Die defekte Katze
Von Jamal Tuschick // 12. Oktober 2018 // Tagged: Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Die persische Braut. Migration im Kino.
Kian erfüllt sämtliche Erwartungen an die perfekte Integration. Der in München aufgewachsene Sohn iranischer Einwanderer übererfüllt die Normen. Als Arzt ist er im gehobenen Mittelstand angekommen. Man sieht nur Autochthone in seiner Umgebung. Um auch an der Familienfront zu reüssieren, macht Kian die üblichen Klimmzüge, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Da ist eine Anpassungslücke, das Filmgeschehen geht darüber hinweg. Kian nimmt schließlich mit einer persischen Braut vorlieb. Die Rede ist von einer arrangierten Ehe unter Akademikern. Die Abschlüsse der „Importbraut“ werden in Deutschland nicht anerkannt.
Zum Beweis der Unvorhersehbarkeit ihrer Verläufe, hat uns die Migration auch das Phänomen der „Importbräute“ beschert. Immer wieder pausiert der Fortschritt. Viele türkische Wohnheimerinnen der 1960er Jahre waren moderner als es ihre Enkel*innen sind. Wie die nachgeholten und zu spät in die Familien eingegliederten Kofferkinder der ersten Gastarbeiter wurden die ledig nach Deutschland gekommenen, in Heimen konzentrierten und an Fließbändern beschäftigten Türkinnen selten wissenschaftlich beschrieben. Das ist kein Zufall. Die Mehrheitsgesellschaft erzählt sich die Migration entlang der Vorgaben des Herrschaftstextes, der im Idealfall einen gemäßigten (implodierten) Zeitgenossen (sozial) erzeugt. In diesem Rahmen ist kein Platz für unternehmungslustige Kemalistinnen, die als fıstık kış kamen, mit deutschen Männern ausgingen, um beim Tanz auf den Tennen zu erkennen, dass mit diesen Verehrern keine Ehen zu schließen waren. Vor dem Ende ihrer Mädchenblüte gingen sie zum Heiraten in die Türkei und kamen mit türkischen Ehemännern wieder.
Vorwurfsvolle Rücksichtnahme Mina lernt vom Tag ihrer Ankunft Deutsch. Sie will es schaffen. Zu spät kapiert sie, dass Kian seiner Herkunft zum Trotz kein Iraner ist. Zu spät kapiert Kian, dass er keine Hausfrau geheiratet hat, die schnell Mutter werden will. Die von der vulkanisch- erratischen Schönheit Pegah Ferydoni gespielte Mina hält den ultraangepassten Feigling Kian auf Abstand. Sie prüft ihn wie jede Prinzessin. Sie legt sich eine Katze mit Gendefekt zu, eine halbe Löwin, die sie im Kampf gegen Kian unterstützt. Mina tanzt, schwimmt und lernt Deutsch.
Hadi Khanjanpour spielt einen schüchternen Mann, der Pragmatismus vortäuscht, wo er die Sprache seiner Gefühle nicht versteht. Ihn verwirrt, was für ihn selbstverständlich sein müsste – Minas Selbständigkeitsbegehren. Wünscht sich Kian eine Abhängige? Ich steige nicht dahinter. Beherrscht Kian die Kunst, Mina zum Schein entgegen zu kommen, oder ist seine vorwurfsvolle Rücksichtnahme echt? Sein Einkommen verwaltet er jedenfalls im Stil der alten Patriarchen. Er speist Mina ab und deponiert das Haushaltsgeld auf dem Küchentisch. Kian kriegt Mina nicht da hin, wo er als Kind seine Mutter gesehen hat. Mina will einen Job, ein Leben außerhalb der Wohnung. Die Katze wirkt als Botschafterin ihres Unmuts, wenn sie die Räume verwüstet und auf den Teppich kackt.
