolog des Geschehens vollzieht sich ein Verrat unter nordamerikanischen Verbrechern in Mexiko. Der Verräter reitet mit der Beute direkt in ein neues Leben als Sheriff-Spießer. Der Verratende entkommt nach fünf Jahren einer Hafthölle und kennt nur noch einen Daseinsgrund. „Der Hass hatte ihm geholfen, zu überleben.“
Psychologische Schusswechsel
Brando spielt den entlaufenen Sträfling Rio auf der Suche nach einem Mann, den er Dad nannte und von dem er Kid genannt wurde. Er findet den väterlichen Feind schließlich in der Rolle des Gemeindevorstands von Monterey. Dad Longworth übt die Polizeigewalt in der Manier eines Bürgermeisters aus und erscheint seiner Frau und einer Stieftochter als Patriarch, dem das Wunder einer vollständigen Verwandlung gelang.
Karl Malden spielt den Spießbürger, der für seine Gewaltlust sardonisch legale Ziele ins Auge fasst. Im Nachgespräch zum Film stellte sich die Schriftstellerin Silvia Szymanski ratlos die Frage: „Wie wird man als Mann so?“
Gemeinsam mit Christoph „Revolver“ Hochhäusler und Anke Stelling, von der ich zuletzt „Fürsorge“ gelesen habe, formulierte sie die Einsicht, dass der Film „in der Figur des Dad am meisten riskiert“. Brandos Wut auf das Establishment tobt sich in Longworth aus. Der Regisseur zeigt den größten Kriminellen weit und breit in der Maske des Gesetzeshüters als einen Ausbund der Obszönität. Etwa, wenn Longworth einen Betrunkenen heimwärts tritt und seinen Sadismus als autoritäre Fürsorge tarnt. Die Kamera kassiert den unkontrollierbaren Moment der Entladung und friert die im sadistischen Vergnügen schwelgende Physiognomie für die Ewigkeit ein.
Brando zeigt, wie es Longworth im Kreis der Familie schmeckt. Das schlechte Gewissen verkehrt sich im guten Appetit. Man muss sich nur einen von John Ford dirigierten John Wayne zur selben Zeit vorstellen, um zu begreifen, wie avant Brando ist. Er bombardiert das Genre mit „unversöhnlichen Interventionen“ (Max Czollek). Er widerspricht dem von Longworths produzierten „Normalitätsphantasma“ (Czollek).
Ich sehe den einzigen Film, in dem Brando Regie führte, in einer Revolver Vorstellung im Berliner Gropius Bau Kino gemeinsam mit fünfzig Leuten, die meisten sind in der zweiten Lebenshälfte. Ich frage mich, wie der Film auf sein Publikum Anfang der Sechzigerjahre gewirkt hat. Die Modernität von damals gibt sich manchmal noch zu erkennen unter der Protestpatina, die nicht mehr zieht. Der Brando von 1961 nimmt den alten Regisseuren den Western aus der Hand. Als Repräsentant der Vergangenheit zieht Longworth in den psychologischen Schusswechseln den Kürzeren nicht nur gegen Rio, sondern auch gegen seine Stieftochter, die von einem Beziehungsgeflecht gefangen genommen wird – einem Flechtwerk der Hoffnung.
Pina Pellicer spielt Louisa als eine Frau, die Rios Berechnungen und Balzroutine kontern kann. Sie wird schwanger im nächtlichen Gespräch, während der Stiefvater seine Frau zu vulgärem Hoppe Hoppe Reiter nötigt. Er wird abgewiesen und in die Nacht gejagt. Noch einmal schnallt er den expandierenden Embonpoint in den Rüstungswurmfortsatz eines Revolvergurts.
One-Eyed Jacks, Regie: Marlon Brando, 1961. Mit Marlon Brando, Karl Malden, Pina Pellicer.
Hier geht es zu Jamal Tuschicks Literaturwebsite „Textland“, u. a. mit der Besprechung von Anke Stellings Roman „Fürsorge“ (wenn man bis zum Ende scrollt).