Die defekte Katze, Deutschland 2018. Regie: Susan Gordanshekan. Mit Pegah Ferydoni, Hadi Khanjanpour, Arash Marandi
Arash Marandi spielt einen Mitschüler in der Sprachschule, der sich für ein besseres Leben mit einer älteren Frau arrangiert hat, die vergeblich schwanger zu werden versucht. Ich habe Marandi zuletzt bei einem Wolf Wondratschek Abend im Berliner Literaturhaus gesehen. Hier noch mal meine Eindrücke:
Wenn keiner mehr weiß, wer Heinrich Böll war, werden Wondratscheks Gedichte wie letzte Botschaften eines Jahrhundertsommers der Liebe in einer neuen Keilschrift in den Katakomben der Überlebenden gleich welcher Katastrophen kursieren.
Jedes Fest braucht eine Überraschung, dekretierte der greise Goethe weiland in Weimar. Wolf Wondratschek sagt im Berliner Literaturhaus nichts anderes. Zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag erweisen ihm viele die Ehre, die in Chuck’s Zimmer die Ungeheuer der Liebe zum ersten Mal zur Tat schreiten sahen, damals als jeder Tag „mit einer Schusswunde begann“ und „das leise Lachen am Ohr eines anderen“ tödlicher sein konnte als ein ballistischer Körper. Wondratschek hat sich mit Gedichten, die an alte Filmplakate erinnern, ins Gedächtnis der Republik geschrieben. Die Anerkennung eines Großschriftstellers fand er trotzdem nicht. Das liegt gewiss nicht an seinen Frauenbildern, an den vielen Sonnenuntergängen, dem Mut zur Sentimentalität und zu künstlichen Aromatisierungen – l‘art pour l’art auf dem Boulevard Baudelaire. Das unterscheidet ihn nicht grundsätzlich von anderen, die als Würdenträger sterben werden oder schon gestorben sind. Für die mürbe Geborenen war alles Inszenierung und verspäteter James Dean. Ich glaube, dass sich Wondratschek nie die Mühe gemacht hat, etwas darzustellen. Er hat Rolf-Dieter Brinkmann nachgesagt, was sich nun voraussagen lässt: „Er war too much für euch, Leute“. Mir erscheint er wie eine britische Figur des 19. Jahrhunderts, federgewichtig, geckenhaft – ein Gentleman Boxer. Diedrich Diederichsen kam einst zu dem Schluss: „Wolf Wondratschek ist Uschi Glas.“ Vielleicht verwest die Wahrheit in einer Rinne zwischen den Aufgängen. Ein Gastronom mit Rotweingesicht verspricht dem Dichter ein mehrgängiges Menü als flüchtiges Andenken. Ein Arzt trägt ein Gedicht vor, im Gloom der Generationsgenossenschaft. Man ist gemeinsam in die Jahre gekommen und hält es schon lange nicht mehr für möglich, wie ein Bandit über die Barrieren zu gehen und der Bürgerlichkeit zu entkommen.
Arash Marandi erweckt Carmen zum Leben. Wondratschek liest aus seinem letzten Roman. Im Vortrag gewinnt der Text … Für die Überraschung sorgt Arash Marandi mit einer Gedächtnisleistung nicht zuletzt. Der junge Mann kann „Die Einsamkeit der Männer. Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre“ seitenlang auswendig. Marandi modernisiert Wondratschek. Seine Interpretation beweist die Überlebensfähigkeit einer Poesie, der in Spektren zwischen viriler Pose und Posse so wie zwischen Macho Kitsch und Schwust viel vorgehalten wurde. Im Publikum sitzen Frauen, die sich sichtbar gefeiert fühlen von der Carmen hochfahrenden Minne und den Kapriolen des Überhöhungseifers. Als Geliebte von Wondratschek und Bernd Eichinger erschien ihr Vorbild filmreif. Wondratschek behauptet, dass sich manche Frauen „unmittelbar erotisch“ angefasst fühlen von seinen Versen. Marandi hilft einer Ahnung des Begreifens auf die Sprünge. Er transferiert den Text aus der Problemzone in eine Sphäre des unbedrohten Wohlklangs und Formschöns; ohne zu verschweigen, wofür Wondratschek anfällig ist. Marandi verdoppelt die Spielfigur des Künstlers als junger Mann. Er ist (auch) Wondratschek und streicht die Prisen der Faszination ein. Der Dichter lobt den Kaperfahrer über den grünen Klee. Er erkennt sich wohl selbst.